[Die Beste ihrer Art] In dieser Serie beschreiben muz-Autoren jeweils für ein Musical, welche CD-Aufnahme die ihrer Meinung nach relevanteste und beste ist. Heute: muz-Redakteurin Claudia Leonhardt erklärt, warum sie die Broadway-Aufnahme von “Aida” favorisiert.
Auf deutschen Stadttheaterbühnen trifft man Elton Johns “Aida” in den letzten Jahren häufig an. Will man sich die Verdi-Adaption ins heimische Wohnzimmer holen, stehen zwar diverse CDs zur Auswahl, doch es gibt bedeutend weniger Einspielungen, als dass es bei anderen populären Stücken üblich ist.
Neben zwei englischsprachigen Aufnahmen – einem Konzept-Album und der Einspielung vom Broadway – erschienen gerade mal ein halbes Dutzend internationale Alben, unter anderem aus den Niederlanden und Japan sowie die deutsche Cast-CD aus Essen aus dem Jahr 2004. Was Songauswahl und -präsentation betrifft, sind sich die Aufnahmen sehr ähnlich. Da “Aida” ein eher dialoglastiges Musical ist, sucht man vergebens nach einer Komplettaufnahme. Die CDs enthalten zwar alle Songs des Stückes, Zwischenmusik und Sprechtexte wurden aber fast vollständig geschnitten.
Obwohl das Konzept-Album von 1999 mit der Fülle an Popstars (u.a. Tina Turner, den Spice Girls, Sting und Lenny Kravitz), die sich Komponist Elton John zur Verstärkung geholt hat, durchaus reizvoll ist – mit einer Musical-CD hat es wenig zu tun. Die Songabfolge ist dermaßen durcheinander gewürfelt, dass kein Handlungsfaden zu erkennen ist, und auch die Titel an sich klingen in dieser Einspielung eher wie Popsongs.
Sucht man hingegen nach einer Aufnahme, die den Charakter des Stückes am besten wiedergibt und dabei qualitativ überzeugt, kommt man an der Broadway-Aufnahme aus dem Jahr 2000 nicht vorbei, die das Prädikat “Beste ihrer Art” in jeder Hinsicht verdient. Elton Johns Kompositionen werden häufig als zu balladenlastig kritisiert, aber dennoch gelingt es der Aufnahme, mit dem fulminanten Übergang von “Every Story is a Love Story” zu “Fortune Favors the Brave” eine hohe Dynamik aufzubauen und diese über weite Strecken zu halten, was einerseits der hervorragenden Orchestrierung, andererseits der Leistung der Darsteller zu verdanken ist. Allen Unkenrufen zum Trotz ist die CD alles andere als einseitig geraten, mit einem Spektrum, das von Showstoppern wie “My Strongest Suit” und “Another Pyramid” über Powerballaden wie “Written in the Stars” bis hin zu sehr sanften, leisen Nummern wie “I Know the Truth” reicht.
Im Laufe der Broadwayproduktion haben Popgrößen wie Deborah Cox und Toni Braxton die Titelrolle übernommen, dennoch ist es ein Glückgriff, dass auf der CD Heather Headley zu hören ist, der die Rolle förmlich auf den Leib geschneidert scheint. Headley bringt die richtige Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit ein, um Aida glaubhaft zu machen: ihre Wut auf die ägyptischen Eroberer, ihre Selbstzweifel an ihrer Rolle als Anführerin, ihre Liebe zu Radames und die Freundschaft zu Amneris, ihre Verzweiflung und ihre Bereitschaft, sich für die Freiheit ihres Volkes zu opfern. “Easy As Life”, in dem Headley fast die gesamte emotionale Bandbreite zeigt, ohne dabei jemals klischeehaft oder unglaubwürdig zu wirken, ist ein Höhepunkt der Aufnahme.
Nicht nur Headley, sondern auch der Rest der Ur-Broadway-Cast überzeugt auf der Einspielung: Adam Pascals kraftvolle Rockstimme ist wie geschaffen für den ägyptischen Heeresführer Radames. Ebenso wie Sherie René Scott als Amneris gelingt es ihm, sowohl den dynamischen Nummern Intensität einzuhauchen, als auch die leisen Balladen authentisch zu interpretieren. Die drei Hauptdarsteller harmonieren gut miteinander, nicht nur in Hinblick auf die stimmlichen Klangfarben, sondern auch in ihren Rolleninterpretationen und dem emotionalen Timing, was zwar auf der CD-Aufnahme nicht so schwer ins Gewicht fällt wie auf der Bühne, aber auch das Hörerlebnis bereichert.
Auch wenn man als deutschsprachiger Fan der eigenen Muttersprache zugetan ist, ist die deutsche Castaufnahme kein wirklicher Hörgenuss. Die Übersetzung von Michael Kunze wirkt holprig und trifft an einigen Stellen nicht den Ton des Originals (z.B. den zynischen Humor, wenn die nubischen Sklaven von Aida fordern, “All we ask of you is a lifetime of service, wisdom, courage. To ask more would be selfish, but nothing less will do”, der im Deutschen komplett verloren geht: “Wir woll’n nichts von dir als ein Leben voll Arbeit, Würde, Hoffnung. Das genügt. Und du gibst es uns, weil du fühlst wie wir.”). Die Orchester-Playbacks, die im Vergleich zur Broadway-Aufnahme weniger satt und klangvoll erscheinen, wurde vom niederländischen Castalbum übernommen und geben damit den Darstellern nicht viel Raum zur freien Entfaltung. Doch auch unabhängig davon kann von den Protagonisten nur Maricel als Amneris wirklich überzeugen.
Noch ein Geheimtipp unter den internationalen Aufnahmen:
Die niederländische Einspielung. Hier gibt Chaira Borderslee die Aida über weite Strecken ungewohnt sanft und wird erst nach und nach zur leidenschaftlichen Anführerin – eine grundverschiedene Rollenauslegung im Gegensatz zu Heather Headley und auch zu Florence Kasumba auf der deutschen Aufnahme, doch Dank Borderslees wohlklingender Stimme ebenfalls sehr ansprechend und emotional überzeugend. Leider ist auch bei der Scheveninger Aufnahme die Klangqualität im Vergleich zum Broadway-Album unbefriedigend, und obwohl Ex-“Caught in the Act”-Star Bastiaan Ragas kein schlechter Radames ist, kann er in Intensität und Emotionalität seiner Interpretation Adam Pascal nicht das Wasser reichen. Alles in allem ist die niederländische Version zwar keine echte Alternative zur Broadway-CD, sie lohnt sich aber vor allem für “Aida”-Fans, die sich gerne auch mehr als eine Aufnahme des Stückes ins CD-Regal stellen. (cl)
Welche CD von “Aida” bevorzugen Sie? Forum mitdiskutieren. Zum Finale der zweiten Serienstaffel lesen Sie nächste Woche: muz-Redakteur Andreas Haider bespricht die Aufnahmen von “Starlight Express”.