In unserer neuen Kolumnen-Reihe berichtet Musicaldarsteller Robert Meyer aus der Branche. Zum Auftakt widmet er sich dem Thema: Wie läuft eine Musical-Audition ab? Wie bewirbt man sich, wer wird eingeladen – und was ziehen die Kandidaten an?
Am Anfang steht immer die Audition. Deswegen finde ich es auch eine schöne Idee, diese Kolumne mit dem Thema “Audition” zu starten. Ehrlich gesagt kann ich gar nicht so genau sagen, wie viele Auditions ich in meinem Leben bisher schon gemacht habe. Vielleicht um die 60? 80? Oder sogar über 100? Ich weiß es nicht.
Bei den ersten war ich sehr nervös und hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Danach wurde es besser – mittlerweile bin ich zwar immer noch ein wenig angespannt, wie man das eben vor einem Bewerbungsgespräch ist, aber ich bin (meistens) gut vorbereitet. Ich weiß, was mich erwartet und wie eine Gesangs-Audition* abläuft:
Sechs Wochen vorher
Für jede Audition – ob Stage Entertainment oder Stadttheater – schickst Du eine Bewerbung ein bzw. bittest Deine Agentur, eine Bewerbung einzureichen. Dafür braucht es einen Lebenslauf, auf dem Name, Körpergröße, Stimmfach und bisherige Engagements vermerkt sind. Natürlich benötigst Du auch noch ein möglichst neues Portraitfoto.
(Ich lasse alle zwei, drei Jahre neue Portraitfotos machen – genau wie die meisten der Kollegen.)
Vier Wochen vorher
Du hast Dich entweder für eine bestimmte Rolle oder generell für das Stück an sich beworben. Jetzt entscheiden die Verantwortlichen, für welche Parts Du in Frage kommst. Ob sie Dich für einen Part beziehungsweise überhaupt in dem Stück sehen, kann von vielen Dingen abhängen: Deiner Stimme, Deinem Typ…. Wenn alles gut passt, wirst Du eingeladen, oft auch unabhängig davon, wieviel Erfahrung Du schon hast.
Dreieinhalb Wochen vorher
Bald darauf erhältst Du dann Noten und meist einige Szenen Deiner potentiellen Rolle per Email. Es sind oft bis zu drei Songs, die Du lernen musst, dazu bis zu drei Szenen.
In letzter Zeit wird – so mein Gefühl – mehr Material geschickt. Übrigens: Wenn Du nicht für eine Rolle, sondern fürs Ensemble eingeladen wirst, dann singst Du selber ausgewählte Songs und sprichst Deine eigenen Monologe.
Drei Wochen vorher
Du lernst nach und nach alle Schauspiel-Szenen und Lieder, die Du geschickt bekommen hast. Erst allein, dann gehst Du sie alle noch mal mit einem Gesangslehrer und / oder einem Repetitor durch.
(Ich lerne die Texte am liebsten zu Hause auf meinem Sofa, da habe ich Ruhe und werde nicht seltsam angeschaut, wenn ich laut “Ich bin ein Nachtvogel, tagsüber nicht zu gebrauchen!” rufe.)
Eine Woche vorher
Du hast nun theoretisch alles drauf, beherrschst die Szenen-Texte, kannst die Lieder und musst jetzt die Feinheiten herausarbeiten.
(Ich zwinge in diesem Stadium gern meine Freunde dazu, mit mir zu üben. Ich habe schon mal meinen besten Kumpel dazu überredet, die Killer Queen aus “We Will Rock You” zu sprechen oder meine Freundin gezwungen, den “Les Misérables”-Valjean zu machen).
Eine Stunde vorher
Du kommst kurz vor der vereinbarten Uhrzeit am Ort der Audition an. Die Termine kann man sich meist nicht aussuchen, sie werden zugeteilt.
