Til Ormeloh (Che), Janina Wilhalm (Eva). © Michael Bode.
Til Ormeloh (Che), Janina Wilhalm (Eva). © Michael Bode.

NEUE REZENSION
Evita (seit 06/2024)
Schlosshof, Ettlingen

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Wenn man vor Ort schon einen Balkon hat, dann muss man auch mal wieder “Evita” auf den Spielplan nehmen. Dazu ist die Ettlinger Schlossfassade auch noch rosa – passend zur Casa Rosada, dem Sitz der argentinischen Regierung, auf deren Balkon Evita Perón ihre berühmte Rede hielt. Der Ort und dessen Nutzung ist das Ass, das diese Produktion ausspielen kann. Neben dem guten Ensemble bleiben so eindrucksvolle Bilder im Gedächtnis.

Die vorhandenen Säulen des Schlosses und die vorderen Stützen des Dachs über dem Schlosshof hat Christian Held in seinem Bühnenbild in schwere Marmorsäulen verwandelt. Die verspielten barocken Fake-Schnörkel der Fassade treten zugunsten einer düsteren Stimmung in den Hintergrund. In der Bühnenmitte steht ein Sarg. Wir befinden uns in Evitas Mausoleum, in dem die ganze Handlung abläuft. Eine Prozession trauernder Menschen zieht zum “Requiem für Evita” auf die Bühne. Mit dabei: eine Heiligenstatue, eine “Santa Evita”. Der Sarg wird geöffnet. Ein Schreckensschrei – der Sarg ist leer. Che trägt zu “Was für ein Zirkus” die wie die Heiligenfigur gekleidete Leiche Evitas herein, legt sie ab und Evita erwacht nach und nach zum Leben.

Mit diesem Einstieg zeigt Intendantin und Regisseurin Solvejg Bauer schon die Stärken ihrer Inszenierung: eine gute und bewegliche Personenführung, die mit Pia Wäbs’ Choreografien eine Einheit bildet, sowie die Kreation eindrucksvoller Bilder. Mit der Einbeziehung eines Kinder- und des Bürgerchors hat sie eine stimmgewaltige und spielfreudige Statistenmenge zur Verfügung, die sie sicher führt – nicht nur auf der Bühne, denn Bauer nutzt alles als Spielfläche, was Schloss und Hof zu bieten haben. Wenn die Choristen an den Fenstern und auf der Zuschauertribüne verteilt “Perón! Perón! Perón!“ skandieren, ergibt das einen beeindruckenden Raumklang.

Der Klang an sich ist dagegen nicht so beeindruckend, weil die Aussteuerung zwischen Bühne und Graben nicht durchgehend stimmt. Das Orchester deckt die Solisten immer wieder zu. Auch der mikrofonlose Chor kann sich nur schwer durchsetzen. Das 13-köpfige Orchester ist für Freiluft-Verhältnisse recht groß, doch die wenigen Streicher können den Schmelz, den etwa “Wein’ nicht um mich, Argentinien” braucht, nicht produzieren. Dafür hört man Details der Gitarre oder des Akkordeons, die in anderen Aufführungen im vollen Orchesterklang unterzugehen drohen. Was Tempo und Rhythmus angeht, ist die musikalische Umsetzung in der besuchten Vorstellung unter dem Dirigat von Johannes Antoni aber tadellos.

Das Kostümbild von Gesa Gröning ist vergleichsweise schlicht aber effektiv. Größter Bruch mit den Erwartungen ist, dass Evita bei “Wein’ nicht um mich, Argentinien” kein prunkvolles Kleid trägt, sondern ihr Alltagskleid von vorher. Das macht durchaus Sinn, denn nach dem Lied sagt sie dem Volk, sie sei eine “einfache Frau” und gehöre weiterhin zu ihnen. Erst danach wird ihre Kleidung schicker.

Das Ensemble überzeugt durchweg. Thijs Kobes und Diana Schnierer gefallen mit angenehmen Stimmen als Magaldi und Peróns Geliebte in ihren kurzen, aber wichtigen Soli. Sascha Stead zeichnet Perón steif, kalt und gefühllos. Er singt diesen Part entsprechend forciert und herrisch. Wenn er von der Krankheit seiner Frau erfährt, wird er weicher und wärmer. Eine rundum gelungene Darbietung.

Energie, Präsenz und eine formidable Stimme – Til Ormeloh ist im Grunde ein fabelhafter Che. Doch im ersten Akt bleibt er sehr im Hintergrund, ein etwas zu braver Erzähler mit hier und da einer Prise Ironie in der Stimme. Erst im zweiten Akt, wenn auch seine Figur mehr auf Konfrontation aus ist, bekommt er Konturen.

Janina Wilhalm bewältigt ihre fordernde Titelrolle, die einen weiten Stimmumfang verlangt, mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Kraft. Bei ihr ist von Anfang an klar, dass Evita jedes Mittel recht ist, um die soziale Leiter nach oben zu klettern. Dafür nutzt sie ihre Mitmenschen aus. Wie man in einem im Hintergrund schön inszenierten Detail sehen kann, sind das nicht nur Männer. Wilhalm zeigt nuanciert, wie ihre Figur das Volk manipuliert, indem sie sich mit ihm auf eine Stufe stellt, ohne dabei plump anbiedernd zu sein. Obwohl Evitas Krankheit bei der “Regenbogentour” schon durch schwache Momente angedeutet wird, kommt der Zusammenbruch nach dem von Ormeloh und Wilhalm mitreißend energetisch aufgeladenen “Walzer für Evita und Che” dennoch etwas zu plötzlich.

Bauers Inszenierung und Wilhalms Darstellung schaffen den schwierigen Spagat, eine sich skrupellos nach oben arbeitende Populistin nicht zu einer Aschenputtel-Figur zu glorifizieren und trotzdem das Publikum emotional an der Figur teilhaben zu lassen.

Nachdem in den letzten Jahren mit “A Grand Night For Singing”, “7 ½ Cent – The Pajama Game” und “Soho Cinderella*” wenig bekannte Musicals auf dem Spielplan in Ettlingen standen, haben die Schlossfestspiele mit “Evita” – auch aus finanziellen Gründen – einen publikumswirksameren Weg eingeschlagen. Die nahezu ausverkauften Vorstellungen und die überzeugende Inszenierung des Lloyd-Webber-Klassikers geben sicher recht, aber gerade in einem solchen Rahmen Neues oder Unbekanntes zu präsentieren, bietet eine besondere Chance. Man darf auf den Spielplan 2025 gespannt sein.


 
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KREATIVTEAM
InszenierungSolvejg Bauer
Musikalische LeitungBernard Bagger
(Johannes Antoni)
BühnenbildChristian Held
KostümbildGesa Gröning
ChoreografiePia Wäbs
 
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CAST (AKTUELL)
Eva PerónJanina Wilhalm
CheTil Ormeloh
(Yannic Noël Blauert)
Juan PerónSascha Stead
Geliebte PerónsDiana Schnierer
Antonín MagaldiThijs Kobes
EnsembleYannic Noël Blauert
Manar Elsayed
Laura Brümmer
Pia Wäbs
Beneon Stevenson
Leander Bertholdt
  
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TERMINE
Sa, 10.08.2024 20:30Schlosshof, EttlingenDernière
 
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TERMINE (HISTORY)
Do, 20.06.2024 20:30Schlosshof, EttlingenPremiere
Sa, 22.06.2024 20:30Schlosshof, Ettlingen
Di, 25.06.2024 20:30Schlosshof, Ettlingen
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