Felix Seiler studierte Musiktheater-Regie an der Theaterakademie Hamburg und arbeitete als Regie-Assistent und Spielleiter unter anderem mehrere Spielzeiten an der Komischen Oper Berlin, bevor er ab 2017 als freischaffender Regisseur tätig wurde. In den letzten Jahren waren Musical-Inszenierungen von Felix in Osnabrück (“The Addams Family”, “Comedian Harmonists – Jetzt oder nie”), Coburg (“Otello darf nicht platzen”) und Bremerhaven (“Der Graf von Monte Christo”, “Chicago”) zu sehen. 2019 inszenierte er bei den Schlossfestspielen Ettlingen “Der Mann von La Mancha”, in diesem Jahr die Musical Comedy “7½ Cent – The Pajama Game”. Hierfür hat Felix auch eine neue deutsche Fassung erstellt
Felix, bisher kennen wir dich als Regisseur. Nun betrittst du als Übersetzer berufliches Neuland. Wie ist es dazu gekommen?
Es fing damit an, dass Solvejg Bauer, die Intendantin der Schlossfestspiele Ettlingen, mit mir zusammen überlegte, welches Stück ich dort in diesem Sommer inszenieren könnte. Das Tolle ist, dass man in Ettlingen nicht nur auf altbewährte Kassenschlager setzt, sondern auch unbekannteren Titeln eine Chance gibt. So kam mir relativ schnell „Pajama Game” in den Sinn, dessen Charme und großartige Musik mich schon in der Verfilmung von 1954 mit Doris Day in der Hauptrolle, aber auch in einem Revival, das ich 2014 in London gesehen hatte, begeisterten.
Als wir dann beim Verlag anfragten, stellte sich heraus, dass es zwar eine deutsche Übersetzung aus den 1950er Jahren gab, die aber in vielfacher Hinsicht heute nicht mehr spielbar ist. Denn zum einen wurde inhaltlich Vieles schlichtweg falsch übersetzt – angefangen beim Titel, bei dem mit „Pajama Game” kein „Pyjama-Spiel”, sondern die Geschäftsbranche gemeint ist. Und zum anderen atmete diese Übersetzung viel 50er-Jahre-Nachkriegsdeutschland, was die Figuren sehr viel spießiger daherkommen ließ als im amerikanischen Original. Insofern war ich überglücklich, als sich der Verlag nach ein paar von mir übersetzten Probeseiten darauf einließ, dass ich selbst eine neue deutsche Übersetzung anfertigen durfte.
Denn als Regisseur springt einem da das Herz noch höher: nicht etwa, weil manch einer vielleicht die Chance wittert, das Stück nach eigenem Sinn umschreiben zu können, sondern einfach, weil (nicht alle, aber doch) einige Übersetzungen, die einem sonst so vorgesetzt werden, wirken, als ob sie in sehr kurzer Zeit, mit sehr heißer Nadel abgearbeitet wurden und sich oftmals dabei auch niemand die Mühe gemacht hat, zu überprüfen, ob beim Singen einzelne Silben durch die Akzente der Musik vielleicht ganz falsch betont werden. Da habe ich als Regisseur schon das minimale Interesse, dass ich in den Proben nicht jeden Tag ungenau übersetzten, falsch betonten Text hören möchte und den maximalen Anspruch, dicht am Original den Figuren im Deutschen eine stimmige Sprache zu geben.
Die muz-Datenbank dokumentiert seit zwanzig Jahren Musicalproduktionen und enthält aktuell 11.812 Inszenierungen. Darunter befindet sich der Titel “The Pajama Game” nur achtmal, davon nur einnmal in Deutschland (Junges Staatsmusical Wiesbaden, Premiere im September 2010). Woran liegt deiner Meinung nach diese Zurückhaltung bei diesem Stück, auch wenn es den Welthit “Hernandos Hideaway” enthält?
