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Goethe selbst hielt “Faust. Der Tragödie zweiter Teil” für nicht aufführbar und auch heute wagen sich nur sehr selten Theater an dieses Werk. Zu lang, zu aufwendig, zu viele Figuren, eine schwer nachvollziehbare, sprunghafte Handlung – kein leichter Stoff für alle Beteiligten. Martin Lingnau (Buch und Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte) machen mit viel Sachkenntnis diese Einwände augenzwinkernd zum Thema und kreieren ein respektloses Spektakel.
Mephistopheles – oder ‘Fizz’, wie er sich jetzt nennt – und seine Zirkustruppe führen “Faust 2” auf: Johnny Faustus, noch sehr mitgenommen vom ersten Teil, kann im Sequel nicht über zu wenige Handlungsstränge klagen. Er ist dabei, wie Fizz die Finanzkrise eines Kaiserreichs mit einer Gelddruckmaschine löst, und er verliebt sich unsterblich in die heraufbeschworene Helena, die einst den Trojanischen Krieg auslöste. Er wird Zeuge, wie ein künstlicher Mensch, der “Humunculus”, erschaffen wird, fliegt auf einem Besen zu einer Spelunke namens “Witches’ Place”, um dort die Walpurgisnacht zu erleben – und steigt schließlich in die Unterwelt, um Helena aus dem Totenreich zurückzuholen. Zu chaotisch? Kein Problem: Glücklicherweise steht dem Publikum Prof. Mathias Eckermann zur Seite. Der direkte Nachfahre von Goethes Weggefährten Johann Peter Eckermann hat im Nachlass eine Handreichung seines Ahnen entdeckt, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn man den Überblick zu verlieren droht.
Die Figur des Mathias Eckermann ist Segen und Fluch dieses Stücks. Endlos schwadronierend bremst er die Handlung immer ganz bewusst wieder aus, bis den Figuren der Kragen platzt und sie ihn aus dem Verkehr zu ziehen versuchen. Eckermanns Text ist witzig und Christian A. Koch spielt ihn grandios, aber ein paar Kürzungen hätten nicht geschadet. In einer ‘neu entdeckten’ Szene im Totenreich, schwingt er sich zum Regisseur auf, um enervierend lange die immer verzweifelter werdende Darstellerin der Helena mit Anweisungen aus dem Konzept zu bringen. Eine schöne Idee, aber zu lange ausgespielt.
Auch den Szenen vor dem Vorhang, die Umbaupausen überbrücken sollen, fehlen zündende Einfälle und sie scheinen so eher wie aus der Not geboren. Gelungen sind dagegen die ‘Werbepausen’, in denen Fizz Lady Macbeth den Fleckentferner “Putzteufel” und Jesus zum Aufpeppen seines nur aus Brot bestehenden, letzten Abendmahls eine “Salsa Satana” anpreist.
So wie Goethe Querverweise auf antike Mythen in sein Stück einbaut, spielen Lingnau und Adenberg mit Zitaten der musikalischen Popkultur. Deshalb haben sie für die Songtexte auch die englische Sprache gewählt. Die Übersetzung wird gut lesbar über der Bühne eingeblendet und ist im Programm abgedruckt. Die Songs, die durchaus Ohrwum-Potenzial haben, ändern in jeder Szene den Tonfall. Neben handfestem Rock, Country und Swing-Anklängen scheuen sich die Autoren nicht, ihr eigenes Genre zu parodieren. In der Eröffnungsnummer “Magical Circus Song” machen sie sich mit “DFMC” über die Abkürzungen gängiger Musicaltitel lustig, “Lucky Star” nimmt schmalzige Showstopper auf den Arm und Verweise zur “Rocky Horror Show” bei der Fabrikation des Humunculus sind naheliegend. Leider begleitet die vierköpfige Band unter der Leitung von Wolfgang Fuhr nur routiniert und solide. Vor allem die rockigen Nummern hätten etwas mehr Pep vertragen.
Marcel Keller, sowohl für die Regie als auch das Bühnenbild verantwortlich, inszeniert großteils einfallsreich mit viel handgemachtem Bühnenzauber und stimmungsvollem Lichteinsatz. Er hat auf die recht kleine Bühne als ‘Theater im Theater’ eine halbrunde Manege bauen lassen, die mit wenigen Handgriffen schnelle Ortswechsel ermöglicht. Leider wird nicht jede Nummer überzeugend szenisch umgesetzt. “Magical Circus Song” zu Beginn wirkt mit zu viel Gewusel unkoordiniert und “Let’s Go to the Witches’ Place” ist für eine Uptempo-Nummer sträflich statisch. Den plötzlichen Wechsel vom albernen Klamauk zum ernsten letzten Teil, nachdem der Sohn von Faustus und Helena ums Leben gekommen ist, führt Keller bewusst und sicher.
Bis auf Eckermann, Fizz und Faustus müssen alle Darsteller mehrere Rollen übernehmen und tun das mit großer Virtuosität. Katrin Busching hat für sie eine Unmenge abwechslungsreicher, bunter Kostüme gewählt, die in Windeseile gewechselt werden müssen. Besonders gefordert sind die drei Tänzerinnen der Professional Dance Academy. Leider wirken die Choreographien, die sich passenderweise auch aus verschiedenen Stilrichtungen bedienen, manchmal etwas willkürlich und noch nicht ausgereift. Aber die Solistinnen tanzen quasi rund um die Uhr in immer neuen Kostümen und übernehmen kleine Sprechrollen. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung!
Ulf Deutscher gibt den Fizz als sehr charismatischen Strippenzieher, der mit osteuropäischem Akzent eine wirre, aber lustige Mischung aus Deutsch und Englisch spricht. Wie in Goethes Original hat es der Faust schwer, gegen die schillernde Figur des Mephisto anzukommen. Oliver Moumouris meistert seinen Part mal zurückgenommen zweifelnd, mal mit vollem Körpereinsatz bei einer Ausdruckstanz-Parodie. Gesanglich können leider nur Deutschers Fizz, Ralph Hönicke als Humunculus und Marcus Michalski als Euphorion überzeugen. Die Songs sind für Schauspieler geschrieben und fordern die Stimme nicht allzu sehr, aber das Ensemble stößt hörbar an seine Grenzen. Nur Tanzen funktioniert bei den Darstellern noch weniger. Das darstellerisch harmonische Ensemble ist aber mit so viel Spaß bei der Sache, dass man diese Mankos großzügig ignoriert.
“Doctor Faustus’ Magical Circus Part II” ist sicher kein Musical für die Masse. Aber in der Tradition von “The Black Rider” oder “Shockheaded Peter” könnte es sich durchaus einen Platz im Repertoire erarbeiten.
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KREATIVTEAM |
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Regie | Marcel Keller |
Bühne, Kostüme | Katrin Busching Marcel Keller |
Musik | Wolfgang Fuhr |
Choreografie | Magdalena Wurm |
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CAST (AKTUELL) |
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Mit | Ulf Deutscher Kristin Göpfert Achim Hall Gesine Hannemann Ralph Hönicke Christian A. Koch Monique Markert Marcus Michalski Sofie Alice Miller Oliver Moumouris Florian Stamm Linda Ulherr Magdalena Wurm |
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GALERIE |
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