Sven Ratzke (Hedwig) © Anna Karina Rüther
Sven Ratzke (Hedwig) © Anna Karina Rüther

Hedwig and the Angry Inch (2013 - 2023)
Theater Mogul GmbH, Berlin

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Ein Glücksfall: Sven Ratzke als laut-schrill-obszöne Hedwig, der in Guntbert Warns‘ Inszenierung die Tragik etwas abhandenkommt.

Willkommen in Hansels spießigem Wohnzimmer! Momme Röhrbein (Bühnenbild) hat die neue Spielstätte „Klub” im Keller des Berliner Admiralspalastes, einst eine Kegelbahn, ganz im Charme des „Gelsenkirchener Barock” eingerichtet: In der Mitte des riesigen Raumes ist das Publikum im Halbkreis auf vom Flohmarkt zusammengesuchten Stühlen und Sofas mit Beistelltischen und kleinen Stehlampen platziert. Der Blick fällt auf eine mit Orientteppichen ausgelegte Spielfläche. Hier reiht sich vor einer rubinroten Samttapete mit Paisley-Muster eine Schrankwand neben die nächste, prasselt in Röhrenfernsehern ein Kaminfeuer.

Größer könnte der Bruch gar nicht sein: Ins Nippes-Kleinbürger-Idyll mit Leuchtglobus, Geweihen und ausgestopften Tieren stürmt der grell geschminkte Hansel mit blonder Mähne und im schwarzen Minikleid. Aufgedonnert als schrille Diva Hedwig (Kostüme: Angelika Rieck; Maske: Ulrike Reimann) rockt sich der Transsexuelle musikalisch unterstützt von der Viermann-Band „The Angry Inch” durch sein Leben und erzählt die medizinisch missglückte Mutation des „märchenhaft-zarten Knaben aus der DDR zur weltweit missachteten Diseuse”. Begleitend flimmern über die Fernseher Einspieler, die zum Beispiel die Geschlechtsumwandlung als OP an einem Teddybären zeigen.

Optische Hilfestellung leisten in Guntbert Warns‘ Inszenierung die Schrankwände, die zum Teil von innen begehbar sind oder durch Öffnen der Türen neue Spielorte erscheinen lassen, wie Hedwigs Wohnmobil mit Klappbett. Besondere Bedeutung kommt einer Klappe zu, deren Front sich zum Zuschauer hin bewegen lässt. Dahinter wird Hedwigs Ex-Mann Tommy, der sich nach dem medizinischen Fusch von Hedwig abgewandt hat, durch grelles Licht und wabernden Nebel symbolisiert. Im Finale verschwindet Hansel, bis auf eine schwarze Glitzer-Boxer ausgezogen und demaskiert, durch diese Tür.

Ein bewegender Moment in einer Inszenierung, die immer dann funktioniert, wenn sie Hedwig schrill und derb in der Konzertsituation zeigt. Warns‘ Regiearbeit wirkt vor allem in den leisen Momenten im zweiten Akt (sexuelle Annäherung zwischen Tommy und Hedwig) lähmend und langweilig. Außerdem vernachlässigt sie Hedwigs neuen Ehemann Yitzhak zu sehr. Maria Schuster ist als bulgarische Transsexuelle in mausgrauer Männeroptik ihr trotzig aufbegehrender Seelen-Fußabtreter und stimmgewaltige Background-Sängerin, doch ihre Rückverwandlung zur Frau im grellen Neon-Barbie-Kostüm kommt wie aus heiterem Himmel. Schuster schreit sich ein wenig zu sehr durch ihr Solo „Was fühlst du bloß?”: Vielleicht liegt das aber auch an den sehr hoch aufgezogenen Reglern der Tonanlage, die die Boxen beben lassen.

Gesanglich und darstellerisch liefert Sven Ratzke eine Glanzleistung ab: Als Hedwig quasi im Dauereinsatz, groovt und rockt er mit großer, voller Röhre durch die von Punk und Glamrock inspirierten Songs, ist aber auch in den Balladen stimmsicher. Sein „Schnecken” genanntes Publikum hat Ratzke von der ersten Sekunde an fest im Griff. Wer diese Show besucht, sollte sich bewusst sein, jederzeit verbales oder körperliches Opfer dieser schrillen, lauten und obszönen Figur werden zu können. Sehr spontan, ohne jegliche Skrupel und mit vollem Körpereinsatz lässt Ratzke die Besucher Teil des Ganzen werden. Seine Hedwig flirtet die Zuschauer hemmungslos an und missbraucht zum Beispiel nach einem Sprung auf einen Bartresen den daneben sitzenden Herren schon einmal als Hocker zum Heruntersteigen. Auch wenn manches (Bespucken mit Getränken, Bewerfen mit vollgeschwitzten Papiertaschentüchern) die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet: Wer außerhalb von Hedwigs Bewegungsradius sitzt, amüsiert sich wie Bolle.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungGuntbert Warms
Musikalische LeitungFlorian Friedrich
BühnenbildMomme Röhrbein
KostümeAngelika Rieck
 
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CAST (AKTUELL)
HedwigSven Ratzke
YitzhakMaria Schuster
Band
BassFlorian Friedrich
KeysChristopher Noodt
DrumsHans Schlotter
GuitarJan Terstegen
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 30.05.2013 20:00Admiralspalast Klub, BerlinVoraufführung
Fr, 31.05.2013 20:00Admiralspalast Klub, BerlinVoraufführung
Sa, 01.06.2013 20:00Admiralspalast Klub, BerlinVoraufführung
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