© Max Poschau Fotografie
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Mehr als nur Körper und Hülle

Christian Funk ist bissig – aber nur auf der Bühne, wo er aktuell als Herbert in der vielbeachteten St. Galler Version von “Tanz der Vampire” zu sehen ist. Im Interview ist der gebürtige Kieler, der 2014 sein Ausbildung an der Universität der Künste Berlin abschloss und seitdem nicht über mangelnde Beschäftigung klagen kann, ganz zahm. Wir haben dem jungen Künstler auf den (Reiß-)zahn gefühlt und mit ihm über seine Erlebnisse in der Neuinszenierung des Polanski-Klassikers, seine Inspiration und den Körperkult im Musicalbusiness gesprochen.

Christian, wie seid ihr, Regisseur Ulrich Wiggers und du, an die Rolle des Herberts in St. Gallen herangegangen?

Ulrich hat am Anfang intensive Einzelgespräche mit allen Hauptdarstellern zu ihren Rollen geführt. Dabei hat er mich gefragt, wie alt Herbert für mich ist. Da ich gerade 26 geworden war, ist das auch das Alter “meines” Herberts. Das passt dann auch gut als Sohn von Thomas Borchert, der im Alter meines Vaters ist. Dann haben wir uns überlegt, dass Herbert als Sohn des Grafen von Krolock sozusagen als Kronprinz eine besondere Ebene zwischen dem Grafen und den anderen Vampiren bildet. Auch darüber, ob Herbert schon als Mensch Krolocks Sohn war und über das Verhältnis zu seinem Vater haben wir viel gesprochen.

Der Herbert in St. Gallen ist nicht ganz so exaltiert und tuntig wie im Original, auch von den Kostümen her. Zusätzlich bin ich bis zum “Gebet” und auch bei “Ewigkeit” im Ensemble mit dabei, was auch neu ist.

Worin liegt für dich der entscheidende Unterschied der Neuinszenierung im Vergleich zur Original-Produktion?

Ich habe die Original-Inszenierung nicht gespielt und kann das deshalb nur von außen beurteilen. Die Version in St. Gallen ist moderner und spielt in der heutigen Zeit. Der größte Unterschied ist, dass die Vampire sehr viel menschlicher sind als im Original, wo sie quasi entmenschlicht – also durch Make-Up, Kostüme und Perücken entfremdet – sind. In St. Gallen leben die Vampire in Alltagskleidung unter den Menschen und verstellen sich. Jeder könnte also ein Vampir sein. Dadurch wirken sie zwar von außen nicht bedrohlich, sind jedoch viel gefährlicher als vorher. Das ist der “Twilight”- und “Vampire Diaries”-Ansatz von Ulrich Wiggers: Die Vampire haben eine Evolution durchgemacht und können nun auch am Tag unter uns sein. Nur direktes Sonnenlicht vertragen sie nicht. Ein weiterer Unterschied betrifft die Kostüme: Sie zeigen mehr Haut und sind “sexier”.

Auf dem Mitternachtsball sind die Vampire dann wieder unter sich, schlüpfen in ihre alte Kleidung und dürfen sie selbst sein. Sie sind immerhin teilweise mehrere hundert Jahre alt. Ulrich Wiggers ist dem Stück mit großem Respekt begegnet und hat feinfühlig seine Version adaptiert. Ein großer Vorteil ist, dass er das Stück gut kennt, da er es selbst in Berlin gespielt hat.

Du hast an der UdK studiert und konntest schon einige Berufserfahrung sammeln. Wenn du nun die Ausbildungsinhalte und die Anforderungen der “wirklichen Arbeitswelt” vergleichst, fühlst du dich im Nachhinein gut auf deinen Beruf vorbereitet?

