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Für seine Inszenierung von “Chicago” in der Komischen Oper an deren Standort Schillertheater hat Barrie Kosky nichts dem Zufall überlassen. Jedes Detail ist so formvollendet, dass beim Schlussapplaus nur der Gedanke überwiegen kann: Hier war ein Meister am Werk.
“Chicago” ist eine bitterböse Gesellschaftskritik und zeichnet das Bild eines durch und durch korrupten Systems, in dem Mörderinnen wie Stars hofiert werden, die Rechtsprechung auf Drama und Lüge aufgebaut ist und die sensationsgeile Presse Skandalen den Vorzug vor der Wahrheit gibt. Denn im Chicago der 1920er Jahre ist Mord eine Form von Unterhaltung. Dazu passend thematisiert das Musical die Halbwertszeit von Ruhm – und ist damit hochaktuell (man denke nur an TikTok- und Instagram-Sternchen), obwohl das Stück 1975 seine Uraufführung erlebte, in einer Zeit, als von Social Media noch lange keine Rede war.
Der durchweg grandiose Cast sorgt dafür, dass dem Publikum trotz der Schwere des Themas, das auf wahren Begebenheiten basiert, das Lachen nicht im Halse stecken bleibt. Es darf, nein, es soll gelacht werden! Die Darsteller:innen beweisen (situations-)komödiantisches Talent und nehmen sich selbst und ihre Rollen nicht zu ernst, und das ist erfrischend. Alle Charaktere sind einen Tick überzeichnet, was der Regie von Barrie Kosky Rechnung trägt.
Katharine Mehrling spielt Roxie Hart sehr facettenreich: einerseits dümmlich, naiv und kindlich, anderseits verschlagen, egoistisch, selbstverliebt und bisweilen sogar regelrecht bösartig (“Ich und mein Baby”). Roxie kann mit vielen Attributen beschrieben werden, positive wie ‘nett’ oder ‘sympathisch’ gehören definitiv nicht dazu. Und das ist gut so. Schließlich soll das Publikum nicht vergessen, dass es sich bei ihr und Velma Kelly um kaltblütige Mörderinnen handelt, die keinerlei Reue zeigen, sondern ihre Publicity nutzen wollen, um groß rauszukommen.
Ruth Brauer-Kvam verkörpert die Doppel-Mörderin Velma Kelly glaubwürdig und eröffnet mit einem fantastischen “All That Jazz” fulminant und in goldenes Showlicht getaucht den Abend. Ihr zur Seite steht Andreja Schneider als Mama Morton mit Ghetto-Slang und Galgenhumor.
“Chicago” ist ein Stück, das von starken – wenn auch moralisch fragwürdigen – Frauenfiguren getragen wird. Während die Frauen nach Ruhm, Freiheit und Aufstieg streben, ist Billy Flynn bereits auf dem Höhepunkt seines Erfolgs angelangt. Der Strafverteidiger ist charismatisch, gutaussehend, selbstverliebt und ein Meister darin, das Recht zu korrumpieren und die Wahrheit zu beugen. Sein erster Auftritt ist phänomenal: Jörn-Felix Alt sitzt in einem großen Herz und schwebt, darin sitzend, von oben hinab auf den Bühnenboden. Ein Anblick zum Dahinschmelzen, findet auch das ihn anschmachtende Damen-Ensemble. Es folgen weitere großartige Szenen, vor allem im Zusammenspiel mit Katharine Mehrling. In der Pressekonferenz agieren Alt und Mehrling kongenial als Puppenspieler und Bauchrednerpuppe bei Ragtime-Musik. Während Roxies Verhandlung wird nicht nur durch Billy Flynns Outfit klar, dass der gesamte Gerichtsprozess eine Farce beziehungsweise eine Zirkusattraktion ist: Denn die Befragung findet in einer Manege statt und Flynn trägt das Kostüm eines Zirkusdirektors. Brillant inszeniert!
Die einzige aufrichtige Seele im Chicagoer Moloch ist Roxies treuer und einfältiger Ehemann Amos. Als “Mister Cellophane” hat Ivan Turšić im zweiten Akt seinen großen Auftritt und darf beweisen, dass er mehr kann als nur Roxies Schussel-Dussel zu spielen.
Herausragend sind die Choreografien von Otto Pichler, sowohl, wenn es sich um Ensemble-Tanznummern handelt, als auch bei choreografierten Bewegungsabläufen. Es macht große Freude, den Cast derart in Aktion zu sehen. Jede Bewegung kommt genau auf den Punkt. Für Begeisterungsstürme seitens des Publikums sorgt der verrucht-erotische “Cell Block Tango”. Die angeklagten Mörderinnen tragen schwarze Negligés und Dessous unter knallorangefarbenen Schürzen. Auch bei den übrigen Kostümen gelingt Victoria Behr ein ansprechender Mix zwischen Show-Glamour, Knast-Look und 1920er-Style.
Eingekleidet werden nicht nur die Hauptrollen, sondern auch Chorsolist:innen, das Tanzensemble und die Komparserie der Komischen Oper Berlin. Die große Anzahl an Menschen auf der Bühne kommt dem Stück ebenso zugute wie die Personenzahl im Orchestergraben, die für vollen Sound sorgt. Es ist einfach schön zu sehen, wenn sowohl auf als auch unter der Bühne nicht an Künstlerinnen und Künstlern gespart wird.
Das Bühnenbild von Michael Levine könnte perfekter nicht sein. Allgegenwärtig sind die Gitter des Cook-County-Gefängnisses, in dem der überwiegende Teil der Handlung spielt. Ein besonderer Clou sind die 6.500 Glühlampen, die an den Gittern angebracht sind und die Bühne golden strahlend zum Leuchten bringen können. In Sekundenschnelle wird so aus dem Knast eine Showbühne der Extraklasse. Bewegliche Elemente tun ihr Übriges, um schnelle Szenenwechsel zu ermöglichen. Während des “Cell Block Tango” stehen sechs überdimensionierte Buchstaben auf der Bühne, die das Wort ‘MURDER’ (deutsch: Mord) bilden. Auch das Lichtdesign von Olaf Freese ist erwähnenswert. Während Mary Sunshines Song bilden die Glühlampen mit ihrem Licht einen strahlenden Sonnenschein. Es ist ein Detail, doch genauso geht Perfektion und das ist sinnbildlich für die gesamte Inszenierung in all ihren Facetten.
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KREATIVTEAM |
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Musikalische Leitung | Adam Benzwi |
Inszenierung | Barrie Kosky |
Bühnenbild | Michael Levine |
Kostüme | Victoria Behr |
Choreografie | Otto Pichler |
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CAST (AKTUELL) |
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Roxie Hart | Katharine Mehrling (Maria-Danaé Bansen) |
Velma Kelly | Ruth Brauer-Kvam (Maria-Danaé Bansen) |
Billy Flynn | Jörn-Felix Alt (Nicky Wuchinger) |
Mama Morton | Andreja Schneider (Sigalit Feig) |
Amos Hart | Ivan Turšić (Philipp Meierhöfer) |
Mary Sunshine | Hagen Matzeit |
Kitty | Martina Borroni |
Liz | Mariana Souza |
June | Danielle Bezaire |
Annie | Laura May Croucher |
Mona | Lindsay Dunn |
Hunyak | Paulina Plucinski |
Tänzer | Lorenzo Soragni Michael Fernandez Andrii Zubchevskyi Shane Dickson Benjamin Gericke Ivan Dubinin |
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GALERIE |
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TERMINE |
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TERMINE (HISTORY) |
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