“Cindy Reller”, so schien es, wurde neben “Die Königs vom Kiez” vom Schmidt-Theater immer ein wenig stiefmütterlich behandelt. (Lustigerweise passt das genau zum Inhalt des Stückes.) So war nach der letzten Spielzeit, die vor Corona lag, eigentlich klar, dass das Musical nicht mehr aufgeführt werden würde. Jedoch hat man sich während der Pandemie überlegt, dass es eine gute Idee sein könnte, noch mal ein altes Stück zu spielen, um auf Nummer sicher zu gehen und das Publikum so wieder ins Theater zu bekommen. Zum Glück, denn das Werk ist so liebevoll gemacht und gut, dass es unbedingt auf den Spielplan gehört.
Über den Inhalt muss man gar nicht so viel wissen: Cindy Reller träumt von einer Karriere als Schlagersängerin, doch ihre fiese Stiefmutter Renate Reller-Rochen und die Stiefschwester Blondie sorgen dafür, dass Cindys Leben alles andere als ein Traum ist. Und dann gibt es da noch Edelbert von Grootfru Junior, ein recht erfolgloser Werbekomponist, der auch ein heimliches Faible für Schlagermusik hat und von Grootfru Senior, nicht ernst genommen wird. Naja, mit den richtigen märchenhaften Wendungen wird sicherlich auch diese Kiez-Aschenputtel-Story gut ausgehen…
Der sympathische Benjamin Sommerfeld hat sich in den letzten Jahren in die Herzen vieler Zuschauer gespielt. Es scheint fast, als könne er es immer noch nicht glauben, dass er mittlerweile in so vielen Produktionen deutschlandweit in der ersten Reihe steht.
Seine Spielfreude und seine Energie sind einfach nicht zu bremsen; sein Gesang passt bestens zu den Songs der Show. Bereits Juniors Eröffnungsnummer “Die Sünde, die man gern begeht” ist der erste Showstopper und ein Lehrstück darüber, wie man auf der Bühne komisch ist. Jeder Gesichtsausdruck und jede ungelenke Bewegung ist ein Geschenk ans Publikum. So wird dieser Werbe-Schokoladensong zur plumpen musikalischen Anmache unter der Gürtellinie. Sein jähzorniger Vater, der Senior und Besitzer der Werbeagentur, rastet regelmäßig – eben auch in dieser Szene – aus, was den potenziellen Nachfolger immer wieder zur Verzweiflung bringt. Erst ganz langsam emanzipiert sich der Sohn und übernimmt die Geschäfte des alten Herrn.
Der wird – nach Art des Hauses – von Götz Fuhrmann gespielt. Er ist fast schon eine Legende in Hamburg und sorgt seit vielen Jahren in den Schmidt-Theatern für gute Laune. Diese Rolle zwingt Fuhrmann einen cholerischen Anfall nach dem anderen zu bekommen, doch zum Glück gibt es den Assistenten Emsig, gespielt von Veit Schäfermeier, der ihn regelmäßig beruhigen kann.
Schäfermeier ist der so wichtige Side-Kick, der in mehreren kleinen Rollen zu sehen ist und immer wieder für laute Lacher sorgt.
Die drei Männer haben die Produktion schon früher gespielt und harmonieren einfach ganz wundervoll miteinander. Jeder Gag sitzt, jedes Timing stimmt, so dass kein Wunsch offenbleibt und der ganze Abend zu einem Riesenspaß wird. Denn nicht mehr, aber auch nicht weniger soll dieses Musical sein.
Und auch die drei Frauen auf der Bühne sorgen für das sprichwörtliche Feuerwerk der guten Laune: Kathrin Finja Meier ist mit der Rolle der Cindy ebenfalls schon vertraut. Sie leidet sehr unter der bösen Stiefmutter und ihrer Halbschwester, die sie – wenn auch mehr aus Dummheit – ebenfalls tyrannisiert. Cindy ist verantwortlich für die kleine Tierhandlung, in der das Stück meistens spielt, und ist mehr verbunden mit den kleinen Lebewesen dort als mit den Menschen. Herzerwärmend gelingt die langsame Annäherung mit Junior, erst entdecken sie ihr gemeinsames Interesse für Schlager, bevor sie bemerken, dass sie sich ineinander verliebt haben. Meier und Sommerfeld geben ein zauberhaftes, tollpatschiges Paar ab, so dass den ganzen Abend über die Frage offenbleibt, ob sie sich wirklich kriegen. Das traurige “Kein Happy End” von Cindy setzt dann auch einen der wenigen ruhigen Momente des Abends.