Rein technisch gesehen hat mich der vierjährige Unterricht in Gesang, Tanz und Schauspiel natürlich sehr gut vorbereitet. Nichtsdestotrotz ist die Lehrzeit danach natürlich nicht beendet, man muss weiter an seiner Stimme und seinem Körper arbeiten. Während meines Studiums hatte ich die Möglichkeit, in zwei Stücken an der Neuköllner Oper zu spielen, was mir einen ersten Einblick in meine späteren Engagements gab. 2012 habe ich die Rolle des Babysitters Pauli von Nicky Wuchinger bei “Frau Zucker will die Weltherrschaft” übernommen und 2013/14 in unserer eigenen Abschlussproduktion “Stimmen im Kopf” die Rolle des Dr. Thomsen kreiert. Die Stückentwicklung dauerte 1,5 Jahre.

Es gibt aber auch Dinge, auf die dich die Uni nicht vorbereiten kann wie die unnatürliche Situation bei Auditions. Im Schnitt habe ich bisher zu 80% eine Absage nach der ersten Runde bekommen. Mit meiner Quote von 20% für das Weiterkommen bin ich allerdings gut dabei. Ich hatte auch schon mal eine Serie von 18 Auditions-Absagen hintereinander. Die Enttäuschung dieser permanenten Ablehnungen ist hart, aber man darf es nicht persönlich nehmen. Mit Absagen muss man umzugehen lernen und sich immer wieder neu motivieren. In diesem Beruf ist es extrem wichtig, sehr reflektiert und ehrlich zu sich selbst zu sein. Ich sammele meine Erfahrungen, lerne daraus und finde meinen persönlichen Weg. Auch aus jedem Engagement und von Kollegen nehme ich vieles mit.

Auch auf die Probenzeit kann einen die Ausbildung nicht wirklich vorbereiten. Man kommt dabei so oft an Grenzen, wenn man kurz davor ist zu verzweifeln. Das entwickelt sich aber nach und nach. Bei Premieren bin ich oft noch sehr angespannt und verkrampft. In eine Rolle komme ich dann manchmal erst nach ein paar Aufführungen richtig hinein. Das ständige Leben aus dem Koffer, sowie die jährlichen Steuererklärungen sind ebenfalls Dinge, die man selbst erfahren muss und auf die dich die Uni nicht wirklich vorbereitet.

Und für den Umgang mit Pannen gibt es vermutlich auch kein “Patentrezept”, das sich einfach erlernen ließe…

Das stimmt! Aber Pannen passieren immer wieder auf der Bühne. Man bleibt irgendwo mit dem Kostüm hängen, vergisst den Text, verpatzt einen choreografischen Schritt oder singt eine Strophe zweimal. Das fällt aber meistens weniger auf, gerade weil viele Stücke sehr frei inszeniert werden. Man muss auf der Bühne immer wach und konzentriert sein. Es ist eben live. Wenn wir auf der Bühne mal lachen müssen, macht auch uns das Spaß. Das Publikum findet es ebenfalls toll.

Bisher hast du in Stadttheatern und Open-Air-Produktionen gespielt. Hast du den Wunsch, einmal in einer Großproduktion zu spielen? Wenn ja, in welcher?

Generell möchte ich auch Long-Run spielen, allein um die Erfahrung zu machen. Es hat alles sein Für und Wider. Bei einem Engagement in einer Großproduktion hast du die Möglichkeit, nach der Probenphase einen echten Alltag zu entwickeln. Außerdem hat man durch die Show-Routine die Zeit und die Möglichkeit, wirklich alle Facetten seiner Rolle zu entdecken und herauszuarbeiten. Du bist für ein Jahr an einem Ort und spielst abends deine Show, rennst nicht zu Auditions, kannst in dein Fitness-Studio und zu einem festen Gesangslehrer gehen und deine Freunde treffen. Und natürlich ist das Gehalt für ein Jahr gesichert und solide – ein wesentlicher Vorteil im Vergleich zu der Arbeit am Stadttheater. Da muss man unter Umständen, wenn man nur ein oder zwei Shows pro Monat in einer Produktion spielt, nebenbei noch anderweitig jobben gehen, damit das Geld zum Leben reicht.
Es ist allerdings gerade ein großer Luxus für mich, am Theater St. Gallen arbeiten zu dürfen. Die Menschen dort behandeln ihre Darsteller wahnsinnig wertschätzend, was Leistungen, Unterbringung und Hilfestellung angeht.

