Beatrice Reece (Cathy Hiatt) & Enrico De Pieri (Jamie Wellerstein) © Nils Heck
Beatrice Reece (Cathy Hiatt) & Enrico De Pieri (Jamie Wellerstein) © Nils Heck

The Last Five Years (2022 - 2023)
Staatstheater, Darmstadt

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Das als Kammermusical geschriebene Stück von Jason Robert Brown in ein großes Staatstheater zu bringen ist ein gewagtes Vorhaben. Es gilt, die Balance zwischen Intimität des Originalstoffs und den ausufernden Möglichkeiten einer großen Bühne zu finden, ohne das Stück und den Zuschauer mit unnötigen Eindrücken zu erschlagen. Regisseur Till Kleine-Möller nimmt sich der Aufgabe in Darmstadt bereits das zweite Mal an und schafft einen innovativen Inszenierungsansatz, der viel mit dem Medium Film spielt.

Die Handlung ist schnell erzählt: Cathy und Jamie trennen sich nach fünf Jahren Beziehung. Er ein aufstrebender Autor und sie eine stets erfolglose Bühnenschauspielerin, der der Durchbruch einfach nicht gelingen will. Die Geschichte wird aus der Perspektive beider Figuren gegenläufig erzählt: Cathys Sicht der Dinge wird vom Beziehungsende rückwärts bis zum Kennenlernen dargestellt und Jamie berichtet uns ihre gemeinsamen fünf Jahre chronologisch. So simpel die übergeordnete Handlung ist, so viel komplexer werden die Figuren dargestellt und desto anspruchsvoller wird es für den Zuschauer, die entgegengesetzten Erzählperspektiven kognitiv zu verknüpfen.

Till Kleine-Möllers Inszenierung sticht aus zahlreichen “Die letzten fünf Jahre”-Versionen dadurch heraus, dass sie sich von dem ursprünglichen Rahmen eines Kammermusicals löst – mit dem Anspruch, die Intimität des Werkes zu bewahren. Dabei bedient er sich eines in der Musicalszene selten benutzten Mediums: des Live-Film Footage, welches nahezu durchgängig auf eine Leinwand oberhalb der Bühne projiziert wird. Zwei Kameraleute filmen die Handlung aus zahllosen unterschiedlichen Blickwinkeln und in vielerlei Einstellungen. Dadurch eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten: Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird auf wesentliche Details gelenkt, die ansonsten auf einer so großen Bühne ungesehen blieben – auf feine, sich wechselnde Emotionen im Gesicht der Darsteller, kleine aber handlungsrelevante Requisiten wie Briefe oder den Ehering an der Hand, bestimmte Blickachsen der Figuren zueinander oder voneinander weg. Immer wieder werden sehr hochwertig produzierte Videos mit dem Live-Feed abgewechselt. Das vorgefilmte Material zeigt handlungsunterstreichend Flashbacks zu auf der Bühne nicht dargestellten Szenen der Beziehung, beispielsweise das Paar bei einem harmonischen Fernsehabend oder bei einem Bootsausflug, auf dem es zum Heiratsantrag kommt – wunderschön produziert und effektiv eingesetzt.

Dennoch gibt es bei dieser gewagten Inszenierungsidee auch Dinge zu bedenken: Es fällt schwer, sich zu entscheiden, ob man der Handlung auf der Bühne oder den Detailausschnitten auf der Leinwand darüber folgen soll. Oft laufen die Kameraleute durch das Bühnenbild und verdecken die Darsteller, oder Teile der Handlung sind tatsächlich nur über den Bildschirm zu sehen, da sich die Akteure in nicht einsehbaren Bühnenecken aufhalten oder ihren Rücken zum Publikum drehen. Entgeht man aber dem Zwang sich entscheiden zu müssen, welchen Blickwinkel man präferiert und gelingt es zu akzeptieren, dass die Projektion über der Bühne eine Detailaufnahme des großen Ganzen ist, das mit der Bühne zusammenwirkt, so entfaltet diese Inszenierung ihr volles Potenzial. Dies fällt zugegebenermaßen schwer und vielen Zuschauern wird es vermutlich nicht in der Gänze gelingen, sich auf die durch die Inszenierung vorgegebene Aufmerksamkeitslenkung einzulassen ohne den Gedanken “Um einen Film zu gucken, brauche ich doch nicht ins Theater gehen” zu forcieren.

