Musical bald nur noch ein Hobby?

Geldmangel trifft auch die Musicalsparten der staatlichen Theater. Welche Auswirkungen hat das auf Darsteller und Zuschauer? Jörg Löwer von der Bühnengewerkschaft GDBA im Interview.

Jörg Löwer arbeitet als Choreograf und Musicaldarsteller und arbeitet im Landesvorstand Nord der GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger). Zusätzlich ist er Arbeitnehmervertreter beim Bühnenschiedsgericht.

Jede größere Stadt in Deutschland verfügt über mindestens ein staatlich subventioniertes Theater. An diesen Theatern werden neben Sprechtheater, Oper und Ballett natürlich auch Musicals inszeniert – mitfinanziert vom Steuerzahler. Doch das Geld wird immer knapper – worauf müssen sich Musicalzuschauer und Darsteller in Zukunft einstellen?

Jörg Löwer: Im Bereich Musical wird oft zuerst gespart. Für viele Intendanten hat die Sparte Musical einfach keine Priorität – und die Musical-Darsteller sind die kleinste Gruppe und dazu noch kaum organisiert. Wer hier kürzt, hat also mit wenig Widerständen zu rechnen.

Sollte man also eine Kampagne starten, um deutschen Intendanten das Musical näher zu bringen?

In Musicals als Aushängeschild zu investieren ist aus Intendantensicht Energieverschwendung. Im deutschen Kulturbetrieb profiliert sich ein Theater über die Sparten Sprechtheater und Oper.

Besonders frustrierend ist es, wenn ein Intendant wie Klaus Pierwoß in Bremen es trotzdem versucht, eine vielgepriesene und hocherfolgreiche Musicalsparte aufbaut und diese dann Sparmaßnahmen zum Opfer fällt.

Gerade bei Klassikern wie “My Fair Lady” ist das Haus oft voll. Könnte es da nicht auch ohne Subventionen gehen? Wozu sparen, wenn die Kasse klingelt?

Stadttheater sind immer von Subventionen abhängig. Selbst wenn eine Produktion sehr gut läuft, kann ein Stadttheater dieses Musical nicht vom restlichen Spielplan abkoppeln. Die Einspielquoten an Stadttheatern liegen aufgrund der Programmvielfalt – tägliche Auf- und Abbauten, Anzahle der Kostüme und Sets etc. – im Durchschnitt bei 16 Prozent.

Was ist mit Sponsoring?

Das ist ein zweischneidiges Schwert: Die Produktion verliert schnell ihre Unabhängigkeit, weil die Sponsoren Einfluss auf den Inhalt nehmen wollen. Außerdem sind auch Sponsorengelder nicht unbegrenzt verfügbar.

Sponsoren zahlen häufig das “Sahnehäubchen”, wie z.B. den Star, aber nicht die Tanzschuhe für alle.

Also muss gespart werden. Wie wirken sich die Sparmaßnahmen konkret aus?

Immer häufiger tauchen Theaterprojekte auf, die Ein-Euro-Jobber suchen. Formal sind das Arbeitslose, die über unsere Steuergelder bezahlt werden – für die Theater entstehen so kaum Kosten. Wenn diese Entwicklung auf die Stadtheater übergreift, dann gute Nacht.

Gibt es nicht die Regel, dass nur “zusätzliche” Posten mit Ein-Euro-Jobbern besetzt werden dürfen, dass also kein bestehender Arbeitsplatz verloren gehen darf?

Ja, nur hilft das uns Musicaldarstellern nicht weiter – wir sind ja in den seltensten Fällen fest angestellt. Fest angestellt ist das Stammensemble an Stadttheatern, das sind meist Schauspieler oder Opernsänger – und Musicaldarsteller werden nach Bedarf dazuengagiert, als so genannte “Gäste”. Unsere Jobs sind also schon vom Prinzip her “zusätzlich” – freie Bahn für Ein-Euro-Jobber.

Eine ketzerische Frage: Ob die Subventionen nun an die Theater fließen und von da an die Darsteller, oder ob die Darsteller das Geld direkt von der Arbeitsagentur bekommen – läuft das nicht auf dasselbe hinaus?

Für die Darsteller ist es nicht dasselbe. Die Ein-Euro-Jobber haben deutlich weniger Geld in der Tasche, weniger Sicherheit – und das Stigma des Arbeitslosen.

Gibt es noch weitere Sparmaßahmen?

Ja, oft auch zu Lasten der Qualität. Ensembles werden verkleinert, Statisten als Darsteller eingesetzt. Musicalrollen werden mit Opernsängern aus dem Hausensemble besetzt, ob sie für die Rolle geeignet sind oder nicht.

In Eisenach ist ein kompletter Opernchor entlassen worden, der Chor kam stattdessen vom Band. Zum Teil leidet die Qualität so stark, dass man sich wirklich fragen muss, ob es unter diesen Bedingungen sinnvoll ist, ein Musical zu produzieren. Die geringste Schuld trifft dabei die Theater selbst, die kämpfen ums Überleben.

Und wie sieht es für den einzelnen Darsteller aus, wenn er überhaupt noch ein Engagement bekommt?

Ich will hier gar nicht die Diskussion anfangen, ob “Hartz IV” generell sinnvoll oder gerechtfertigt ist. Aber fest steht: Die neuen Regelungen sind für Arbeiter und Angestellte gemacht – für Musicaldarsteller und andere unständig Beschäftigte passen einige Vorschriften einfach nicht.

Zum Beispiel?

Musicaldarsteller müssen wie normale Angestellte auch in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Um diese dann aber in Anspruch nehmen zu können, muss der Darsteller mindestens 360 Arbeitstage innerhalb der letzten zwei Jahre nachweisen können. Das kann für “Freie”, die nicht bei der Stage Entertainment oder bei Stadttheatern fest angestellt sind, gar nicht funktionieren. Wer kein Engangement mehr hat, fällt also sofort auf das Arbeitslosengeld II (bekannt als Hartz IV) zurück – und das wird ja auch noch mit vorhandenen Ersparnissen verrechnet. Das macht es sehr schwer, eigene Reserven anzusparen.

Und wie steht die Arbeitsagentur dazu?

Die ZBF (die für Schauspieler zuständige Abteilung der Arbeitsagentur, d. Red.) leidet mit uns und versucht ihr Bestes, aber die meisten Sachbearbeiter vor Ort sind mit den Realitäten von Musicaldarstellern völlig überfordert. Und was noch dazu kommt: Als ALG-II-Empfänger ist man verpflichtet, “zumutbare” Jobs anzunehmen. Was passiert aber, wenn sich ein spontanes Engagement mit so einem Job überschneidet? Das ist alles noch nicht geklärt.

An wen können sich unsere Leser wenden, wenn Sie zu diesem Thema mehr wissen wollen?

Am besten an die GDBA.

Viele unserer jüngeren Leser überlegen, selbst Musical-Darsteller zu werden. Können Sie angesichts der schwierigen Situation überhaupt noch dazu raten?

Ich kann nur sagen: Überlegt Euch das gut. Musicaldarsteller wird gerade für viele junge Kollegen oft zum Nebenberuf – immer mehr benötigen ein zweites Standbein, um finanziell überhaupt überleben zu können. Da wird dann der Kellner- oder Taxifahrjob schnell zur Dauereinrichtung – und irgendwann ist die Bühne nur noch Hobby.

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