Was macht für dich allgemein den Reiz der Arbeit an Stadttheatern aus?

Der Vorteil an den Stadttheatern liegt darin, dass man mehrere Stücke parallel spielen kann. Ich hatte 2016 vier Engagements nebeneinander. Von allen Theatern habe ich dabei viel Entgegenkommen erfahren. In Lübeck und Gelsenkirchen hatte ich je eine Zweitbesetzung. Daher waren Überschneidungen von einzelnen Shows möglich.

Die Abwechslung ist ein Riesenluxus und ein großer Reiz. Ich habe parallel Musicals, eine Operette, Konzerte, ein Musikvideo und einen Kurzfilm gemacht. Dabei war ich zwar viel im Zug und alle zwei Tage in einer anderen Stadt – aber es war toll. Wenn ich wählen könnte, würde ich dies gerne wieder machen dürfen, allein wegen der großen künstlerischen Entfaltungsmöglichkeit!

Mit einer Großproduktion erreichst du natürlich wesentlich mehr Menschen und Bekanntheit, vor allem bei neuen Shows mit CD-Aufnahme. Bei den Stadttheatern sind zum großen Teil die regionalen Abonnenten im Saal.

Als Musicaldarsteller bist du oft nur kurz an den Orten deines Engagements. Wie schaffst du es, Freundschaften bzw. Beziehungen innerhalb und außerhalb der Szene zu knüpfen bzw. zu erhalten?

Es funktioniert bei mir relativ gut. Mein engster Freundeskreis ist mehr oder weniger seit 15 Jahren unverändert. Von meinen sechs engsten Freunden sind nur zwei Darsteller, die anderen haben völlig andere Hintergründe. Ich lerne aber auch gerne und schnell neue Menschen in Produktionen kennen und habe eine gute Zeit mit denen. Die Musical-Welt ist klein, viele Darsteller sehe ich bei Auditions und Produktionen immer wieder. Mit den meisten verstehe ich mich gut. Es gibt natürlich stets neue, losere Kontakte, die meist gut halten. Bis jemand allerdings mein echter, enger Freund wird, dauert es bei mir sehr lange.

Die Beziehungspflege fordert einen gewissen Einsatz von meiner Seite und ein gewisses Verständnis von der anderen Seite. Beides ist gegeben. Ich bekomme in meiner Familie sehr ehrliches Feedback zu meinen Leistungen auf der Bühne und erfahre da volle Unterstützung von Familie und Freunden. Wenn man sein Hobby zum Beruf macht, birgt das immer die Gefahr, dass man sich nur noch eindimensional damit beschäftigt. Auch deshalb ist es für mich wichtig und bereichernd, auch Freunde aus anderen Bereichen zu haben, die mir immer wieder auch anderen Input geben.

Wie hältst du dich, deine Stimme und deinen Körper fit?

An der Stimme muss man stets arbeiten und Übungen machen. Ich gehe regelmäßig zum Gesangsunterricht, oft zu meinem ehemaligen Professor von der UdK Berlin, der meine Stimme am besten kennt, aber auch zu anderen Lehrern. Die Gefahr ist, dass sich durch den Automatismus bei eingespielten Rollen kleine Manierismen und Fehler einschleichen. Die Konzentration lässt mit der Zeit nach. Die Stimme ist ein Muskelapparat und daher lasse ich mich wie ein Leistungssportler einmal im Jahr von einem HNO-Arzt durchchecken. Schließlich verdiene ich mit meiner Stimme mein Geld und sie muss noch ein paar Jahrzehnte durchhalten.