Die Boshaftigkeit in Person ist Kerstin Ibald in der Rolle der unterirdisch schlechten Stiefmutter. Sie drückt ihre Zigaretten an den kleinen Zoo-Tieren aus, säuft wie ein Loch, nimmt immer Geld aus der Kasse und behandelt Cindy wie Dreck. Nichts, aber auch gar nichts Sympathisches ist an dieser Frau zu finden. Ihre Nummer “Mehr als genug” ist zudem böse-großartig gesungen, so dass Ibald aus dieser eindimensionalen Rolle alles rausholt.
Neu an Bord ist Laura Pfister als Blondie, die aber in den letzten Jahren schon einige Erfahrungen an den Schmidt-Theatern sammeln konnte.
Die Rolle ist eng verbunden mit Elena Zvirbulis, die die Rolle ab 2016 geprägt hat und das Highlight der “Schmidtflix”-Online-Show war, die während des ersten Jahres der Corona-Pandemie regelmäßig ausgestrahlt wurde.
Zum Glück gibt Pfister ihrer Blondie eine ganz eigene Note und entwickelt die Rolle quasi neu. Na klar, sie bleibt dumm und oberflächlich, und doch nimmt sie ihre ganz eigene Entwicklung, wenn es darum geht, langsam sowohl ihre Ängste als auch ihre guten Seiten zu entdecken.
Martin Lingnau (Musik und Buch) und Heiko Wohlgemuth (Songtexte und Buch) sind seit vielen Jahren die Stückeentwickler für die Schmidt-Theater.
Leider wird dieses Werk ein wenig als Schlager-Musical abgetan, was sicherlich einer der Gründe dafür ist, dass es an der Kasse weniger erfolgreich war als beispielsweise die beiden “Königs”-Musicals. Dabei ist es musikalisch klug und witzig. Viele Songs zitieren Schlager vor allem der 70iger Jahre, und manchmal denkt man etwas wie “Das hätte auch der Roland Kaiser singen können”. Doch die Songs sind raffiniert, tun so, als ob sie einfach gestrickt wären, und sind massentauglich. Auf jeden Fall sind sie weit mehr als billiger Schlager! Bei den Playbacks hätte man aber durchaus ein oder zwei echte Instrumente mehr einsetzen dürfen. Das Buch ist witzig, etwas anarchisch und sorgt “einfach” für viele Lacher.
Das Produktionsteam hat sich noch einmal ausführlich mit dem Buch beschäftigt. Es gibt einige Kürzungen, neue kleine Wendungen und insgesamt ein höheres Tempo. Carolin Spieß als Regisseurin hat noch mehr aufgedreht als in der Ursprungsinszenierung.
Auffällig ist auch, wie clever das Bühnenbild von Heiko de Boer und Sam Madwar ist. Madwar hat zudem zusammen mit Veit Schäfermeier die Projektionen erschaffen.
Wenn das Stück in der Zoohandlung spielt, ist die ganze Bühne im Einsatz. Der Hingucker sind viele (Stoff-)Tiere, die in kleinen Käfigen wohnen und regelmäßig in die Handlung einbezogen werden. Für jeden anderen Spielort, wie die Marketingagentur oder den Ballsaal, wird immer umgebaut und die Bühne anders genutzt. Die neuen, viel intensiver eingesetzten Projektionen unterstreichen geschickt die Emotionen auf der Bühne.
Ein rundum gelungener Abend! Für jeden, der eine Vorstellung mit vielen Anlässen zum Lachen sucht, lohnt sich ein Besuch auf ganzer Linie.
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