Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.
Für meinen Filmabend habe ich mir diesmal einen Film ausgesucht, der erst im letzten Juni in die Kinos kam. “Greatest Days” ist ein Jukebox-Musical mit Hits von “Take That”. Bei seiner Uraufführung 2017 (und den deutschen Produktionen) hieß die Vorlage noch “The Band”, wurde dann aber im Frühjahr 2023 für eine Tour-Produktion in “Greatest Days” umbenannt. Wahrscheinlich sollten Bühnenshow und Film den gleichen Namen haben.
Schon mal an anderer Stelle habe ich zugegeben, kein großer Fan von Jukebox-Musicals zu sein; manche Take-That-Songs mag ich, manche sind mir einfach Wurscht – also warum gucke ich mir diesen Film an? Nach den Kritiken, die ich zum Filmstart gelesen habe, erwarte ich einen dieser typisch britischen Filme, die emotional, mit trockenem Humor und Feel-Good-Faktor Geschichten aus dem Leben einfacher Leute erzählen, denen plötzlich etwas Außergewöhnliches passiert, wie etwa “Billy Elliot”. So was mag ich. Der Autor von Drehbuch und Bühnenvorlage, Tim Firth, scheint mir ein Garant dafür zu sein. Schließlich hat er die Filmvorlagen von “Kinky Boots” und “Calender Girls” geschrieben. Bei letzterem war er dann auch an der Musicalversion beteiligt – zusammen mit Take-That-Mitglied Gary Barlow und so schließt sich der Kreis. Der Inhalt bestätigt meine Erwartungen:
Teenager Rachel und ihre Freundinnen sind in den 1990er Jahren große Fans der Boygroup “The Band”. Nach dem gemeinsamen Besuch eines Konzerts ihrer Lieblingsband kommt es zu einem dramatischen Vorfall, von dem sich ihre Freundschaft nicht erholt. 25 Jahre später gewinnt Rachel bei einem Radiosender eine Reise mit Begleitpersonen zu einem Comeback-Konzert der “Band” nach Athen. Ein Hoffnungsschimmer im eintönigen Leben der Krankenschwester und Flucht vor ihrem Verlobten, der ihr ständig Heiratsanträge macht. Sie lädt ihre Jugendfreundinnen zu der Tour ein. Einerseits lassen sie ihre gemeinsame Jugend wieder aufleben, andererseits gilt es aber auch noch, eben diesen Vorfall von damals aufzuarbeiten.
Der Anfang gefällt mir recht gut. Rachels Eltern streiten sich heftig, da ist “The Band” für sie Realitätsflucht. Sehr schön die Szene, wenn Rachel für sich und ihren Bruder Essen macht und ihre Idole “Pray” singend aus Schränken auftauchen, sie umtanzen und dort wieder verschwinden. Diese Idee ist wirklich gut, aber sie wird durch Wiederholung in anderen Situationen zu Tode geritten.
Aisling Bea spielt die erwachsene Rachel sehr verschlossen. Ich konnte zu dieser Figur keine emotionale Verbindung aufbauen, weil ich auch nicht nachvollziehen konnte, warum sie ihren Verlobten (Marc Wootton als Besserwisser, der nervt wie Fußpilz) nicht einfach verlässt und am Ende sogar heiratet. Rachel bekommt als Hauptfigur noch einen bisschen Hintergrund, ihre Freundinnen bleiben bloße Abziehbilder. Die haben sich völlig anders entwickelt als man in der Jugend gedacht hätte. Zoe (Amaka Okafor), in der Schule eine Streberin, hat eine Hochschulausbildung ihren vier Kindern geopfert. Heather (Alice Lowe), die immer nur über Jungs redete, lebt jetzt in einer lesbischen Beziehung, wegen der ihre Mutter den Kontakt zu ihr verweigert, und arbeitet in Mailands Modebranche. Und Claire (Jayde Adams) träumte als Turmspringerin von einer Olympiateilnahme, aber weil ihre Freundinnen sie nicht mehr bei Wettkämpfen anfeuerten, hat sie den Sport aufgegeben, arbeitet jetzt im Laden ihrer Mutter und hat stark zugenommen. Die schauspielerischen Leistungen sind durchaus okay, aber um überzeugen zu können, sind die Charaktere zu flach gezeichnet. Die jugendlichen Darstellerinnen Lara McDonnell, Eliza Dobson, Nandi Sawyers-Hudson, Carragon Guest und Jessie Mae Alonzo haben durch die Geschichte an sich mehr Energie und laufen ihren erwachsenen Kolleginnen den Rang ab.
Tim Firth setzt in seinem Skript bekannte Versatzstücke nach Schema F zusammen. Dass die Freundinnen in Athen angesäuselt in einem Springbrunnen plantschen (eine nicht enden wollende Sequenz), von der Polizei festgenommen werden und deshalb das Konzert verpassen, ist eine arg gewollte Handlungskonstruktion. Gelungen ist dagegen die Szene, wenn sie nach einem Streit getrennt voneinander zusammen mit ihren Jugend-Ichs “Back For Good” singen.
Die Songs des Films werden vor allem von den Mitgliedern der “Band” gesungen. Aaron Bryan, Dalvin Cory, Joshua Jung, Mark Samaras und Mervin Noronha entsprechen optisch den makellos-glatten Posterboys der 1990er Jahre, singen gut und die Choreografien von Drew McOnie stellen augenzwinkernd die typischen Boygroup-Posen nach. “Take That” selbst hat ein Cameo als Musiker in der Athener U-Bahn.
In Großbritannien wurde die Ursprungs-Produktion positiv aufgenommen, in Deutschland nicht ganz so euphorisch, aber großteils wohlwollend. Da frage ich mich, was da auf dem Weg von der Bühne zur Leinwand wohl schiefgegangen ist. Von kleinen Highlights abgesehen, schleppt sich Coky Giedroycs Inszenierung träge vor sich hin. Spaß an der Sache oder ein Feuer von nostalgischer Fan-Euphorie habe ich da nicht gespürt.
Die britischen Produzenten hätten gern Hollywood mit ins Boot geholt und Stars besetzt – Rebel Wilson war eine Wunschkandidatin. Doch weil “Take That” in den USA nie den Durchbruch geschafft hat, war man dort nicht interessiert und das Budget musste zusammengestrichen werden. Diesen Kürzungen ist wahrscheinlich die ziemlich maue Musikbegleitung zu verdanken, die wie ein Karaoke-Playback klingt.
“Greatest Days” hätte Potenzial gehabt ein “guilty pleasure” zu werden, aber durch das schwache Buch und die mir unsympathischen Figuren sprang der Funke nicht über. It did not “Relight My Fire” and I won’t be “Back For Good”.
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