Kaum ein Regisseur erfreut sich im deutschsprachigen Raum einer solchen Beliebtheit wie Andreas Gergen, der mittlerweile über 80 Opern, Operetten und Musicals inszeniert hat – darunter zahlreiche Ur- und Erstaufführungen. Zum Musical und vor allem nach Tecklenburg zieht es Gergen allerdings immer wieder zurück. In diesem Sommer inszeniert er für die Freilichtbühne die deutsche Erstaufführung von “Don Camillo und Peppone” – und hat dafür einige Überraschungen im Gepäck.
Herr Gergen, was macht die Arbeit in Tecklenburg für Sie so besonders?
Andreas Gergen: Tecklenburg ist ein ganz besonderer Arbeitsplatz… Sowohl in Bezug auf die Bühne als auch das Team, das hinter den Freilichtspielen steht. Die Bühne bietet viele Möglichkeiten, Musicals auf eine ganz authentische und realistische Art und Weise umzusetzen. Hier findet man durch die örtlichen Gegebenheiten bereits eine “Realität” vor, die man im Theater von Null auf erfinden muss.
Durch die vielen Spiel- und Auftrittsmöglichkeiten der Bühne kann man als Regisseur seiner Fantasie freien Lauf lassen und die vorhandenen Voraussetzungen perfekt nutzen, um Szenen und Situationen real wirken zu lassen. Ich erinnere zum Beispiel an die Szene “Strandgut” aus “Rebecca”, die in einem Theater nur schwer umzusetzen ist. In Tecklenburg war das eine atemberaubende Ensemblenummer, auf die ich heute noch stolz zurückblicke.
Ebenso ergeht es mir mit der aktuellen Inszenierung von “Don Camillo und Peppone”, wo wir das Dorf Boccaccio mit einem großen Musicalensemble und Chor sehr authentisch umsetzen können. Wo kann man schon über 60 Darsteller auf einer Musical-Bühne erleben? Auch in Hinblick auf technische Möglichkeiten lässt Tecklenburg mittlerweile keine Wünsche mehr offen, wie zum Beispiel die Feuersbrunst bei “Manderley in Flammen”. Die Theaterleitung macht es möglich.
Der Intendant Radulf Beuleke fordert künstlerisch hohes Niveau und stellt dafür ideale Bedingungen. Das trifft auch auf die Auswahl der tollen Darstellerinnen und Darsteller zu, die in Tecklenburg zu sehen sind. Hier geben sich die Stars die Klinke in die Hand – trotz eines sehr intensiven Arbeitspensums, jedoch in sehr familiärer Wohlfühl-Atmosphäre. Auch darauf legt die Theaterleitung großen Wert. Kein Wunder, dass sich Tecklenburg in den letzten Jahren an die Spitze der Sommerfestivals hochkatapultiert hat.
Ihre Inszenierung von “Don Camillo und Peppone” – die Erstaufführung des Stückes in Deutschland – wird mit Spannung erwartet. Können Sie verraten, ob es Änderungen zur Schweizer Uraufführung und österreichischen Erstaufführung geben wird?
Andreas Gergen: Obwohl ich das Stück bereits in St. Gallen und Wien inszenieren durfte, entdecke ich “Don Camillo und Peppone” hier komplett neu, denn durch die andere Besetzung höre ich neue Töne und werde zu neuen Ideen inspiriert. Ich bin mit einem komplett frischen Blick auf das Werk an die Konzeption gegangen und habe dem Stück einen anderen „Rahmen” verliehen. Während bei der St. Gallen/Wien-Produktion die Erzählerin unserer Geschichte – die “alte Gina” – in ihrem Ort umherspaziert, um sich dort an die Nachkriegsmomente zu erinnern, kommt die Tecklenburger Gina in Begleitung ihres Enkels mit einem Auto vorgefahren. Dort, wo einst ihr Geburtsort stand, wird heute an einer Autobahn gebaut. Inspiriert vom Rauschen eines in der Nähe gelegenen Flusses taucht sie in die Erinnerung und erzählt von den Begebenheiten, als an diesem Ort einst zwei konkurrierende Ideologien schließlich doch zu einem Konsens gefunden haben.
Gina ist das ein besonderes Anliegen, denn sie möchte der nächsten Generation diesen demokratischen Gedanken vermachen: Nur, wenn man sich gegenseitig respektvoll zuhört und versucht, den Standpunkt des anderen zu verstehen, ist ein friedliches Miteinander möglich. Ein Beharren auf radikalen Ideologien verursacht nur Streit und Zwist. Aktueller könnte eine Botschaft nicht sein…
Das klingt spannend. Ist es eigentlich schwieriger oder leichter, Stücke zu inszenieren, deren Stoff dem Publikum bereits vertraut ist?
Andreas Gergen: Für mich macht es keinen Unterschied, ob ein Stoff dem Publikum vertraut ist oder nicht. Meine Inszenierungen stellen die Geschichten in den Vordergrund. Dabei lasse ich mich von ganz eigenen Inspirationen leiten und versuche ein Thema herauszuarbeiten, warum wir ausgerechnet diese Geschichte erzählen. Heutige Relevanz und Authentizität sind dabei Begriffe, die mir wichtig sind.
Andererseits beeinflussen die Darsteller maßgeblich die Anlage ihrer Rollen. Der Don Camillo von Thomas Borchert wird ein anderer sein als der von Andreas Lichtenberger oder Fernandel; der Peppone von Patrick Stanke ein anderer als der von Frank Winkels oder Gino Cervi.
Es geht bei meinen Inszenierungen für die Darstellerinnen und Darsteller nicht darum, etwas nachzuspielen, sondern als Mensch in diesem Moment zu sein. Dazu ermutige ich mein Ensemble fast täglich. Sie sollen keine Befehlsempfänger sein, sondern kreative Schöpfer. Deshalb ist es eigentlich unmöglich, in die Falle zu tappen, bei bekannten Stoffen Erwartungen erfüllen zu wollen. Solchen Erwartungen kann man eh nicht gerecht werden, da jeder einzelne Zuschauer sowieso mit ganz eigenen Bildern und Vorstellungen im Kopf ins Theater kommt.
Jeder Moment auf der Bühne soll authentisch und echt sein – und zwar das jeden Abend! Dann erlebt das Publikum die Geschichte auch neu und braucht keine Vergleiche zu anderen Interpretationen und Vorlagen.
Vielen Dank für dieses Gespräch. Wir freuen uns auf den Festspielsommer!
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