Wie stellt man das Leben eines Holocaust-Überlebenden im (Musik-)Theater dar? Darf man das überhaupt? Die klare Antwort der Hamburger Kammerspiele lautet: Ja! Die eindrucksvolle Inszenierung von Gil Mehmert zeigt, dass es möglich ist, das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte angemessen, berührend und ohne unnötige Dramatisierungen, dafür aber mit Einsatz von Jazz- und Swing-Musik auf die Bühne zu bringen. Das hochkarätige Ensemble um Hauptdarsteller Konstantin Moreth überzeugt sowohl in musikalischer als auch in schauspielerischer Hinsicht.
“Der Ghetto Swinger” basiert auf der gleichnamigen Autobiografie der Jazz-Legende Coco Schumann (1924-2018). Schumann war ein begnadeter Musiker, der – als Halbjude deportiert – in den Kapellen der Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz vor allem als Gitarrist und Schlagzeuger eingesetzt wurde. Sein musikalisches Talent rettete ihm das Leben: Er musste spielen, während Millionen andere von den Nationalsozialisten getötet wurden.
Streng genommen ist “Der Ghetto Swinger” kein Musical, sondern ein mit Jazz- und Swing-Stücken gespicktes Schauspiel. Die Handlung wird nicht von Musicalsongs vorangetrieben; stattdessen greift die Band auf zeitgenössische Nummern aus den 20er, 30er und 40er Jahren zurück. Auf diese Weise gelingt die musikalische Einbettung in den historischen Kontext. Auch die Kostüme sind dieser Zeit angepasst.
Konstantin Moreth in der Rolle des Heinz Jakob “Coco” Schumann ist ein Genuss. Ob als dem Jazz verfallener, begeisterter Jugendlicher oder als Häftling im KZ – jeder Blick, jede Geste, jedes Saitenzupfen an der Gitarre wirkt glaubhaft, authentisch, ehrlich. Durch sein Spiel gelingt es Moreth, das Publikum in die Gefühls- und Gedankenwelt des Protagonisten mitzunehmen: Man leidet mit, als Coco von seiner “Deklassierung” als Jude erfährt, doch genauso erfreut man sich am ungebrochenen Lebens- und Widerstandswillen des Vollblutmusikers. Er möchte “tanzen statt marschieren”.
Auch die Leistung der Musiker, die zugleich in mehreren Schauspielrollen agieren, ist beeindruckend. Scheinbar mühelos schaffen Robin Brosch, Georg Münzel, Christoph Kähler, Karsten Schnack und Jonathan Wolters den Spagat zwischen der Beherrschung ihrer Instrumente und der Einfühlung in die jeweiligen Rollen. Enttäuschend ist einzig Helen Schneider. Ganz gleich, welche Figur sie verkörpert (Erzählerin, Mutter oder Chérie), ihr Spiel wirkt aufgesetzt, übertrieben und nie authentisch.
Das Bühnenbild ist spärlich (ein Vorhang, ein bespielbares Podest), genügt aber vollkommen. Es ist die Intensität dieser wahren Geschichte, die den Zuschauer fesselt und die kein bombastisches Bühnenbild benötigt. Die Handlung beginnt mit Gitarrenklängen zum Jazzstandard “How High the Moon” und der sich hinter dem Vorhang abzeichnenden Silhouette von Konstantin Moreth als Coco Schumann, der anschließend auf sein Leben zurückblickt.
Der echte Coco Schumann verstarb im Januar dieses Jahres. Es ist ein Geschenk, dass die Erinnerung an sein ereignisreiches Leben durch das auf Schumanns Memoiren beruhende Stück lebendig bleibt. “Der Ghetto Swinger” ist ein Plädoyer für die Kraft der Musik sowie für die Lebensfreude und Hoffnung, die an sie geknüpft sind.
Die Produktion der Hamburger Kammerspiele ist seit 2012 im Stammhaus sowie auf Tour zu sehen. 2014 gastierte sie bei den Burgfestspielen Jagsthausen, 2016 in der Komödie am Kurfürstendamm.
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