Jonas Hein (Viktor Frankenstein), Timo Stacey (Henry Clerval), Ensemble © Florian Miedl
Jonas Hein (Viktor Frankenstein), Timo Stacey (Henry Clerval), Ensemble © Florian Miedl

Frankenstein (2023)
Luisenburg-Festspiele, Wunsiedel

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

“Was mich erschreckte, soll auch andere erschrecken” sagte Mary Shelly einmal über ihren Schauerroman “Frankenstein” aus dem Jahr 1818. Diesem Erschrecken hat sich offensichtlich auch Kevin Schroeder im Buch seiner Musicalfassung verschrieben. Damit meinte er jedoch nicht das Erschrecken über ein fürchterlich entstelltes Monster, sondern das Erschrecken über die menschlichen Abgründe. Gleich zu Beginn der Show lässt er von einem der höchsten Punkte der Felsenbühne Luisenburg seinen Victor Frankenstein deswegen auch die Frage stellen, wer eigentlich in dieser Geschichte das Monster sei. Stimmungsvoller könnte ein Einstieg kaum gelingen. 

Die Luisenburg ist für Frankenstein wie geschaffen: Der Stoff passt hervorragend zur zerklüfteten Landschaft des Fichtelgebirges mit ihren weitläufigen Wäldern und den teils bizarren moosbewachsenen Gesteinsformatierungen, die sich auch über die verschiedenen Ebenen der Felsen-Bühne hinziehen. Erzählt wird die Geschichte des modernen Prometheus der den Menschen zwar Segnungen, aber damit verbunden auch Plagen brachte, nicht wie im Roman mit wechselnden Perspektiven, sondern immer aus der Sicht ihrer Titelfigur, des jungen Wissenschaftlers Victor Frankenstein. Bei der Erzählung der Geschichte konzentriert sich Kevin Schroeder, der neben dem Buch auch die Texte verfasst hat, auf das Innenleben seiner Hauptfiguren. Das Monster, das Frankenstein erschafft, ist bei Schroeder kein aus Leichenteilen zusammengesetzter Körper mit Schrauben im Kopf. Mit Ausnahme der Figur des Professors Weißhaupt, an dessen Lehrstuhl in Ingolstadt der junge Frankenstein studiert, trägt jede der fünf Hauptfiguren ein eigenes Monster im Kopf, welches sie – aus eigentlich guten Absichten – selbst geschaffen haben.

Neben der Erzählebene der Story entsteht somit auch eine parallel laufende psychologische Handlungsebene, die dem Publikum laufend die Frage stellt, ob das Monster nicht eigentlich im Kopf von uns allen sei. Die Mehrdimensionalität der Geschichte ist zwar äußerst spannend – die Inszenierung, die auf der großen Felsenbühne mit mehreren auf verschiedenen Höhenebenen liegenden Handlungsorten in weiten Teilen eher symbolisch angelegt ist, erfordert allerdings vom Publikum allerhöchste Konzentration: Verweilt der Blick zu lange beispielsweise auf dem einsetzenden Wasserfall im oberen Bühnendrittel, besteht die Gefahr, die enorm dicht erzählte Handlung auf der Hauptbühne zu verpassen. Vor allem zum Ende der Show geht die Erzählung derart stark ins Symbolische über, dass zum Verstehen der Handlung die Lektüre des Programmhefts unverzichtbar wird.  An einigen Stellen ist dem Buch auch anzumerken, dass Überarbeitungen nicht immer komplett zu Ende gedacht wurden: Wenn Frankenstein und sein bester Freund Henry Clerval im letzten Drittel der Show das Wiedererstarken ihrer Freundschaft beschwören und sich dabei als „Kauz und Pagat“ bezeichnen, hätten diese Begriffe in diesem Zusammenhang bereits vorher eingeführt werden müssen, um im Song wirken zu können. 

Dem Buch folgend, wartet die Inszenierung auch mit mehreren Erzählebenen auf. Die Geschichte wird von den fünf Hauptdarstellern erzählt. Gedanken, Gefühle und Ideen werden hingegen vom elfköpfigen Ensemble – Die Anderen – in ausdrucksstarken Choreographien von Bart de Clercq getanzt. Zu Anfang noch mit phantasievollen, punkig bunten Kostümen ausgestattet, entwickelt sich das Ensemble immer mehr in bizarr anmutende Untote, durch deren Kostüme immer mehr Knochen sichtbar werden, bis sie sich schließlich in Frankensteins Monster, welches nur noch aus blutroten Muskelfasern besteht, verwandelt haben. In diesem Moment vereinigen sie sich auch mit dem Bühnenbild, welches ebenfalls aus einer Konstruktion von Muskelfasern und Adern besteht. Mit seinem preiswürdigem Bühnen- und Kostümbild schafft Adam Nee enorm beeindruckende Momente, die noch lange nach der Vorstellung nachhallen.

Regisseur Christoph Drewitz vermag es ebenfalls die Erzählebenen gut miteinander zu verweben. Mit vielen Ideen verbindet er Buch, Choreographie, Kostüme und Darsteller: So zum Beispiel, wenn Frankenstein in seinem Studierzimmer über seinen Ideen brütet und das Ensemble die vielen Papiere, welche an flexiblen Drähten hängen, wild durcheinanderwirbeln. Der Idee des Buchs sich auf die Innenperspektive zu konzentrieren folgend, verzichtet die Regie auch auf spektakuläre Effekte zum Beispiel bei der Maschine, die das Monster Frankensteins mittels Stromschlag zum Leben erwecken soll. Kein schon beinahe obligatorisches Zischen, Leuchten und oder gar ein Blitz, der die Maschine in Gang setzt:  Der Horror findet auch hier ausschließlich in den Figuren statt.

