Regisseur Matthias Davids über die österreichische Erstaufführung von “Miss Saigon”, die Arbeit als Musiktheater-Regisseur und die Vor- und Nachteile des kommerziellen und des subventionierten Theaters.
Matthias Davids wurde in Münster geboren und studierte an der dortigen Universität Musikwissenschaften, Germanistik und Sprecherziehung. Nachdem er Hauptrollen in verschiedenen Musicals (u.a. “Jesus Christ Superstar”, “West Side Story”) spielte, wechselte er ins Regiefach und machte sich mit seinen zahlreichen Musical- und Operninszenierung einen Namen.
Im Februar 2011 bringen Sie “Miss Saigon” in Klagenfurt zur österreichischen Erstaufführung. Wird es Parallelen zu Ihrer Inszenierung in St. Gallen (Schweiz) im Jahr 2003 geben oder bekommt Klagenfurt seine eigene “Miss Saigon”?
Klagenfurt bekommt seine eigene “Miss Saigon”, denn in acht Jahren verändert sich natürlich so manche Sichtweise auf ein Stück und dessen Inhalt. Unsere Grundidee, die sich in St. Gallen meiner Meinung nach hervorragend bewährt hat, werden wir allerdings beibehalten. Aus den Trümmern der Zerstörungen eines furchtbaren Krieges erwächst etwas Neues, aus der Asche erblüht Hoffnung, auf den Ruinen wohnen die Opfer und versuchen zurechtzukommen. Diese Idee werden wir auch im Bühnenbild visualisieren.
Was reizt Sie an “Miss Saigon”, dass Sie es bereits zum zweiten Mal inszenieren?
In “Miss Saigon” vereinigt sich alles, was gutes Musiktheater ausmacht: Es ist eine hoch emotionale Liebesgeschichte vor dem Hintergrund einer historischen Ausnahmesituation, die Figur des Engineers bildet mit seinem zynischen Humor ein Gegengewicht zum Liebespaar Kim und Chris und vertieft die durchaus ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg, die wir in “Miss Saigon” finden.
Denken Sie, dass “Miss Saigon” die Wirren des Vietnamkrieges recht realistisch darstellt, oder ist es mehr Fiktion als Wirklichkeit?
Ein Musical kann kein Geschichtsstudium ersetzen. Selbstverständlich habe ich mich im Vorfeld beider Produktionen ziemlich ausführlich mit Verlauf und Hintergründen des Vietnamkriegs auseinandergesetzt. Dabei fällt auf, was bei der flüchtigen Beschäftigung mit “Miss Saigon” gar nicht so deutlich wird: Die Autoren haben die historischen Fakten sehr geschickt mit ihrer Erzählung verwoben, statt sie lediglich als farbigen Hintergrund zu missbrauchen. Ihre Kunst besteht auch darin, dass man sich als Zuschauer trotzdem nicht belehrt fühlt und die Figuren nicht nur als Stellvertreter für verschiedene Positionen daherkommen.
Die deutschen Texte von Heinz Rudolf Kunze, die bei “Miss Saigon” zu Gehör kommen, wirken teilweise etwas holprig und wurden in der Vergangenheit immer mal wieder bemängelt. Wie stehen Sie zu den Texten?
Ich vertrete – abgesehen von Ausnahmefällen wie der “West Side Story” – stets die Ansicht, man solle für ein deutschsprachiges Publikum in deutscher Sprache spielen. Erfahrungsgemäß sind nur wenige des Englischen so mächtig, dass sie Songtexte ohne Weiteres verstehen. Die Möglichkeit der Übertitelung erhöht die Kluft zwischen Bühne und Zuschauern und scheidet deshalb für Musicals mit einem gewissen Anspruch meiner Ansicht nach deshalb ebenfalls aus. Die deutsche Fassung von Heinz Rudolf Kunze halte allerdings auch ich für teilweise nicht sehr gelungen. Die Konditionen, die auf den Rechteinhaber Cameron Mackintosh zurückgehen, sind da jedoch glasklar und unmissverständlich: Die Adaption oder Veränderung auch einzelner Zeilen des deutschen Textes ist nicht erlaubt. Was soll man da machen? Zum Glück ist das Stück so gut, dass die paar misslungenen Übertragungen keinen so großen Schaden anrichten, wenn man das Ganze betrachtet.
In Klagenfurt werden recht bekannte Musicaldarsteller wie Carsten Lepper als Chris und Wietske van Tongeren als Ellen auf der Bühne stehen. Inwiefern waren Sie denn bei der Besetzung der einzelnen Rollen involviert?
Die Besetzung von “Miss Saigon” habe ich gemeinsam mit dem Musikalischen Leiter Michael Brandstätter, der Choreografin Melissa King und in Absprache mit der Theaterdirektion gemacht. Sollten einmal unterschiedliche Meinungen aufkommen, muss natürlich einer entscheiden – das ist dann halt der Regisseur.
Wenn wir uns Ihre Vita ansehen, können wir feststellen: Über zu wenig Regieaufträge können Sie sich nicht beschweren. Wie kommen Sie eigentlich zu diesen Aufträgen? Kommen die Theater ausschließlich auf Sie zu oder bewerben Sie sich um Regieaufträge?
