Woolfsons Biografie-Musical bietet einen Melodienreichtum, der seinesgleichen sucht.
1976 schrieben Komponist Eric Woolfson und Produzent Alan Parsons gemeinsam Musikgeschichte, indem sie dem amerikanischen Ausnahmeliteraten Edgar Allan Poe mit dem Konzeptalbum “Tales Of Mystery And Imagination” ein bahnbrechendes musikalisches Denkmal setzten. Neun Millionen Euro verkaufte sich das Album. Etliche Jahre nach der Trennung des Duos beschäftigte sich Eric Woolfson erneut mit dem Meister des Fantastischen und veröffentlichte 2003 im Alleingang ein Album, auf dem er im Gegensatz zum Vorgänger nicht nur Gedichte und Geschichten von Poe vertonte, sondern auch Stationen aus dessen nicht nur kurzen, sondern gleichsam unglücklichen und bizarren Leben: “Poe – More Tales Of Mystery And Imagination” war jedoch nicht nur eine Anknüpfung an die Geburtsstunde von The Alan Parsons Project, sondern gleichzeitig auch klanggewaltiges Hors d’oeuvre für ein weiteres Musicalprojekt von Woolfson, das schließlich im Rahmen einer exklusiven Aufführungsreihe im November 2003 in den Londoner Abbey Road Studios erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde. Zeitgleich zur deutschsprachigen Erstaufführung des Stückes an der Oper Halle präsentiert Woolfson mit “Edgar Allan Poe” erstmals das gesamte musikalische Material seines neuen Werkes auf CD, die 17 Titel mit einer Gesamtlaufzeit von über 70 Minuten umfasst.Hierfür greift er teilweise auf bereits veröffentlichte Songs aus dem 2003er-Album zurück und ergänzt diese um Aufnahmen, die im Rahmen der Londoner Präsentation entstanden sind. Dies sorgt zunächst einmal für ein heterogenes Klangbild, da sich technisch perfekte Studioeinspielungen mit Live-Aufnahmen abwechseln, die hinsichtlich Abmischung und Produktionsaufwand selbstverständlich nicht mit den im Studio entstandenen Songs mithalten können. Für die audiophile Hörerschaft, seit jeher fester Bestandteil der Zielgruppe von Woolfson, sicherlich ein nur schmerzlich zu verwindender Kompromiss. Inhaltlich jedoch ein Gewinn, da sich das bislang nur fragmentarisch vorliegende Biografie-Musical durch die neuen Aufnahmen, die fast ausschließlich klassische Musicalsongs und keine musikalischen Adaptionen Poe’scher Werke darstellen, nunmehr zu einer nachvollziehbaren Geschichte verdichtet.
Diese erhält in musikalischer Hinsicht vor allem durch die Figur des Rufus Griswold ein kräftiges Profil – Poes Gegenspieler in dem Stück hat einige starke Songs, die zu den herausragenden der insgesamt acht neuen Titel gehören, von denen es sich bei sechs um Erstveröffentlichungen und bei zwei weiteren um Live-Aufnahmen von Songs aus dem Studioalbum handelt. Vor allem das von David Burt mit bestechender Intensität vorgetragene “What Fools People Are” begeistert, mit dem Griswold seiner aus Puritanismus und Missgunst gespeisten Abscheu gegenüber Poe kraftvoll Ausdruck verleiht. Auch die originellen und pfiffigen Nummern “It Doesn’t Take A Genius” und “Trust Me” können für sich einnehmen, zumal sich Woolfson hier auch als einfallsreicher Textdichter präsentiert, der in seine Lyrics das Handlungssujet einfließen lässt und geschickt mit Rhythmus und Wortklang spielt. “Tiny Star”, hier von Melinda Hughes interpretiert und “Somewhere In The Audience”, auf diesem Album in einer Live-Version von Steve Balsamo zu hören, sind die musikalischen Leitmotive für Poes Traumata und schier endloses Leid, das der zeitlebens unglückliche Autor zu ertragen hatte. So schwebt der Liebessong des Stückes – “Blinded By The Light” – in seiner zarten Schönheit verträumt und fragil über einem musikalischen Subtext, der sich einzig und allein auf Hoffnungslosigkeit und Trauer gründet. Woolfson beweist erneut, wie exzellent er sein kompositorisches Handwerk versteht und sich wie in Poes Fall ganz und gar auf die Geschichte einzulassen weiß; schwärzer kann Romantik nicht sein.Interpretiert wird die Ballade, die von Poes erster und unerfüllter Liebe zu Elmira handelt, von Anna-Jane Casey im Duett mit Steve Balsamo, dessen hinreißenden Studioaufnahmen von “Wings Of Eagles” und dem inzwischen zum Standard gewordenen “Immortal” ebenfalls vertreten sind. Hinsichtlich der neuen Titel beeindruckt jedoch am meisten der Bösewicht: Die Art und Weise, wie David Burt als Griswold mit sonorer Stimme und leidenschaftlichem Spiel einige markante Strophen aus Poes populärsten Gedicht “The Raven” rezitiert, ist schlicht atemberaubend und macht Lust auf mehr. Mit “Edgar Allan Poe”, seinem nunmehr vierten im deutschsprachigen Raum aufgeführten Werk, hat Eric Woolfson ein Musical geschaffen, das allerhöchsten Ansprüchen genügt und in seinem Melodienreichtum seinesgleichen sucht.