Jakob Thömmes (Georg), Michael Berres (Ernst), Florian Voigt (Moritz), Joshua Kliche (Otto), Tim Richter (Hänschen) © Benjamin Westhoff
Jakob Thömmes (Georg), Michael Berres (Ernst), Florian Voigt (Moritz), Joshua Kliche (Otto), Tim Richter (Hänschen) © Benjamin Westhoff

Spring Awakening - Frühlings Erwachen (2024)
Theater, Trier

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“Spring Awakening” ist eins der Musicals, die den Klischeevorstellungen dieser Gattung widersprechen. Hier gibt es keine fröhliche Realitätsflucht, keine exotischen Schauplätze, keine lustigen Sidekicks, keine Beine werfende Chorus Line. Ernsthaft, beklemmend und wütend wird hier eine Coming-of-Age-Geschichte erzählt, die unbequeme Themen nicht ausspart. Die Trierer Produktion überzeugt mit einem düster-kühlen Setting, einer straffen Personenregie und einem starken jungen Ensemble.

Kinder und Jugendliche haben Fragen, die sie sich manchmal nicht trauen, ihren Eltern zu stellen. Eltern haben manchmal keine Antworten oder tun sich zumindest mit der Beantwortung schwer. Das ist heute noch so wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als Frank Wedekind sein Drama “Frühlings Erwachen” schrieb. Auch wenn man sich heute liberaler und offener sieht als in Zeiten preußischer Disziplin – es gibt noch immer Themen, die beide Seiten möglichst nicht ansprechen wollen. Deswegen funktioniert das Stück – ob als Schauspiel oder wie hier in der Musicalversion – auch über 100 Jahre später noch so gut. Es wühlt auf und macht wütend, bringt aber auch zum Lachen und bietet Hoffnung.

Die Welt der Jugendlichen, um die es hier geht, ist in der Trierer Produktion bedrückend schwarz. Sie sind eingekesselt in Wände, die als überdimensionale  Schultafeln dienen. In der Luft liegt schwerer Nebel aus Kreidestaub. Auch das atmosphärische Lichtdesign von Ernst Schießl ist kalt.

Im Fokus der Handlung stehen Wendla, die von ihrer distanzierten Mutter keine Antworten auf ihre Fragen bekommt; Melchior, der zwar aus einem liberalen Elternhaus stammt, aber mit der Struktur der Gesellschaft hadert; und Moritz, der am schulischen Leistungsdruck zerbricht. Durch kleinere Nebenfiguren werden auch Themen wie häusliche Gewalt und Homosexualität angerissen. Auf eine Aktualisierung der Handlung verzichtet sowohl das Buch von Steven Satar als auch die Inszenierung. Nur Duncan Sheiks Songs im mal rockigen, mal zarten Singer-Songwriter-Stil brechen das enge Korsett von Disziplin und Moral im deutschen Kaiserreich auf.

Die insgesamt 13 Teenager werden von vier Mitgliedern des Schauspielensembles, zwei Musicalgästen sowie sieben Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen aus dem Raum Trier gespielt. Ein Unterschied ist dabei kaum wahrnehmbar. Die Amateure bringen beachtliche stimmliche und darstellerische Leistungen. Auch der Gesang der professionellen Castmitglieder kann sich hören lassen. Marvin Groh als Melchior erreicht stimmlich nicht ganz das Niveau seiner Kollegen, doch das gleicht er durch sensibles und ausdrucksstarkes Spiel aus. Tamara Teisen zeichnet Wendla offen und wissbegierig, dabei noch mädchenhaft, fast kindlich. Da sie keine Antworten auf ihre Fragen bekommt, muss sie sich ins Erwachsenwerden hineintasten. Eine feinfühlige, natürliche und bewegende darstellerische Leistung!

Wie Florian Voigt den Druck, der auf Moritz lastet, umsetzt, lässt beim Zusehen mitleiden. Die Angst, die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen zu können, die offen gezeigte Abneigung der Lehrer und das starke – und nicht erfüllte – Interesse am weiblichen Körper – Moritz steht ständig unter Strom und kommt nie zur Ruhe.

Einen kurzen, aber prägnanten Auftritt hat Jana Auburger als Ilse. Sie ist ausgerissen und lebt nun in einer Künstlerkolonie. Sie gibt sich erwachsen und selbstbewusst, doch durch die Schilderung ihres Lebens dort erfährt man von Missbrauch und Unterdrückung.

Dass Ernst und Hänschen ihre Liebe zueinander entdecken, wird von Michael Berres und Tim Richter sympathisch unverkrampft umgesetzt.

