Die Beste ihrer Art: "Rent" (Broadway 1996)

[Die Beste ihrer Art] In dieser Serie beschreiben muz-Autoren jeweils für ein Musical, welche CD-Aufnahme die ihrer Meinung nach relevanteste und beste ist. Zum Abschluss der ersten Staffel schreibt muz-Redakteur Andreas Haider, warum für ihn bei “Rent” das Original weiterhin unerreicht ist. Sie können mitdiskutieren.

Wer sich eine CD des Musicals “Rent” zulegen möchte, dem bietet sich inzwischen eine Auswahl von mehr als 20 Scheiben aus aller Welt. Das Stück über eine Gruppe junger Künstler, die in den 1990er-Jahren an der Lower East Side von New York ein Leben am Rande des Existenzminimums fristen, hat es vom (Off-)Broadway nicht nur auf internationale Bühnen geschafft, sondern auch auf die große Leinwand. Viele dieser Abstecher wurden akustisch archiviert, und doch ist es nach dem Hören eines Großteils nicht schwierig, die Beste ihrer Art zu benennen: Das Original Broadway Cast Album von 1996 ist und bleibt unerreicht.

Das liegt vor allem an den charismatischen Sängern. Kaum ein Musical ist so stark mit seiner Ur-Besetzung verbunden wie “Rent”. Kein Wunder, denn zu seiner Entstehungszeit waren Adam Pascal, Anthony Rapp, Daphne Rubin-Vega, Idina Menzel und ihre Kollegen größtenteils selbst noch aufstrebende Künstler, die sich mit den Nöten ihrer Charaktere bestens identifizieren konnten. Ihre Interpretationen stecken voller Herzblut und sind zugleich eine Hommage an den kurz zuvor verstorbenen “Rent”-Komponisten Jonathan Larson, dessen Werk sie mit größtmöglichem Einsatz würdigen. Ihre individuell gefärbten Stimmen mit hohem Wiedererkennungsfaktor klingen zuweilen kratzig oder schrill, passen aber optimal zu den dargestellten Exzentrikern und verleihen den rockigen Songs Authentizität.

Obwohl sich viele Mitglieder der Original Broadway Cast im Jahr 2005 für die Filmversion des Musicals vor der Kamera wiedertrafen, erreicht der zugehörige Soundtrack nicht die Intensität der Einspielung des Bühnenvorbilds. Zu sehr wurden die Songs auf Hollywood getrimmt. Für die sonst eher spärlich besetzte Band gab es viel personelle und technische Unterstützung, der Titelsong klingt im direkten Vergleich hier zwar noch rockiger, aber auch überproduziert. Das üppige Klangbild passt nicht recht zu einem Stück, dessen Charaktere sich vehement gegen Kommerzialisierung und für künstlerische Integrität einsetzen. In dieser auf Kino-Zuschauermassen ausgerichteten Version verliert das Musical auch akustisch an Charme.

Ein weiterer Pluspunkt des Original Broadway Cast Albums: Es ist – bis auf einige kurze Dialog-Passagen – vollständig. Auch wenn die Erzählweise des Musicals mit ihren Anrufbeantworternachrichten im Sprechgesang zunächst gewöhnungsbedürftig ist – sie gehört einfach dazu und transportiert die Seele des Stücks. Die Filmversion verzichtet darauf, ebenso auf eher narrative Songs wie “You Okay Honey?”, “Christmas Bells” und “Happy New Year”.

Das einzige deutschsprachige “Rent”-Album, ein Live-Mitschnitt von 1999 aus dem Düsseldorfer Capitol Theater, kann zumindest in einigen Punkten mithalten: Es bietet die komplette Show, musikalisch angemessen umgesetzt. Die Besetzung rund um John Partridge, Alex Melcher und Peti van der Velde weicht vom Typ her von ihren Broadway-Pendants ab, klingt aber auf ihre Weise ebenfalls charismatisch. Leider entstammt das Album einer Ära, in der man bei deutschen Ensuite-Produktionen keinen Wert auf akkurate Phonetik legte. Die ausländischen Darsteller singen oft mit derart starkem Akzent, dass man vieles nicht versteht. Bei genauerer Betrachtung stellt sich dieser Kritikpunkt jedoch als positive Eigenschaft des Albums heraus, denn die Lektüre der Texte im Booklet (Übersetzung: Heinz Rudolf Kunze) bringt Fürchterliches zutage. Ungewollt komische Reime (inzwischen ein oft zitierter Klassiker: “Sechs, fünf, vier / Sesam öffne dir”) treffen auf pseudopoetische Wortschöpfungen (“Sonnenabgang”). Hier stoßen nicht nur eingefleischte Germanisten an Akzeptanzgrenzen, weshalb sich der Erwerb dieses inzwischen überteurten Sammlerstücks kaum lohnt.

Wer über eventuelle Sprachbarrieren hinweghören kann, dem sei die holländische Highlights-Einspielung empfohlen. Eine extrem stimmstarke Mimi (Nurlaila Karim) und behutsam variierte Arrangements, wie z.B. ein entschlacktes “One Song Glory”, sind selbst für Verfechter des Broadway-Originals zumindest eine angenehme Abwechslung.

Die meisten anderen internationalen “Rent”-CDs – ob aus Italien, Ungarn oder Korea – lassen sich ohne besondere Auffälligkeiten hören. Kurioses kommt dagegen aus dem Norden. Das isländische Cast Album macht aus Mimis großer Rock-Nummer “Out Tonight” ein Techno-Dance-Spektakel. Und auf der schwedischen CD finden sich gleich mehrere Songs in so stark umarrangierten Versionen, dass man sie kaum wiedererkennt. Das ist kreativ, handwerklich gut gemacht und für Kenner unterhaltsam, aber es ist eben nicht mehr das Musical, das das Original Cast Album so eindrucksvoll für die Nachwelt festhält. (ah)

Welche “Rent”-CD bevorzugen Sie? Hier können Sie Ihre Bewertung abgegeben. Über die muz-Serie “Die Beste ihrer Art” können Sie auch im Forum mitdiskutieren. Wir bedanken uns bei allen Lesern, die ihre Bewertungen abgegeben haben. Diese sind dauerhauft in der CD/DVD-Rubrik nachzulesen. Mit “Rent” endet die erste Staffel dieser Serie.

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