Man sieht quasi live dabei zu, wie ein Film entsteht, der uns emotionale und handlungstragende Facetten in einem symbiotischen Zusammenspiel mit dem Bühnengeschehen präsentiert – und zwar eindrucksvoller und näher als das sonst auf einer so großen Bühne möglich wäre. In großen Teilen werden die unterschiedlichen Perspektiven der Figuren zudem auch durch die Bildschirmanordnung der Projektionen verdeutlicht, was beim Verständnis der komplexen, entgegengesetzt verlaufenden Handlungsstränge sehr hilfreich sein kann: Wenn der linke Teil des Bildschirms ein Live-Bild zeigt, befinden wir uns in der Zeitachse und Perspektive von Jamie; rechts wird Cathys Geschichte illustriert. Leider scheint dieses eigentlich praktische Konzept nicht ganz durchgängig zu sein, was für unnötige Verwirrung sorgt. Zudem wird man sehr unsanft aus der Illusion gerissen, in die man sich mühsam eingefunden hat, wenn dieser integrale Bestandteil der Inszenierung plötzlich stehen bleibt oder das Bild ausfällt, ruckelt oder knapp an den Figuren vorbei gefilmt wird, sie nicht richtig im Fokus sind oder das Bild flüchtig an ihnen vorbei lenkt. In der Hoffnung, dass sich dies nach der Premiere noch weiter einspielen wird, bleibt nur den Hut zu ziehen vor dieser innovativen Inszenierungsidee.

Das Bühnenbild ist sehr aufwändig gestaltet und zeigt die Wohnung des Ehepaares inklusive nicht vom Zuschauerraum einsehbarer – also nur über das Live-Video zu sehender – Räume wie dem Badezimmer. Die Anordnung des Bühnenbildes unterstreicht insofern also den filmischen Charakter des Stücks. Dies tun auch das Lichtdesign, die Kostüme und die detaillierten Requisiten – das Licht ist stets so austariert und gewählt, dass es sowohl die Bühne als auch die Aufnahmen optimal in Szene setzt. Die Requisiten kommen durch die filmische Komponente des Stücks deutlich zur Geltung und die sehr umfangreiche und gut durchdachte Garderobe, die durch zahllose Kostümwechsel präsentiert wird, hilft die Handlung und die chronologische Abfolge der Ereignisse besser einzuordnen. Zudem werden auch auf der Bühne selbst hochwertige Hintergrundprojektionen genutzt, die schöne Szenen entstehen lassen: Ein verschneiter vorweihnachtlicher Winterabend, ein rauer Tag auf einem Steg am Meer oder eine ausgelassene Fahrradtour durch eine vertraut wirkende Landschaft – sehr stimmungsvoll und zum Gesamtbild passend.

Der Ton wiederum wirkt nicht konsistent gut. In mehreren Szenen sind die Darsteller zu leise mit dem Orchester abgemischt, sodass man Mühe bei der Textverständlichkeit hat. Gerade in einem nahezu gänzlich durchkomponierten Stück ist diese aber besonders wichtig – schließlich wird in jedem Lied eine vollständige Episode im Leben der Figuren rund und plastisch wiedergegeben, ohne die der Rest der Handlung kaum mehr verständlich wäre. Abgesehen davon ist die Aussteuerung aber zum Großteil gelungen und das sechsköpfige Orchester, das trotz der geringen Größe für dieses Stück genügend klangvoll spielt, kann brillieren.

