Es ist schon eine gewöhnungsbedürftige Mischung, die das Schmidt-Team da auffährt. Ausgerechnet in den Häusern, in denen ansonsten Volkstheater – gerne mit zünftigem Humor – auf dem Programm steht, kommt plötzlich ein kleines Stück daher, das mit der Stasi-Mitarbeit in der DDR ein politisches Thema in den Mittelpunkt stellt. Ist mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung langsam die Zeit dafür reif, auch dieses Thema ins Boulevard-Theater zu bringen?
Es geht um das Provinzmädchen Gabi Mut, das es in der DDR zu einer gewissen Popularität als Schlagersängerin schafft. Doch als die Karriere gerade so richtig anläuft, kommt ihr die Wiedervereinigung dazwischen… Denn das große Dilemma ist, dass Gabi in den großen entscheidenden Momenten immer die falschen Entscheidungen trifft. Nach ihrem nicht wirklich überzeugenden Auftritt in der Talentshow “Sprungbrett” stellt ihr zukünftiger Manager Werner – immer nur als düstere verfremdete Stimme aus dem Off zu hören – sie vor die Wahl: Entweder sie spioniert ihre Mitmenschen aus – selbstverständlich zum Wohle der Gesellschaft – oder ihr Traum von der Karriere platzt. Gabi entschließt sich zur Mitarbeit.
Doch gerade im ersten Akt weiß das Stück nicht so recht, welche Richtung es jetzt einschlagen möchte. Soll der Zuschauer Mitleid haben mit der armen Gabi, die aus der durchschnittlichsten aller DDR-Familien stammt und doch auch einfach nur mal etwas Besonderes sein möchte? Oder sollen wir verachtend auf sie herabblicken? Sollen wir ihren Entschluss, bei der Stasi mitzuarbeiten, verurteilen oder sollen wir Verständnis für sie entwickeln? Jeder trifft in seinem Leben doch mal falsche Entscheidungen – sie ist, zumindest Jahre später, immerhin ehrlich genug darüber zu sprechen. So recht will der Funke angesichts dieser Unentschlossenheit nicht gleich überspringen. Zum Ende des ersten Teils wird dann ihr lang ersehnter Auftritt in “Ein Kessel Buntes” von der alles verändernden “Aktuellen Stunde” unterbrochen, in der über die Öffnung der West-Grenze berichtet wird. Und damit geht es für Gabi so richtig bergab…
Lukas Nimscheck hat sehr gut passende Songs für das Stück geschrieben. Eigentlich müssten ihm nun Helene Fischer, Andrea Berg und ihre Kolleginnen die Bude einrennen, so gut gelingen ihm die typischen Schlager-Rhythmen im Discofox-Takt. Und die Tatsache, dass mehrere dieser Lieder doch sehr ähnlich klingen, ist auch eher als Kompliment gemeint, denn im zweiten Akt entwickelt sich das Stück mehr und mehr zu einer Satire auf die Schlagerwelt – und dazu gehört nun einmal auch die Gleichförmigkeit der Songs. Dazu hat Nimscheck freche selbstironische Texte geschrieben. So heißt der Hit des Abends zum Beispiel “Ein Lied, das es so schon tausendmal gibt” mit Textzeilen wie “Manchmal, da muss es einfach einfach sein” oder “Klatsch Klatsch und Shalala, so schreibt man einen Hit”.
Und so wird das Stasi-Thema im zweiten Akt dann auch nur noch am Rand erwähnt: “Meine Güte, was hättest du denn an meiner Stelle gemacht?” fragt Gabi beiläufig nach ihrem Abstieg zur im Bademantel herumschlurfenden versoffenen Hartz-4-Empfängerin. Ihre putzigen Versuche, aus dem Tief wieder herauszukommen, z.B. als Tuppertante, bieten gemeinsam mit den Seitenhieben auf die immerzu heile Welt vorgaukelnde Schlager-Industrie dann doch noch einige Schenkelklopfer. Wir sind ja schließlich im Schmidtchen – und da wird in erster Linie immer noch gelacht und nicht politisiert.
Kathi Damerow, von der auch das Buch dieser Uraufführung stammt, ist eine Wucht auf der Bühne. Ob als unsichere Schülerin beim Talentshow-Auftritt, als Sängerin ohne wirklichen Erfolg, die sich durch Feuerwehrbälle oder Auftritte im Möbelhaus kämpft, oder als kaputtes Wrack, wenn dann wirklich so gar nichts mehr aus der ehemaligen Popularität herauszuholen ist. Darüber hinaus springt sie auch gerne noch mal im Sekundentakt in andere Rollen wie Gabis Volkskunde-Lehrerin Frau Schmuse oder eine Schuhverkäuferin.
Die Inszenierung wechselt immer wieder zwischen Gegenwartsszenen mit der inzwischen älteren Gabi als Erzählerin und Episoden aus der Vergangenheit. Auf der Bühne stehen ein Paravant, hinter dem sich Damerow für Szenenwechsel umzieht und dabei weiter zu den Zuschauern spricht, und ein Schminkspiegel für Perückenwechsel auf offener Bühne bereit. Mehrere Szenen spielen im Zuschauerraum, wo das Publikum gerne mit einbezogen wird, sei es als Gabi-Mut-Fanclub, als Anonyme Alkoholiker oder als Tupper-Kunden.
Die Eigenproduktionen des Schmidt-Theaters wiesen in den vergangenen Jahren immer wieder Brachialhumor auf. Deftige Zoten und extreme Verkleidungen sind in den mittlerweile drei Häusern am Spielbudenplatz der Normalfall. Das Ein-Frau-Musical “Gabi Mut” kommt über weite Strecken mit einem deutlich subtileren Humor und ungewohnt politischen Tönen daher und ist alleine deshalb schon ein Gewinn für das Schmidt-Portfolio.
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