Fast jeder, der sich für Musical interessiert, singt auch irgendwann – oftmals heimlich. Macht man sich seine Stimme kaputt, wenn man falsch singt? Gesangspädagoge und Schauspieler Eberhard Storz gibt Tipps für Hobby- und Hinter-dem-Steuer-Sänger.
Ist das Nachsingen und Mitsingen von Musical-Songs ein Risiko für die Stimme? Wenn Sie eine der einfachsten Regeln beherzigen, ist die Antwort ein klares Nein. Was Sie sich als Anfänger im Sport zunächst nicht zumuten würden, sollten Sie auch beim Singen vermeiden: Extreme. Singen Sie nicht höher, lauter, länger, sondern zunächst vor allem bequem. Und selbstverständlich ist der Stimmbruch (auch bei Mädchen!) eine Krisenzeit, in der Schonung angesagt ist.
Die Stimme braucht Übung. Viel Übung. Machen Sie sich jemals Gedanken darüber, wie eingeschränkt Sie eigentlich ihre Stimme täglich benutzen? Der Säugling hat vier Oktaven Stimmumfang und kann außer artikulierter Sprache einfach alles – vom Jodeln bis zum Kehlkopfpfeifen. Erwachsene haben die artikulierte Sprache, aber alles andere nicht mehr. Was die Säuglinge stimmlich so stark macht, sind die sogenannten vorartikulatorischen Laute: Brummen, Lachen, Stöhnen und Schluchzen sind die wahren Stimmhelfer.
Alle diese hochemotionalen Lautäußerungen, die durch die gute Erziehung systematisch unterdrückt werden, sind dem Gesang viel näher als der artikulierten Sprache. Nicht irgendeiner Hochleistungsvariante des Gesangs wie dem Belcanto oder dem Höömii (dem tibetischen Kehlkopfgesang), sondern dem Populargesang – dem “Gesinge”, das zunächst mal in erster Linie Spaß machen soll.
Probieren Sie mal: Nehmen Sie ein “Maulvoll” Ton. Da die Lippen locker (!) aufeinander liegen, erklingt ein “M”. Nun kauen Sie den Ton ein wenig skeptisch durch, fragen sich, wie das eigentlich schmeckt, schon ändert sich die Tonhöhe. Und wenn Sie nun finden, dass das ganz ausgezeichnet schmeckt und Sie das mit Ihrem Ton kommentieren, setzen Sie automatisch die Randschwingung (das Falsett) ein und bekommen ein Intervall, das schon weit über Ihren normalen Sprechumfang hinausgeht. Ja, Sie sind bereits am Singen und haben gerade eine der besten Aufwärmübungen gemacht!
Und dann stöhnen Sie ein wenig wohlig in den Ton hinein. Wenn Ihre Stimme dabei anfängt zu schnarren, ist das kein Stimmfehler, sondern ein Zeichen dafür, dass Sie perfekt “locker im Hals” sind. Solange Sie sich so fühlen, sind Sie auf der sicheren Seite.
Aber noch einmal zurück zum Nachsingen. Es gibt bei Popstars individuelle, faszinierende Gesangsstile, die man als “dirty singing” bezeichnen könnte, und die den Sängern oft erhebliche stimmliche Krisen bescheren. Davon muss man natürlich dringend abraten. Musical dagegen ist ein Genre, kein Gesangsstil. Da gibt es sogar Kindgerechtes. Außerdem hört der Laie erfahrungsgemäß einfach auf, wenn das Resultat allzu unbefriedigend klingt und die Halsschmerzen zu heftig werden – außer, er wird durch “professionelle Anleitung” dazu angehalten, weiterzumachen, “weil es erst mal weh tun muss”. Dafür kenne ich haarsträubende Beispiele.
Fünf kleine Tipps für beginnende Musicalsänger:
1. Summen Sie die Songs zunächst in kleinen Abschnitten. Sie können innerlich mitsprechen und sich vorstellen, dass der Text ganz bequem mitten auf der Zunge liegt. Dann öffnen Sie die Lippen höchstens einen Spalt breit und denken sich den Text so deutlich wie möglich. So soll es immer bleiben: scharf denken und locker artikulieren, niemals umgekehrt. Sie werden automatisch mitartikulieren und eine Mischung benutzen, mit der Sie sich nicht verschreien können.
2. Bewegen Sie sich beim Singen tänzerisch. Dann weiß der Körper genau, wieviel Luft er braucht.
3. Singen Sie die Songs wenn möglich in der Originalsprache, aber nicht in der Originaltonart. Zunächst bieten sich da natürlich die Musicals an, die deutschen Originaltext haben (Michael Kunzes Übersetzungen der Abba-Songs kann man als Originale betrachten.) Warum? Wenn Sie einen Song auf Englisch im Ohr haben, werden Sie auf Deutsch versuchen, den typischen Sound mit falschen Mitteln zu erzielen, denn die deutschen Laute und das Klangempfinden sind anders. Man braucht viel Erfahrung, wenn das nicht verzerrt klingen soll.
4. Wenn Sie üben wollen, machen Sie ein paar Runden Gibberish. Das ist Unsinnsgebrabbel in allen Tonlagen. Wenn Sie etwas konkreter üben wollen und ein Zungenspitzen-R beherrschen: Machen Sie immer größere Schleifen. Auf diesen Laut gibt es keine Registerbrüche. Ersatzweise geht das auch auf sehr intensives stimmhaftes S. (Das getrillerte Zungenspitzen-R wird natürlich nur noch in Oper und Oratorium gesprochen, fürs Musical ist es tabu.) Das sind kleine Trainingseinheiten, die ihren Zweck von selbst erfüllen.
5. Ganz anders ist das mit “interessanten Übungen”. Wenn Sie nicht wissen, wozu eine Übung gut ist – lassen Sie es!
Meine “Kleine Stimmaufweck-Serie” finden Sie unter diesem Link.