Ich kann mir vorstellen, dass die schon erwähnte, ziemlich angestaubte Übersetzung einige Interessenten beim Durchblättern, ob man das spielen kann, eventuell abgeschreckt hat. Das größere Problem aber ist wahrscheinlich die generelle Haltung, die wir in Deutschland gegenüber dieser Art von Unterhaltung und Musical Comedy haben: Es wird dann immer schnell so getan, als ob deren Form und Inhalt für uns zu seicht und oberflächlich sei – und ein paar nette, aber belanglose Melodien, die dazu dudeln, auch nichts retten können. Das ist eine ganz seltsame Arroganz und, wenn man sich allein die Handlung von „Pajama Game” genauer anschaut, auch völliger Blödsinn: die Mitarbeiter einer Textilfabrik beschließen, die Produktion zu sabotieren, damit das Management ihnen endlich eine lange zustehende Lohnerhöhung auszahlt. Und dann verliebt sich der neue Produktionsleiter Sid Sorokin, der das verhindern soll, ausgerechnet in die an erster Stelle für die Gewerkschaft kämpfende, selbstbewusste Babe Williams und dieser Kampf für gerechten Lohn geht plötzlich direkt durch die Beziehung der beiden.
Das verbindet ein aktuelles Thema, das man heute jeden Tag in den Nachrichten hören kann, so einfach und clever mit der großen Frage, wo das Private aufhört und man anfangen muss, für seine Ideale zu kämpfen – auch wenn es wehtun wird. „Nur” ist das Ganze eben kein trockenes Lehrstück, bei dem man den politischen Gehalt am besten zum Mitschreiben von der Bühne herunter eingetrichtert bekommt, sondern eine leichte, temporeiche Komödie, in der wir lachen, Messer durch die Luft fliegen und Nähmaschinen explodieren.
Was ist für dich bei der Arbeit als Regisseur das Besondere bei Open-Air-Inszenierungen?
Da gibt es einiges: Ich glaube, was als Regisseur die schwierigste Aufgabe ist und was vielen Zuschauern vielleicht gar nicht so bewusst wird, ist, dass es an einem Sommerabend im Juni oder Juli bis zur Stückpause einfach noch so hell ist, dass man eigentlich fast gar nicht mit der Beleuchtung arbeiten kann. Alles, was mit Hilfe von Scheinwerfern an Farben oder variierender Helligkeit sonst für Fokus und Atmosphäre sorgt, muss man szenisch ganz anders herstellen. Alles ist sichtbar, nichts kann im Dunkeln versteckt oder “weggeleuchtet” werden.
Dann das Wetter: die Schlossfestspiele Ettlingen haben ja zum Glück ein ganz wunderbares und sehr schickes rundes Zeltdach über Zuschauer und einen Teil der Bühne gespannt, das vor Regen schützt. Und trotzdem fühlt es sich an, als ob das Wetter als ungewisser Faktor das Ensemble noch mal ganz anders zusammenschweißt als bei anderen Aufführungen. Denn nicht nur die Zuschauer sind jeden Abend andere, sondern auch Hitze, Wind, einsetzender Regen, ein drohendes Gewitter beeinflussen die Darsteller und geben jeder Aufführung eine ganz einzigartige Stimmung.
Zuletzt finde ich immer wieder die Herausforderung spannend, dass man bei Open-Air auf ganz einzigartigen Bühnen spielt und oftmals mit einer gegebenen Hintergrundkulisse umgehen muss. In Ettlingen spielt man vor einer wunderschönen Schlossfassade, die aber auch sehr dominant ist und wenn man nicht gerade ein Märchen spielt, erst mal nicht so richtig ins Bild passt. Aber gerade dadurch, dass es zunächst schwieriger scheint, Lösungen zu finden, wie man an diesem Ort, sowohl eine dampfende, vor Betriebsamkeit wimmelnde Pyjama-Fabrik, eine Betriebsfeier im Grünen und einen vibrierenden Nachtclub erzählen kann, entstehen am Ende ganz andere, spannungsgeladene Bilder, auf die man an einem normalen Theater so nicht gekommen wäre.
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