Ebenso brillieren können die beiden Hauptdarsteller, die nicht nur eine beeindruckende stimmliche Bandbreite zeigen, sondern auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Enrico De Pieri und Beatrice Reece sind zumeist eher in komödiantischen Rollen unterwegs. Umso mehr beeindruckt es, wie sie hier berührende dramatische Szenen spielen und ihren Facettenreichtum eindrucksvoll präsentieren. De Pieris Rolle ist insgesamt etwas humoristischer veranlagt als die von Reece und er demonstriert dem Zuschauer, wie er sehr souverän und geübt mit der außergewöhnlichen Situation auf der Bühne umgehen kann. Er spielt mit der Kamera, weiß genau wie er Emotionen auf den Bildschirm übertragen kann und was für einen Effekt kleine Gestik oder Mimik mit sich bringen – ein souveräner Bühnen- und Filmschauspieler gleichermaßen.

Die größere Dramatik spürt man in der Rolle von Beatrice Reece. Ihre Figur scheint nicht nur etwas vielschichtiger zu sein, sie hat auch mit mehr Problemen zu kämpfen – Selbstzweifel, Hoffnung und Enttäuschung, eigenen Komplexen, Ablehnung und Betrug. Reece gibt ihrer Cathy dabei aber keine depressive Note, sondern baut einen großen, sympathischen Charme und Selbstironie ein. Das macht die Figur deutlich plastischer und emotional näher als sie vom Buch gezeichnet wird. Ihre darstellerischen Fähigkeiten im Bereich Dramatik zeigt sie besonders beeindruckend direkt am Anfang des Stückes mit “Ich stehe weinend da”, wo sie den tiefen Schmerz der Trennung berührend interpretiert, während sie in ihrer komödiantischen Facette in “Ich komme voran” bei einer Audition zu einem Musical für eine Rolle vorsingt und dabei immer wieder hektisch innehält, um sich selbst infrage zu stellen und sich über den Pianisten zu beschweren.

So besonders beide Darsteller für sich genommen sind und ihre Figuren überzeugend und bewegend mit Leben füllen, umso mitreißender ist ihre Bühnenchemie. Trotz der Tatsache, dass Jamie und Cathy nur ein einziges Duett miteinander singen und der Großteil des Stückes in Monologen dargebracht wird, spürt man die Verbundenheit beider Figuren zueinander und kann mit den Figuren resonieren – vor allem mit Cathy, die sich gegen Ende des Stückes als die größere Protagonistin entpuppt. Beide Darsteller treten in den Szenen, wo der jeweils andere seine Perspektive darstellt, als Nebenfigur auf. Wegen der unterschiedlichen erzählten Zeit müssen sie sich ständig, gegen Ende des Stückes fast minütlich, in eine komplett gegengesetzte emotionale Lage versetzen. Ein solch harmonisches, tiefes und differenziertes Zusammenspiel miteinander gelingt vielen Darstellern nicht, aber De Pieri und Reece geben ein mehr als glaubhaftes Ehepaar, das man hier vom Anfangsglück bis zur Endkrise begleitet. Muss man gesehen haben!

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungJan Croonenbroeck
Elena Postumi
InszenierungTill Kleine-Möller
BühneMarìa Reyes Pèrez
KostümeSaskia Scherer
Konzept KostümeJosé Luna
ChoreografieTimo Radünz
VideoGrigory Shklyar
LichtBenedikt Vogt
DramaturgieIsabelle Becker
Kirsten Uttendorf
Live-KameraJohanna Amberg
Jan Heck
Fabian Weber
 
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CAST (AKTUELL)
Cathy HiattBeatrice Reece
Jamie WellersteinEnrico De Pieri
Eine FrauNiloofar Bijanzadeh
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 29.10.2022 19:30Staatstheater, DarmstadtPremiere
Fr, 18.11.2022 19:30Staatstheater, Darmstadt
Do, 12.01.2023 19:30Staatstheater, Darmstadt
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