Mit Frankenstein legt Marian Lux seine bisher wohl rockigste und rauste Partitur vor. Das Stück wechselt zwischen Dialog-Szenen und Songs, in denen die Geschichte weitererzählt wird. Marian Lux ordnet seine Komposition völlig dem Handlungsfluss unter, seine Songs halten sich nicht mit ausführlichen Gefühlsschilderungen auf, sondern treiben die Geschichte sehr flüssig weiter. In der besuchten Vorstellung mussten zu Anfang der Show deutliche Abstriche beim Ton gemacht werden. Vielleicht lag es daran, dass der Publikumsraum der Nachmittagsvorstellung nicht mal zur Hälfte gefüllt war und die Soundverhältnisse diesem Umstand erst angepasst werden mussten.

Beim Casting hatten die Verantwortlichen der Luisenburg-Festspiele ein enorm glückliches Händchen:  Angefangen bei Torsten Ankert, der mit seiner rockigen Stimme und langer Mähne einen an einen Rockstar erinnernden Professor Weishaupt gibt, singen und spielen alle Hauptdarsteller ihre Rollen großartig!

Als blinde Maya, der Henry und Victor auf einer ihrer nächtlichen Touren, bei denen sie Leichen für Professor Weishaupt stehlen, im Wald begegnen und in die sich Henry augenblicklich verliebt, steht Faye Bollheimer auf der Bühne. Ihre Szenen spielen überwiegend auf einer der höheren Bühnenebenen, also relativ weit vom Publikum entfernt. Dank ihres intensiven Spiels entgeht den Zuschauern allerdings bereits bei ihrem ersten Auftritt nicht, dass sie ein schreckliches Geheimnis mit sich trägt.

Mareike Heynen ist Elisabeth Lavenza, mit der Frankenstein wie Bruder und Schwester aufgewachsen ist. Im Laufe der Jahre entwickelten sich zarte Liebesbande. Mit ihrer warmen Stimme bringt Heynen zum einen den Konflikt, in dem sie sich befindet und zum anderen aber die Liebe zu Frankenstein sehr überzeugend auf die Bühne. Die Rolle des lebenslustigen Henry Clerval ist Timo Stacey beinahe auf den Leib geschrieben. Er singt, spielt und tanzt seine Rolle mit einer enormen Energie. Angeführt wird die Besetzung von Jonas Hein in der anspruchsvollen Titelrolle des Victor Frankenstein. Seine Figur ist quasi die gesamte Show über im Fokus. Er hat kaum eine Pause, in der er nicht auf der Bühne steht. Sein Schauspiel ist nuanciert und er vermag es ganz hervorragend die vielen Widersprüche, die Victor Frankenstein in sich trägt, miteinander zu vereinen. Auch in seinen Gesangsnummern ist spürbar, wie sehr er sich mit seiner Figur auseinandergesetzt hat: Kraftvoll und rockig, wenn er seine Theorien von einem ewigen Leben schmiedet, emotional in den Duetten mit Elisabeth und oft ausgelassen im Zusammenspiel mit Timo Stacey. Eine wirkliche Idealbesetzung!

Mit ihrem Frankenstein strafen die Luisenburg-Festspiele alle Lügen, die nach wie vor beharrlich behaupten, dass Musical bloßer Kommerz sei. „Frankenstein“ ist enorm tiefgründig und behandelt Fragen, die die Menschheit seit jeher beschäftigen. Anders als im offenen Ende des Romans endet Schroeders und Lux‘ “Frankenstein“ in der größtmöglichen Katastrophe und mit einer Mahnung: Das Monster in uns fordert immer mehr, tötet alles wir lieben und am Ende sogar uns selbst. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Stück weiterentwickelt und ob die Autoren an den Schwachstellen noch Korrekturen vornehmen werden. Die nächste Station ist bereits fix: Das Stadttheater Fürth übernimmt die Inszenierung in ihren Spielplan ab Herbst dieses Jahres.

 
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KREATIVTEAM
MusikMarian Lux
Buch / TextKevin Schroeder
RegieChristoph Drewitz
Kostüm- und BühnenbildAdam Nee
ChoreografieBart De Clercq
Musikalische LeitungMarian Lux
Markus Syperek
 
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CAST (AKTUELL)
Viktor FrankensteinJonas Hein
Sander van Wissen [14.+15.10.23]
Henry ClervalTimo Stacey
Prof. Adam WeishauptTorsten Ankert
Elisabeth LavenzaMareike Heyen
MaraFaye Bollheimer
EnsembleAngelina Arnold
Carina Leopold
Fides Groot Landeweer
Miriam Neumaier
Ekaterini Tsapanidou
Ira Theofanidis
Markus Krenek
Sascha Luder
Sander van Wissen
Silvio Römer
Elias Ziegler. Sandro Wenzing
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 15.06.2023 20:30Große Felsenbühne, Wunsiedelöff. Generalprobe
Fr, 16.06.2023 20:00Große Felsenbühne, WunsiedelPremiere
So, 18.06.2023 15:00Große Felsenbühne, Wunsiedel
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