(Ich weiß ehrlich gesagt nicht, nach welchen Kriterien das geschieht. Ich persönlich freue mich immer, wenn mein Termin am Nachmittag ist: Da ist meine Stimme komplett wach.) rnManchmal findet auch ein OpenCall statt, für den Du Dich nicht vorher bewerben musst. Wenn Du um 10 Uhr da bist, kommst Du aber möglicherweise erst am Nachmittag dran.
Eine halbe Stunde vorher
Du sitzt vor dem Audition-Raum, schaust Dir vielleicht noch ein letztes Mal die Texte an und redest ein paar Worte mit den anderen Bewerbern. Viele der Kollegen kennt man von anderen Shows, das ist immer sehr nett. Die meisten sind normal, aber schick angezogen – ab und zu ist mal einer dabei, der sich beim Outfit ein wenig an der Rolle orientiert. (Bei der “Paramour”-Audition etwa gab es einige Kandidaten, die der Hauptfigur A.J. Golden ähnlich sahen.)
Irgendwann ist es dann soweit: Du wirst aufgerufen, gehst in den Audition-Raum hinein und stehst vor den Verantwortlichen. Casting-Direktor, Regisseur und musikalischer Leiter sind immer da, teilweise können es jedoch auch 15 Leute sein, die Dir gegenübersitzen. Sie bitten Dich, diesen oder jenen der vorbereiteten Songs zu singen. Oft wollen sie die großen Lieder hören.
(Bei “Liebe stirbt nie” sollte ich “So sehr fehlt mir Dein Gesang” singen, beim “Tanz der Vampire” war es immer die “Unstillbare Gier”.)
Wenn das Team dann merkt, dass Du nicht passt, kommt im schlimmsten Fall schon nach 16 Takten ein “Danke!” und die Audition ist – ohne große Erklärungen – vorbei. Doch wenn es gut läuft, Du in die Inszenierung passt, die Töne triffst und den Text kannst, geht es weiter.
(Ich kann mich zum Glück gut an Texte erinnern. Nur beim Casting zu “Ghost” wusste ich plötzlich nichts mehr. Gar nichts. Das ist mir heute noch unangenehm.)
Wenn die Verantwortlichen Deinen Auftritt mochten, behalten sie Dich oft gleich noch da und arbeiten direkt vor Ort, während des Castings, für einige Minuten mit Dir an dem Material.
(Zum Beispiel hat Michael Reed, der musikalische Leiter von “Tanz der Vampire”, bei meiner Krolock-Audition mit mir gearbeitet und mir erklärt, wie er sich die Rolle vorstellt.)
Sofern Du weiter bist, gibt es meistens noch ein kurzes Vortanzen in der Gruppe – dann hast Du endlich diese Audition geschafft.
(Bei tanzintensiven Stücken kann das auch mal länger sein, aber für die bewerbe ich mich gar nicht erst – ich will es niemandem antun, mich “Cats” tanzen zu sehen.)
Ein paar Tage später bekommst Du dann Bescheid, ob es geklappt hat. Eine Absage kommt oft per Email, eine Zusage per Anruf direkt aus dem jeweiligen Theater: “Du warst ja letztens bei uns zur Audition. Das hat uns wirklich sehr gefallen…”
Bis zum nächsten Mal.
P.S. Lass mich gern wissen, zu welchen anderen Musical-Themen Du eine Kolumne von mir lesen möchtest. Schreib mir dazu einfach eine Nachricht via Instagram oder Facebook.
*Achtung: Ich rede hier von Gesangs-Auditions; es gibt auch noch spezielle Auditions für die Tänzer. Dort gilt: Erst tanzen, dann singen, der Ablauf an sich ist aber ähnlich.
Der Autor
Robert Meyer(@robertmeyerofficial) ist ein deutscher Musicaldarsteller. Er ist bekannt durch seine Rollen als Phantom in “Liebe stirbt nie” oder als Roger in “Rent”. Im Berliner Theater des Westens und im Oberhausener Metronomtheater stand er als Cover Graf von Krolock in “Tanz der Vampire” auf der Bühne; nun wird er die Rolle erneut in Stuttgart übernehmen.
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