Stephanie Theiß und Giovanni Rupp spielen alle Erwachsenen und stellen ihre Vielseitigkeit unter Beweis. Theiß hat dabei den Vorteil, dass die Frauenrollen unterschiedlicher sind als die Männerrollen. Wendlas überforderte Mutter, Melchiors verständnisvolle Mutter oder die schrullige Lehrerin Fräulein Knüppeldick bieten ein breites Spektrum. Doch auch Rupp findet immer wieder neue Herangehensweisen, die dominanten Lehrer und Väter zu verkörpern. Zusätzlich hat er als Co-Regisseur die Szenen mit den jungen Amateuren erarbeitet.

Ursprünglich war geplant, dass Ryan McBryde inszenieren sollte, der auch schon bei der Deutschlandpremiere von “Spring Awakening” Regie führte, doch aus Termingründen kam diese Zusammenarbeit nicht zustande. McBryde erlaubte Manfred Langner, Regisseur und Trierer Intendant, Elemente aus seiner Inszenierung zu übernehmen. Deswegen hat diese Aufführung große Ähnlichkeit mit der des English Theatre Frankfurt, die dort 2010 Premiere hatte. Einige prägnante Momente aus der McBryde-Inszenierung  finden sich bei Langner wieder. Weil die Trierer Bühne viel größer ist als die in Frankfurt, das Stück hier auch mit einem größeren Cast besetzt ist und das Kreativteam eigene Ideen einbrachte, ist diese Produktion jedoch keine 1:1-Kopie. Dafür, dass zwei Regisseure vor Ort und einer zumindest ideengebend beteiligt sind, wirkt die Inszenierung überraschend geschlossen. Sie stellt die Charaktere in den Mittelpunkt und verzichtet nicht auf Humor, auch wenn das ständige Monokel-Verlieren des Schuldirektors zu lang ausgespielt wird. Eine Extra-Portion Energie kommt von den Choreografien von Alina Schaumburg und Selly Meier.

Auch beim schon erwähnten Bühnenbild orientieren sich Beate Zoff und Dietmar Teßmann an der Frankfurter Produktion. Moritz Stiefels steil nach oben stehende Haare stammen ebenfalls aus dem English-Theatre-Konzept. Die aus dem Rahmen fallenden Jungen Moritz und Melchior unterscheiden sich auf den ersten Blick von ihren angepassteren Mitschülern. Moritz eben durch den Haarturm, Melchior trägt seine Haare weniger auffällig verstrubbelt. Teßmann ist auch für die Kostüme verantwortlich und wählt zeitgenössische Kleidung passend zum Bühnenbild in dunklen, kalten Farben.

Im leicht erhöhten Orchestergraben sitzen sieben Musikerinnen und Musiker, die unter Leitung von Martin Folz am Klavier für die Begleitung sorgen. Duncan Sheiks Songs sind abwechslungsreich zwischen Kammermusik und Gitarrenrock arrangiert.

Die Textverständlichkeit ist ausgezeichnet. Die Songs wurden im englischen Original belassen, um die Poesie der Texte nicht zu zerstören. Auf deutsche Übertitel wurde verzichtet, um nicht vom Bühnengeschehen abzulenken.

Die Trierer Produktion dieses nach wie vor aktuellen Stücks überzeugt durch starkes Schauspiel und eine Optik, die der figurenbezogenen Inszenierung nicht im Weg steht, sondern sie atmosphärisch unterstützt. “Spring Awakening” in Trier ist rundum gelungen!

 
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KREATIVTEAM
InszenierungManfred Langner
(Inspiriert von der Inszenierung am English Theatre Frankfurt 2010 unter der Regie von Ryan McBryde.)
Musikalische LeitungMartin Folz
ChoreografieAlina Schaumburg
Selly Meier
BühneBeate Zoff
Dietmar Teßmann
KostümDietmar Teßmann
LichtdesignErnst Schießl
Künstlerische Mitarbeit Inszenierung und CoachingGiovanni Rupp
 
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CAST (AKTUELL)
MelchiorMarvin Groh
WendlaTamara Theisen
MoritzFlorian Voigt
IlseJana Auburger
HänschenTim Richter
MarthaLaetitia King
ErnstMichael Berres
GeorgJakob Thömmes
OttoJoshua Kliche
TheaZarah Moyal
AnnaAiden Castillo Hornung
HeleneHéloïse Neuberg
FriedaEline Berlingen
Frau Bergmann / Frau Gabor / Fräulein Knüppeldick u. a.Stephanie Theiß
Herr Sonnenstich / Direktor Knochenbruch / Herr Stiefel u. a.Giovanni Rupp
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 06.04.2024 19:30Theater, TrierPremiere
Di, 09.04.2024 10:30Theater, Trier
Sa, 13.04.2024 19:30Theater, Trier
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