Und irgendwer sagte: Heidi

Wie macht man aus einem Kinderbuch ein Musical für Erwachsene? “Heidi”-Autor Dominik Wilgenbus über Improvisation, Parodien, Abschluss-Gags und ein äußert kurzfristiges Engagement im Kleid.

Der Kinderbuchklassiker Heidi als Musical für Erwachsene. Wir kommt man auf eine solche Idee?
Dominik Wilgenbus, Autor und Regisseur: Ein bisschen Wahnsinn gehört schon dazu. Eigentlich ist Heidi aus einer Notlage heraus entstanden. Vor einigen Jahren ist uns am Münchner Metropol-Theater ein Stück kurzfristig weggebrochen. Die Fördermittel waren bewilligt, aber die Hauptdarstellerin fiel aus – da hat der Kollege das Projekt abgesagt. Wir brauchten dringend einen Ersatz, und irgendjemand – ich weiß wirklich nicht mehr, wer – sagte plötzlich: Heidi. Wir sind erst einmal zum Computer gerannt, ob es so etwas schon gibt. Aber außer einem wenig erfolgreichen amerikanischen Musical und einer Oper gab es nur Adaptionen für Kinder. Dabei ist der Stoff nicht nur bekannt, sondern auch emotional und hat alles, was man für ein Musical braucht. Vor etwa drei Jahren hat Bernhard Helmich, der heutige Intendant der Musikalischen Komödie Leipzig, das Stück in München gesehen und spontan gesagt: Das will ich haben. Aber groß. Also haben wir aus dem Fünf-Personen-Kammertheater-Schnellschuss ein richtiges Musical gemacht. Das Stück wurde dramaturgisch komplett überarbeitet, Nummern ersetzt, Übergänge anders gemacht, ein neues Finale geschrieben. Man kann wirklich sagen, Leipzig war eine Uraufführung.

Heidi ist grell und laut. Eine Parodie?
Nein, auf keinen Fall. Ich setze mich doch nicht freiwillig zwei Stunden lang in eine Parodie; das kann ein Sketch in fünf Minuten. Ich finde die Geschichte gut. Natürlich ergibt sich eine spannende Reibung daraus, wenn man eine solche Geschichte mit den klassischen Show-Elementen mischt. Natürlich ist das ganze auch eine Bearbeitung. Den Originaltext von Johanna Spyri würde man heute ja auch keinem 8-Jährigen mehr unkommentiert vorsetzen. Ich mag es, wenn eine Geschichte so stark ist, dass sie unterschiedliche Stile zusammen hält. Das betrifft die Musik – zwischen Udo Jürgens und klassischer Operette, dazu Pop-Songs, Show-Nummern und Volksmusik abseits des Musikantenstadels. Aber das betrifft auch die Form – etwa musical-untypische Elemente wie einen Sprechchor oder längere Schauspielszenen, die nicht nur den Übergang zur nächsten Nummer darstellen. Es liegt beim Publikum, ob es ein Problem damit hat, dass es nicht einfach nur auf einem Musical-Stuhl sitzt.

Doch leiden unter der Buntheit nicht die Figuren? Hatten Sie an denen wirklich Interesse?
Doch, unbedingt. Natürlich ist die Welt in Frankfurt grell. Aber das entspricht der Wahrnehmung des Mädchens – das Verhältnis zum Alm-Öhi wird wesentlich leiser erzählt. Die Pioniertat von Johanna Spyri lag ja gerade darin, das Kind Heidi nicht als unfertigen Erwachsenen anzusehen, sondern ernst zu nehmen. Die Wahrnehmung Heidis wird gleichberechtigt mit der der Erwachsenen erzählt. So inszeniere ich eigentlich immer: sich das Kindliche zu bewahren ist die Grundvoraussetzung für Schauspiel. Deshalb ist die Inszenierung oft so, wie Kinder Theater spielen – etwa wenn ein in die Luft gehaltener Holzrahmen zum Speicher-Fenster wird. Viele Erwachsene merken erst dann, wenn man ihnen solches Theater vorspielt, dass sie noch Phantasie haben.

Noch einmal die Frage: Wie wichtig waren Ihnen die Charaktere?
Wir wollen mit dem Stück keinen Kommentar zu Frau Spyri abgeben, sondern respektieren ihr Werk. Heidi hat nun einmal einen sehr guten Charakter. Dass war auch für die Schauspielerin, Anna Silvia Lilienfeld, nicht einfach. Sie hat oft gesagt: »Warum tut Heidi das? Ich würde das nicht so machen.« Aber so ist Heidi halt. Was wir dazu interpretiert haben, ist die stille Leidenschaft von Fräulein Rottenmeier zu Herrn Sesemann, die im Buch so nicht niedergeschrieben ist. Aber sie ist eine Erklärung. Warum herrscht das Fräulein Rottenmeier so tyrannisch? Warum erzieht sie Klara zur Abhängigkeit, und stellt nie in Frage, dass die Krankheit unheilbar ist? Weil sie Angst hat, dann im Hause überflüssig zu sein. Wenn Heidi kommt und alles umschmeißt, dann ist sie für das Fräulein Rottenmeier eine echte Gefahr.

In der Schlussszene signiert Heidi einen Stapel Heidi-Bücher und verteilt sie ans Ballett. Ein Abschluss-Gag?
Ja, das ist tatsächlich auf einer Probe aus einer Laune heraus entstanden. Dann haben wir uns angeschaut, ob damit etwas erzählt wird. Ich glaube schon. Wir müssen am Ende aus der Heidi-Welt heraus und dem Publikum wieder den Ball zuspielen. Was es daraus macht, kann ich ihm natürlich nicht vorschreiben. Außerdem gab es noch einen ganz pragmatischen Grund: Wie soll man einen furiosen Schluss schaffen, wenn die ganze Bühne sowieso schon voll ist?

In einer Vorstellung sind sie selbst in ein Kleid geschlüpft und haben das Fräulein Rottenmeier gespielt. Wie kam das?
Angela Mehling, unser Fräulein Rottenmeier, war am Premierenwochenende gesundheitlich angeschlagen. »Notfalls spiel ich das«, habe ich da noch gescherzt. Drei Tage später klingelte in München das Telefon: »Du, es hilft nichts. Komm her, du musst heute Abend einspringen.« Also habe ich mich ins Auto gesetzt, bin nach Leipzig gefahren, habe meinen Bart geopfert und die Vorstellung gespielt. Da anschließend kein Flieger mehr zu bekommen war, bin ich nachts um drei ins Auto gestiegen, um gerade noch pünktlich um zehn Uhr zum Konzeptionsgespräch in der Wiener Volksoper zu sein. Sowas macht man auch nur einmal im Leben. Die Kinder hätte ich aber nicht gespielt. So besoffen kann das Publikum nicht sein, um mich als Heidi zu akzeptieren.

Jetzt inszenieren Sie in Wiener wieder eine Operette. Wird es weitere Musicals von Ihnen und h. c. mylla geben?
Die Musikalische Kömodie hat uns bereits beauftragt, in zwei Jahren die nächste Uraufführung abzuliefern. Aber welchen Stoff wir uns dafür vorknöpfen – ehrlich gesagt habe ich noch keine Ahnung.

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