Eric Woolfson's Poe
London / 2009

Stimmungsvolle Dokumentation der Musical-Hommage an Edgar Allan Poe aus den Londoner Abbey Road Studios.


Es war das erste Mal, dass das Studio 1 der Londoner Abbey Road Studios seine Pforten für eine Bühnenaufführung öffnete. Dort, wo sich ansonsten bis zu 100 Musiker große Sinfonieorchester einfinden, um Soundtracks für Filme wie “Star Wars” oder “The Lord of the Rings” einzuspielen, wurde im November 2003 eigens für die Uraufführung eines Musicals eine Bühne nebst technischer Ausstattung sowie eine Bestuhlung für 300 Besucher eingerichtet. In diesem kleinen Rahmen stellte Eric Woolfson sein Musical über Edgar Allan Poe vor – eine Herzensangelegenheit von ihm, die damals noch “Poe” hieß und an der er bis zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Jahre gearbeitet hatte. Weitere sechs Jahre sollte es dauern, bis das Werk am Opernhaus Halle schließlich den Weg auf die Theaterbühne fand, dort jedoch weniger durch eine gelungene Aufführung, sondern vielmehr durch künstlerische Auseinandersetzungen um die Inszenierung auf sich aufmerksam machen konnte. Gleichzeitig zur Deutschland-Premiere wurde nunmehr eine DVD mit der Aufzeichnung dieser Präsentation veröffentlicht, die einen Einblick in die ursprüngliche Konzeption des Stückes gewährt.Autor, Textdichter und Komponist Eric Woolfson erzählt in “Poe” die Lebensgeschichte des amerikanischen Ausnahmeliteraten Edgar Allan Poe im Stil einer Hommage, die neben den wichtigsten Lebensstationen auch Eckpfeiler und Meilensteine aus dem Werk in Szene setzt. Poes Geschichte ist die eines sonderlichen Außenseiters, denn seine Sicht der Welt, die sich lieber an deutscher Schauerromantik orientierte statt dem uramerikanischen Individualheroismus und Puritanismus zu huldigen, war den amerikanischen Zeitgenossen stets suspekt. Auch seine Biografie liest sich wie ein Albtraum: Als Dreijähriger verliert er die Mutter und muss im gleichen Zimmer ihrem Sterben zusehen, von seiner ersten Liebe wird er getrennt und die Gattin, bei der Hochzeit mehr Kind als Frau, ist von der gleichen tödlichen Krankheit befallen wie die Mutter. Sämtliche hierdurch erfahrenen Traumata und erlittenen Paranoia finden sich in seinem Werk wieder, für das er zeitlebens zwar durchaus Anerkennung und künstlerische Wertschätzung erfährt, jedoch keinen finanziellen Vorteil zu generieren vermag. Regisseur Phil Willmott verknüpft geschickt die beiden Ebenen der musikalischen Erzählung, indem er Biografie und Werk theatralisch zusammenführt. So sind etwa Poes innere Dämonen, die ihm ein Leben voller Unglück und Trauer bereiten, zugleich aber auch Triebfeder seines schriftstellerischen Handelns sind, von Anfang an präsent. Willmotts Inszenierung weiß den nur begrenzten Raum der Studiobühne für klare und eindringliche Bilder zu nutzen und verdichtet die etwas holprige Dramaturgie zu einer nachvollziehbaren und unterhaltsamen Story. Das glänzend aufgelegte 10-köpfige Ensemble präsentiert auch rasante Szenen genau auf den Punkt, während sich die Personenführung als sehr durchdacht erweist.Die West-End-erprobten Darsteller, die Woolfson für diese Präsentation gewinnen konnte, sind fast durch die Bank weg fabelhaft – vor allem Steve Balsamo begeistert in der anspruchsvollen Titelpartie in gesanglicher Hinsicht und erweist sich auch darstellerisch als Idealbesetzung. Nicht minder begeisternd David Burt als Poes größter Widersacher Rufus Griswold, der sich zum Ende des Stückes schließlich der Kraft des Poe’schen Werkes beugen muss. Burts fiebrig-brodelnde Präsenz sprengt immer wieder die intime Atmosphäre der kleinen Studiobühne und besticht durch Leidenschaft und eindringliches Spiel. Ebenfalls hinreißend: Das Zusammenspiel mit seinem Adlatus Reynolds, den James Gillan mit hündischer Ergebenheit gibt, der insgeheim jedoch schon längst erkannt hat, dass Poe der bessere von den beiden Autoren ist. Außerdem dabei: Juliette Caton – die Bertrande de Rols der Londoner Urfassung von “Martin Guerre” – als Poes Ehefrau Virginia mit markant-kräftiger Stimme. Anna-Jane Casey gibt zart-lyrisch Poes erste und unerfüllte Liebe Elmira; einzig Karen Davis vermag als Poes Mutter Elizabeth gesanglich nicht zu überzeugen.Die filmische Umsetzung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Dokumentation der Show und greift nur einige wenige Male auf eigene gestalterische Mittel zurück. So wird an dramatischen Stellen die ein oder andere Slow-Motion eingesetzt oder die innere Zerrissenheit des Autoren mittels einer hektischen und chaotisch angeordneten Montage visualisiert. Leider verfügt die DVD außer einer merkwürdig kurzen Dokumentation über die Einrichtung des Studiosets, die nur etwa 45 Sekunden umfasst, über keine weiteren Features. Der eigentliche Mitschnitt jedoch fängt gekonnt die stimmungsvolle Magie ein, die dieses Gothic-Musical mit exzellenter Musik in Abbey Road, für viele nichts Geringeres als der Heilige Gral der Musikwelt, hervorzuzaubern vermag.

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