Es kommt nicht auf die Größe an

Kenneth Posey und Thomas Zaufke über die Erstaufnahme eines Phantom-Songs, den CD-Markt in Deutschland und die Frage, wie man beim Komponieren auf Sänger eingehen kann.

Der US-Amerikaner Kenneth Posey arbeitet schon lange in Deutschland. Er war unter anderem in “Phantom der Oper”, “Die Schöne und das Biest” und in der Titelrolle in der Bremer “Jekyll & Hyde”-Produktion zu sehen. Posey engagiert sich für die Entwicklung der Kunstform Musical in Deutschland, etwa als Mitorganisator des Branchentreffens “Circle 2005”. Der Berliner Komponist Thomas Zaufke steht für einige der innovativesten deutschen Musicals der vergangenen Jahre: “Elternabend”, “Babytalk”, “Letterland” und “Held Müller”.

Für die CD Musical Stars 2 haben Sie, Herr Posey, den Song “Hinaus ins Licht” aus der “Phantom der Oper”-Fassung von Ihnen, Herr Zaufke, aufgenommen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Thomas Zaufke: Wir kannten uns schon von einem Auftritt vor einigen Jahren. Im Dezember haben wir uns beim Circle 2005, den Ken zusammen mit Cornelia Drese organisiert hatte, wiedergesehen. Dort haben wir auch Andreas Luketa von Sound of Music, der diese CD zusammenstellte, getroffen.

Posey: Andreas Luketa hatte mich gefragt, ob ich etwas aus meinen CDs “If I Sing” und “Tire Tracks” für “Musical Stars 2” freigeben möchte. Ich sagte ihm, dass ich lieber etwas Neues aufnehmen würde. Er sagte dann, er habe da schon was im Hinterkopf und würde mich zurückrufen…

Welche Rolle spielt Andreas Luketa generell für Ihre CD-Aufnahmen?

Zaufke: Er ist immer ein großer Vorreiter unserer CDs. Der Vertrieb bei Sound of Music ist für uns eine gute Möglichkeit, eine größere Öffentlichkeit für unsere Produktionen zu bekommen. Wir sind ja doch eher im Avantgarde-Bereich tätig und nicht in den großen Theatern.

Posey: Andres Luketa bzw. Sound of Music spielte auch eine wichtige Rolle für den Erfolg meiner Alben. Das Musical-Geschäft in Deutschland braucht mehr Macher wie ihn, die dieses Genre auch lieben.

Herr Posey, wie entscheiden Sie, welche Arbeiten, z. B. hier die Aufnahme von “Hinaus ins Licht”, Sie annehmen und welche nicht?

Posey: Wenn man einen Song einzeln aufnimmt – ohne Zusammenhang zum Stück – muss man entscheiden, ob er stark genug ist, um alleine stehen zu können. Er muss bestimmte Kriterien erfüllen, die für mich sehr wichtig sind: eine Melodie, die eine Atmosphäre erschafft und zusammen mit dem Text eine Szene kreiert. Es muss möglich sein, den Zuhörer auf eine Reise mitzunehmen, eine Geschichte zu erzählen – ohne Gesten, ohne Beleuchtung, ohne Regie, nur mit stimmlichen Nuancen. “Hinaus ins Licht” hat mich sofort angesprochen und meine Kriterien in jeder Hinsicht erfüllt. Das ist leider nicht immer der Fall.

Herr Zaufke, der Song “Hinaus ins Licht” stammt aus Ihrem “Phantom der Oper”. Es gibt ja schon einige Musicals zu diesem Stoff. Warum noch ein Musical?

Zaufke: Es war damals einfach das Problem, dass das “Phantom der Oper” von Andrew Lloyd Webber rechtlich nicht frei war, es aber ein großes Interesse daran gab, eine Tournee-Produktion durch Deutschland, Frankreich und Österreich zu schicken. Man ist dann an mich herangetreten und hat gefragt, ob ich Lust hätte, für diesen Stoff und für ein kleines Orchester etwas zu komponieren. Ich habe natürlich gerne ja gesagt, denn es ist für einen Komponisten immer schön, mal mit 18 oder 20 Musikern zu arbeiten, anstatt nur mit acht oder zehn. Außerdem ist der Stoff ja wirklich schön.

Aber wird das Thema auch aus einer anderen Perspektive betrachtet?

Zaufke: Wir sind mit dieser Version sehr nah an dem Buch von Leroux geblieben. Es ist sehr aus der Sicht von Erik geschrieben, dessen Name bei Webber nie auftaucht. Natürlich betrachtet das Stück die gleichen Punkte, den gleichen Verlauf der Geschichte, aber die Musik ist an anderen Punkten gesetzt. Das Phantom hat viel zu singen, es gibt wunderschöne Duette zwischen Christine und dem Phantom. Aber auch Giry und der Direktor, die in unserer Variante eher das komische Pärchen bilden, bekommen mehr zu tun. Charlotta hat natürlich auch hier eine Wahnsinnsarie.

