Abgründ-witziges Kammer-Musical von Thomas Zaufke und Peter Lund. Aufnahme der Uraufführung an der Neuköllner Oper, Berlin.
“Hier gibt es Spiel, hier gibt es Tanz, und ohne Ende Toleranz” – ist wenigstens für die Kinder die Welt noch in Ordnung? Das hoffen zumindest die Erziehungsberechtigten, die sich in einem Schülerladen zum Elternabend treffen. Doch nach und nach bricht die heile Welt auseinander. Erpressung, Missbrauch, Selbstmordversuche, Lug und Betrug – den Kids geht es auch nicht besser als ihren Eltern.Die Aufnahme des Musicals von Thomas Zaufke (Komposition) und Peter Lund (Buch und Text) ist ein kleines Theaterwunder: innovativ aber nicht kopfig, urkomisch aber poetisch, unterhaltsam und zugleich abgründig. Modernes Musical kann leicht und schwer zugleich sein!Das beginnt mit der Musik, die man sich wie ein “Sondheim in melodisch” vorstellen muss. Selten vorhersehbar, wendig, modern, aber trotzdem beschwingt und gut hörbar. Die Texte sind abwechslungsreich, witzig, hintergründig – da macht Zuhören Spaß.Immer wieder öffnen sich menschliche Abgründe, wenn die Figuren über ganz Alltägliches räsonieren. Da ist Gerd (Kay Rohde), 42, der sein frustrierendes Familienleben in einem Rauchverbots-Schild wiedererkennt (“Rauchen ist eklig, doch es ist möglich”). Oder Irene (Nicole Rößler), die sich nach ihrer Kindheit zurücksehnt (“wir sind die die alles wissen, und wie wenig uns das nützt”). Oder Vera (Christine Rothacker), die immer dann Anerkennung erfährt, wenn sie es auch noch geschafft hat, einen Nachtisch zu machen (“alles schickst du auf die Reise, Mann und Kind und Rattenscheiße”). Oder Anouschka (Yara Blümel) und Kurt (Guido Schmitt), die sehen, wie ihre Kinder auf dem Spielplatz immer alleine bleiben – und sich selbst darin wiedererkennen (“wer mich in die Mannschaft wählt, verliert”).Doch trotz der vielen Tragödien kommt das Stück nicht als Trauerkloß daher. Im Gegenteil: Die meisten Nummern sind aberwitzig und urkomisch – bis einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Da besingt Vera in einer flotten Nummer die Vorzüge der Beruhigungspillen (“wenn das Mittel gut dosiert ist, isst mein Sohn sogar Püriertes”), da sinnieren die Damen swingend über “Homosexuelle an sich” (“der schwule Mann macht alles, doch eins macht er leider nicht: der Schwule macht sich leider nichts aus Frauen”) und da stimmt Geli (Saskia Huppert) mit dem Ensemble die Vor-Pausen-Hoffnungs-Hymne “Morgen” an (“Morgen verträgt sich Mensch und Baum und Tier, denn morgen sind wir alle nicht mehr hier”). Und da bilden sich zwei Fronten, als bekannt wird, die Kinder würden den schwulen Erzieher Dennis (Gerd Lukas Storzer) damit erpressen, dass er sie sexuell missbraucht hätte (“ich lüge, du lügst, warum nicht auch Dennis?”).”Elternabend” ist das Portrait einer Generation, die durchs Leben stoplert, aber nicht weiß, warum eigentlich. Die sieht, wie krank die Welt ist – ohne das ändern zu können. Der es eigentlich gut geht, aber die trotzdem keinen Halt findet. Und die erschreckt feststellt, dass ihre Kinder genau so sind, wie sie selbst. Ein der besten Musical-CDs der vergangenen Jahre.