Sich für Theaterproduktionen als Regisseur zu bewerben, ist nach meiner Erfahrung völlig sinnlos. Die Intendanten haben etwas von dir gesehen oder du bist ihnen empfohlen worden, und dann rufen sie dich an. Am Anfang gehört ein bisschen Glück dazu, und man wird nicht gerade von Anfragen überrollt. Inzwischen läuft es aber sehr gut. Vor allem fragt man mich auch öfters wegen ungewöhnlicher Projekte an, für die ich immer offen bin. Ich hoffe, es bleibt noch eine Weile so.
Wie dürfen wir uns die Arbeit eines Regisseurs genau vorstellen? Haben Sie ein festes Schema, nach dem sie immer arbeiten?
Wenn sechs Wochen vor der Premiere die Proben beginnen, habe ich die meiste Arbeit, aber auch den meisten Spaß schon hinter mir. Etwa ein Jahr vorher geht es los. Ich lese das Textbuch, höre, wenn vorhanden, die verschiedenen Aufnahmen der Musik und schaue mir den Klavierauszug an. Dann kommt die wunderbare Zeit, in der ich Sekundärliteratur wälze – Biografien der Autoren, historische Hintergründe, Stückgrundlagen wie Romane oder Schauspiele, wissenschaftliche Werke, Kunst- und Fotobände. Im günstigsten Fall entstehen dabei erste Ideen für die Bühnen- und Inszenierungskonzeption. Mit meinem Bühnenbildner setze ich mich auch schon früh zusammen, und wir gehen nicht auseinander, bis wir eine hoffentlich ungewöhnliche Idee für die Ausstattung haben.
Sie führen im Musical genauso Regie wie in der Oper. Liegen Ihnen beide Genres des Musiktheaters gleichermaßen am Herzen? Wo sind für Sie als Regisseur die Unterschiede?
Ich liebe beide Genres. In der Vorbereitung unterscheiden sich Opern- und Musicalinszenierungen nicht wesentlich – beide verlangen ernsthafte und kreative Arbeit. Unterschiede gibt es bei der Probenarbeit. Opernsänger sind aus nachvollziehbaren Gründen sehr um ihre Stimme besorgt, und man kann sie nicht beliebig auf der Bühne herumturnen lassen, wenn sie eine schwierige Arie über die Rampe bringen müssen. Ich finde aber, die Genregrenzen sollte man weitestgehend ignorieren, denn jedes Stück hat seine eigenen Erfordernisse, die mehr durch Inhalt, Figuren und Musik als durch das Genre definiert werden.
Sie haben schon viele Musicals inszeniert. Vor allem jedoch an Stadt- und Staatstheatern, weniger an großen Ensuite-Häusern. Ist das purer Zufall oder gewollt?
Ich habe in beiden Systemen gearbeitet und kenne Vor- und Nachteile des kommerziellen und des subventionierten Theaters. An den Ensuite-Häusern werden fast immer die Originalinszenierungen aus New York oder London übernommen, die von Assistenten des Originalregisseurs einstudiert werden. Die Stadt- und Staatstheater können bei den Produktionskosten natürlich nicht mithalten, dafür profitieren sie von einem existierenden künstlerischen und technischen Stab und sind in der Stückwahl viel freier als die zum Megaerfolg verdammten Ensuite-Häuser.
Würden Sie sagen, dass Sie an kleineren Häusern wesentlich freier arbeiten und mehr eigene Ideen in eine Inszenierung einfließen lassen können als bei Musical-Großproduktionen?
Ja, das ist schon richtig. Allerdings muss ich einschränkend sagen: Theater wie die Staatsoper Hannover, das Gärtnerplatztheater in München oder die Staatsoper Nürnberg sind riesige Betriebe, die an Professionalität und Vielfalt der Möglichkeiten nach meiner Erfahrung kommerziellen Häusern oft überlegen sind.
Während viele Stadt- und Staatstheater oft Mut beweisen und auch Stücke spielen, die nicht massenkompatibel erscheinen, wird dem Publikum an den großen Häusern momentan ein Jukebox-Musical nach dem anderen vorgesetzt. Was denken Sie, wie sich das Musical im deutschsprachigen Raum in dieser Hinsicht weiterentwickeln wird?
Musical ist auch deshalb so spannend, weil es sich in seiner Zeitgebundenheit stetig verändert. Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, bestimmte Moden zu beklagen, sondern mich darauf konzentrieren, meine persönlichen Perlen zu entdecken und, wenn möglich, zu fördern. Offenbar gibt es heute ein großes Publikum für das Compilation-Musical, das Musik, die es kennt, in einer besonderen Darbietungsform genießen will und sich nicht von einer oft etwas hölzernen Story irritieren lässt. Das mag mir persönlich nicht so gefallen, aber ich verurteile es nicht. Bisher konnte ich oft auch mit eher ungewöhnlichen Stücken ein genügend großes Publikum erreichen, aber seien wir ehrlich: Man kann in Deutschland nicht zwei Jahre lang ein Tausend-Plätze-Haus mit Sondheim füllen.