Wie sind “Phantom der Oper”, aber auch die anderen kleineren Produktionen wie “Babytalk” und “Elternabend” im Gegensatz zu den großen Ensuite-Shows qualitativ angesiedelt?

Zaufke: Die Ausgangsbasis ist eine andere. Die großen Theater müssen immer mehr auf das Budget schauen, und dass die Zuschauer auch wirklich ins Theater kommen. Aber nicht alle großen Shows sind schlecht – es gibt wunderschöne Sachen. Wir würden natürlich auch gerne große Shows in großer Qualität auf die Bühne bringen. Von der Opulenz, mit 80 Musikern zu arbeiten und diesen enormen Bühnenbildern und Kostümen, kann ich nur träumen. Das Problem ist oft das Budget. Aber in den kleineren Theatern mit 300 oder 400 Plätzen, wie die Neuköllner Oper und das Schlossparktheater, kann man oft auch verrücktere Sachen machen, die einem mehr am Herzen liegen.

Posey: Laut einer Umfrage beim Circle 2005 ist “Kreativität” der wichtigste berufliche Aspekt eines Musical-Profis. Das kann man in kleinen und großen Produktionen gleichermaßen erleben oder nicht erleben. Auf die Größe kommt es nicht an.

Wie sieht es mit dem Bekanntheitsgrad der Stücke und des Komponisten aus?

Zaufke: Darüber hab ich gerade mit einem Kollegen gesprochen. Die meisten Leute kennen die Komponisten garnicht. Die breite Öffentlichkeit kennt einige Stücke, kennt Lloyd Webber und vielleicht Sondheim. Aber wer kann schon auf Anhieb fünf Musicalkomponisten nennen? Allerdings, wenn ich auf der Straße laufe und niemand erkennt mich, das hat auch was. Ich denke, jemand wie Ken oder ein Uwe Kröger werden auf der Straße eher angesprochen. Ob man nun Lust dazu hat oder nicht, ist eine andere Sache. Man muss damit zurechtkommen. Ich finde es schön, das ich innerhalb des Geschäfts bei den Leuten, mit denen ich arbeite, einen Namen habe und die sich freuen, mit mir zu arbeiten.

Herr Posey, wie arbeitet es sich mit dem Komponisten Zaufke?

Posey: Es gibt große Unterschiede unter Komponisten. Viele setzen einfach Texte auf Töne und scheinen wenig Ahnung von Melodien und Stimmkenntnisse zu haben. Musical-Theater ist so viel mehr als nur gesungene Texte! Was ich an der Musik von Thomas so gut finde, ist die gute Mischung von eingängigen Melodien und spritziger Textnutzung. Außerdem sind seine Stimmkenntnisse außergewöhnlich gut. Er singt selber, und das macht meinen Job leichter.

Wie war denn die Zusammenarbeit während der Aufnahmen?

Beide: Wir haben viel gelacht…

Zaufke: Ich bin bei der Arbeit sehr pingelig, da muss alles stimmen. Bei der Arbeit mit Ken hat mich beeindruckt, dass er sehr viel probiert hat und sehr konzentriert zugehört hat, was mir gefällt und was nicht. Ken ist sehr ehrlich mit sich und sehr offen für Kritik. Das findet man bei Sängern selten. Die Aufnahme ist so gut geworden, weil eine Art Akrobatik dabei war – diese tolle Stimme, der Spaß am Rumprobieren… zum Beispiel dieser hohe Ton, der ist einfach durch das Rumprobieren entstanden. Ich dachte mir, das klingt toll, da schlagen die Leute doch lang hin… (zu Posey) Was war das? Das hohe e?

Posey: h

Zaufke: Also etwas wahnsinnig Hohes, was ich mein Leben nie rausbringen würde.

Posey: Wenn ich im Tonstudio bin, versuche ich, die Dramatik stimmlich zum Zuhörer zu transportieren. Dafür gehe ich relativ tief in mich hinein. Trotzdem muss, ab und zu, unterbrochen werden, wegen neuer Ideen, Vorschläge, Korrekturen, Wiederholungen. Das zu balancieren ist nicht leicht, aber an dem Tag war alles easy. Die Atmosphäre war positiv, die Arbeit kreativ. Thomas und Toningenieur Holger Schwark waren beide super.

Wenn Sie als Komponist etwas aufnehmen lassen wollen, gehen Sie dann mit einer Interpretationsvorlage zum Sänger?

Zaufke: Natürlich habe ich eine Vorstellung von dem, was mir gefällt. Aber interessant wird es erst, wenn ein Sänger kommt, der einen eigenen Gestaltungswillen und eine eigene Vorstellung hat – und das auch umsetzen kann. Als Komponist stelle ich ein Grundmaterial, aber es muss gesungen und aufgeführt werden.

