Warum tanzen Schwule und Lesben in den Sommermonaten auf schrillen Paraden durch die Straßen? Dieses Musical will Antworten geben und dem Publikum die Geschichte der Homosexuellen-Bewegung näher bringen. Ein lobenswerter Ansatz, der allerdings in die Hose geht.
Bunte Lichter flackern, das sechsköpfige Ensemble hüpft in silbernen Pailletten-Anzügen über die Bühne und intoniert ein schlagerseeliges “Es lebe die Liebe, es lebe das Leben”. Dazu recken die Sänger ihre Arme in die Luft, drehen sich, klatschen zwei Mal in die Hände und wackeln mit den Hintern. Was anmutet wie der Beitrag einer Retorten-Combo von Ralf Siegel im deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song-Contest, ist das Finale von “Stonewall 69 – don’t feel comfortable”.
Wie fast alle Songs des Stücks (Komposition: Rino Galiano) verfügt auch der Schluss über eine eingängige Melodie. Allerdings wird jedes Mal der Refrain so oft wiederholt, bis der Song nur noch nervt. Dennoch gehört die Musik zu den Pluspunkten der Show – abwechslungsreich vom Chanson über die große Hymne bis zum Rap. Insbesondere “Meine Stimme” und das Duett “Alleine” gehen unter die Haut. Wenn der Tontechniker schon vor der Pause einen Popp-Schutz über die Mikrofone gezogen hätte, wäre der Hörgenuss noch ein wenig größer gewesen.
Weniger überzeugend ist das Buch (Rino Galiano), das zunächst in Richtung Soap tendiert. In der heruntergekommenen New Yorker Homo-Kaschemme “Stonewall Inn” (Ausstattung: Herwin Hadameck) lungern die Lesbe Al, die Transe Miss Cherry sowie das ständig händchenhaltende Pärchen Dave und Michael herum. Wie in einer Vorabendserie werden ihre Probleme um Liebe, Job und Identitätsfindung in kurzen Szenen angerissen. Damit das Publikum den Überblick behält, weist der Autor dem Barmann die Funktion eines Erzählers zu. Diese “Zeitgeist” genannte Figur tritt immer wieder aus der Handlung heraus, stellt Personen vor und erläutert Zusammenhänge. Ausgerechnet in der Schlüsselszene des Stücks funktioniert das allerdings nicht. Wieso bei der brutalen Polizei-Razzia im “Stonewall Inn” ein Sprung hinter die Theke den Startschuss für die Homosexuellen-Revolten auf der Straße gibt, bleibt unklar. Ist dort ein Alarmknopf installiert, der die Massen aktiviert?
Nach der Pause will Rino Galiano seinem angekündigten Bildungsauftrag nachkommen und erschlägt das Publikum mit Fakten. In einer Diskussionsveranstaltungs-Szene wird die Aufspaltung der amerikanischen Schwulen- und Lesbenbewegung in liberale und radikale Vertreter thematisiert. Wer zweifelt, ob dies für ein Publikum jenseits des großen Teichs nach vierzig Jahren noch interessant sein könnte, wird im Anschluss mit einer Vorlesung über schwul-lesbische Geschichte in Deutschland beglückt. Hierfür lässt “Zeitgeist” die Kneipengäste im Jahr 1968 Zeitungsmeldungen aus der Zukunft zitieren: Das reicht von der Eröffnung der ersten Gay-Sauna in Hannover bis hin zur ersten Berliner Christopher-Street-Day-Parade im Jahr 1979. Alles vielleicht interessante Fakten, doch der Teil ist eindeutig zu lang geraten. Auch die vor unsäglichen Reimen nur so strotzenden Liedtexte sollten dringend überarbeitet werden. In Miss Cherrys Auftrittssong, in dem sie ihre Konkurrentin Josephine besingt, werden neben Biene, Schiene und Gelatine auch Popeltrine und Guillotine verwurstet.
Regisseur Markus Beisel bemüht sich redlich, die Show auf Trab zu bringen und schafft auf der kleinen Bühne Abwechslung. Insbesondere die rabiate Polizei-Razzia gelingt sehr eindringlich. Bei der Charakterisierung der Personen hätte Beisel allerdings darauf achten müssen, dass “Zeitgeist” nicht so übertrieben tuntig gerät. Rino Galiano scheint sich seine persönliche Traumrolle auf den Leib geschrieben zu haben. Er singt den strippenziehenden Erzähler mit heller, kräftiger Stimme und zeigt gemeinsam mit Ewa Niren (Al) die besten gesanglichen Leistungen der Show.
Niren zeigt die rebellische Lesbe als gebrochene Frau, ihr klarer Sopran ist ein Genuss. Marc Greulich (Michael) und vor allem Marco Böß (Dave) sind ihren Songs stimmlich kaum gewachsen. Auch wenn der Musik vom Band einige Stimmen unterstützend untergemischt sind, können Schwächen insbesondere bei den hohen Tönen nicht kaschiert werden. Frank Walrab glänzt mit seinem vollen Bariton als Miss Cherry, wobei seine Transe alles andere als eine Witzfigur ist.
Fr, 03.08.2007 20:30 | Luisenpark Seebühnenzauber, Mannheim | Premiere |
Mi, 16.01.2008 20:00 | Fritzclub im Postbahnhof, Berlin | |
So, 17.02.2008 19:30 | Oberanger Theater, München | |
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Mo, 18.02.2008 19:30 | Friedrichsbau Varieté, Stuttgart | |
Fr, 22.02.2008 20:00 | Capitol, Mannheim | |
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