Der Job hält einen körperlich ohnehin fit. Zusätzlich gehe ich regelmäßig ins Fitnessstudio. Seit 1,5 Jahren zeige ich quasi durchgehend sehr viel Haut auf der Bühne. Wenn ich mich unwohl fühle in einer Szene, merkt das Publikum das und ich spiele nicht glaubwürdig. Daher trainiere ich meinen Körper intensiv und achte sehr auf gesunde Ernährung. Das Schlimmste, was man Muskeln antun kann, ist Alkohol – also trinke ich sehr wenig. Ich würde aber gerne auch mal wieder weniger auf meine Figur achten müssen.

Also ist der “Körperkult” schon extrem im Business?

Mein ehemaliger Tanzprofessor hat uns Jungs stets gesagt, dass wir damit rechnen müssen, bis 35 oben ohne bei Auditions zu sein. Gleich bei meinem allerersten Vorsingen musste ich tatsächlich mein Shirt ausziehen. Ich bin 1.000 Tode gestorben. In Kritiken werden teilweise meine Figur und mein Aussehen wichtiger genommen als mein Spiel und meine Stimme. Ich war schon an einem Punkt, an dem ich gedacht habe: Ich bin nicht nur Körper und Hülle! Bei Rollen wie Rocky gehört das natürlich dazu. Wenn mir der Regisseur plausibel klarmacht, warum ich auf der Bühne wenig anhabe, macht das für mich Sinn. Als Herbert soll mich Alfred schließlich mit Sarah in der Badewanne verwechseln. Mit meiner Rückseite habe ich keine Probleme, eine frontale Nacktszene würde mich ganz viel Überwindung kosten. Aber ein nackter Hintern ist ja heute nichts Besonderes mehr.

Welche Rollen und Stücke interessieren dich für deine Vita?

Der Großteil der Rollen, die mich interessieren, sind vom Rollenalter noch zu alt für mich. Graf von Krolock, den Tod und Jekyll würde ich gerne spielen, aber das braucht noch Zeit. Als Bariton habe ich weniger Auswahl an jugendlichen Rollen. Auch Frank’n’Furter reizt mich, weil man da die Sau rauslassen kann. Joe Gillis ist eine tolle Rolle, in die ich vom Alter auch langsam passe.

Als Stücke interessieren mich Drama-Musicals wie “Les Misérables”, “Next to Normal”, “Rebecca” und “Dracula”, auch wegen der mächtigen Klänge. Dazu mag ich moderne Popstücke wie “Book of Mormon” oder “Legally Blonde”. Dort könnte ich mir den Warner vorstellen, weil ich dabei auch mal das Arschloch sein könnte. Modernere Stücke gefallen mir insgesamt besser als die alten Broadway-Klassiker. Das Musical hat sich als Genre sehr gut weiterentwickelt. Ich werde gerne herausgefordert, gerade wenn meine Rollen wenig mit meiner eigenen Persönlichkeit zu tun haben. Eine Uraufführung würde ich natürlich auch wahnsinnig gerne einmal machen, wo ich die Chance hätte eine Rolle selbst zu kreieren.

Gibt es schon konkrete Pläne, wie es bei dir nach den Vampiren weitergeht?

Im Sommer werde ich das Ensemble von “Hair” in Amstetten verstärken und freue mich auf die erneute Zusammenarbeit mit Regisseur Alex Balga, mit dem ich bereits bei “9 to 5″ vom „Vom Geist der Weihnacht” zusammengearbeitet habe. Er arbeitet sehr zielorientiert und geht sehr respekt- und liebevoll mit seinen Künstlern um. Dabei treffe ich Jana Stelley wieder, mit der ich im letzten Sommer “9 to 5” gespielt habe und freue mich unter anderem auf Drew Sarich, Oliver Arno, Barbara Obermeier und Marjan Shaki. Das ist eine tolle Besetzung.

Dazu habe ich im Sommer ein paar Open-Air-Konzerte. Und in der nächsten Saison werde ich erneut in St. Gallen bei den Vampiren spielen.

Christian, vielen Dank für das Interview und alles Gute für dich!

 
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