Posey: Wir hatten nur eine gemeinsame Probe, die jedoch sehr kreativ war. Aber es gab noch mehr als das. Ob nun positiv oder negativ, ich bin ein sehr denkender Mensch und ich habe Thomas einige Male angerufen, obwohl er mitten in einer Produktion in Wien steckte und wollte wissen, wie er sich das eine oder andere vorgestellt hat. Da der Song für mich unbekannt war, wollte ich alles testen. Ich habe es in verschiedenen Tonarten probiert. Letztendlich hat ein Großteil der Proben gar nicht im selben Raum stattgefunden.

Denken Sie beim Schreiben schon an den Interpreten?

Zaufke: Ich versuche, jeden vorher kennenzulernen. Ich habe gerade am Düsseldorfer Schauspielhaus für die Weihnachtsproduktion gearbeitet. Ich habe mir vorher jeden Sänger, also eigentlich Schauspieler/Sänger angehört, denn die meisten dort sind wirklich Schauspieler. Ich habe mit ihnen gearbeitet, gefragt, womit sie sich wohl fühlen, welche Tonlage ihnen liegt, wo ihre Schwächen sind, was sie gerne singen und was für Musik sie gerade hören. Ich versuche, mit jedem etwas zu machen, was ihn fordert, aber nicht überfordert.

Posey: Ich habe das Gefühl, nicht viel Leute machen das. Denn es ist ein Unterschied, wo bei einer Frau oder einem Mann die Power in der Stimme sitzt. Thomas schreibt auf jeden Fall wie gegossen für eine Männerstimme.

Würde es Sie reizen, die Rolle des Phantoms auch auf der Bühne zu verkörpern?

Posey: Eine leidende Seele mit einer Vielfalt von emotionalen Schichten, wo stimmliche Nuancen den Schmerz und die Leidenschaft lebendig machen? Klar!

Wird es vom “Phantom der Oper” eine Cast-Aufnahme geben?

Zaufke: Ich würde gerne. Aber da es eine Tourneeproduktion ist, die immer wieder auseinandergeht, ist es schwierig. Ständige Castwechsel – mit den dadurch auftretenden Qualitätsschwankungen ist das kaum machbar. Man müsste seine Wunschcast nach Berlin bringen, jeden Song einzeln aufnehmen und dann zusammenbringen. Finanziell ist es natürlich auch immer eine Herausforderung, Sponsoren wären nicht schlecht. Aber wenn, dann wäre Ken das Phantom.

Posey: Ich würde das gerne machen. CD-Aufnahmen kosten viel und es muss einfach alles stimmen. Es gibt wirklich viel gute Musik, die noch nicht aufgenommen ist. Doch man verdient kaum Geld mit CDs, das ist einfach Fakt.

Zaufke: Die Anzahl derjenigen, die in Deutschland Musical-CDs kaufen ist ja fast noch kleiner, als die Zahl derjenigen, die Jazz-CDs kaufen. Und es stellt sich die Frage: Braucht die Welt eine Cast-Aufnahme von meinem “Phantom der Oper”?

Posey: Ich denke schon. Das Ding mit CDs ist einfach, dass sie leben. Live-Theater ist natürlich wunderbar. Aber viele Fans, und ich zähle mich im Bereich Musical-Theater dazu, sind Fans geworden, weil sie eine Aufnahme gehört haben. Und deswegen ist es wichtig.

Was kommt bei Ihnen als nächstes?

Zaufke: Jetzt freuen wir uns erst mal darauf, dass die CD von Held Müller erscheint und dass sie sich gut verkauft. Dann gibt es ja ein “Zaufke Songbook” mit diversen Songs aus den verschiedenen kleinen Produktionen, davon soll es mal eine zweite geben.

Posey: Ich möchte meiner Tätigkeit als Gesangslehrer und Vocal-Coach weiterhin treu bleiben. Eines meiner größten Anliegen ist der Stand des Musical-Gesangs im deutschsprachigen Raum. Viel zu häufig hört man nasalen, flachen und farblosen Gesang, als ob das “der Klang” des Musical-Theaters wäre. So ein Quatsch! Die Gesangsstimme ist eines der wichtigsten Werkzeuge eines Musical-Darstellers. Eine gute Stimmnutzung verleiht Alter, Klassenschicht, Persönlichkeit. Die Belastung eines Musical-Darstellers ist auch ziemlich heftig, und je mehr man seine Stimme kennt und versteht, desto geringer ist die Gefahr, dass etwas schief geht. Natürlich möchte ich das Singen nicht vernachlässigen. Sollte ein interessantes Projekt auftauchen, wäre ich nicht abgeneigt.

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