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Eine überdimensionales Notenblatt mit dem handschriftlichen “Dies irae”- Auszug des Mozart- Requiems als Blickfang in der Bühnenmitte, etwas seitlich links davor eine imposante Treppen-Klaviatur: Schon der erste Blick auf das Tecklenburger Bühnenbild lässt es vermuten: Dieser “Mozart!” wird ganz anders als man ihn je zuvor gesehen hat. 15 Jahre nach der soliden, sehr traditionellen ersten “Mozart!”-Inszenierung von Cusch Jung ist es den Freilichtspielen Tecklenburg gelungen, die Erlaubnis der Vereinigten Bühnen Wien für eine Neuinszenierung zu erhalten.
Das von Ulrich Wiggers clever konzipierte und von Jens Janke umgesetzte Bühnenbild ist so eindrucksvoll wie funktional und setzt den Grundstein für die Stimmung der Inszenierung. Da ist nichts mit Kitsch und Puderlocken oder gar irgendwelchen romantischen Vorstellungen von Genie. Vielmehr steht ein düsterer Realismus im Vordergrund, der Mozart als Gefangenen der Zwänge und Konventionen seiner Zeit zeigt. Eine Zeit, in der er nicht so recht passen will.
Doch zunächst zurück zum Bühnenbild: Die Klaviatur-Treppe lässt sich in vier Einzelteile verschieben und ist hinten geöffnet, so dass in den so entstehenden Kammern Szenen gespielt werden können. Hier sehen wir zum Beispiel Leopold Mozart Briefe an seinen rebellierenden Sproß schreiben. Wie in Tecklenburg üblich, werden alle Ebenen bespielt. Oberhalb der Bühnenmitte finden meist die Szenen mit dem Porzellankind Amadé statt. Auf der linken Seitenbühne begegnen wir zum ersten Mal der Familie Weber, deren Oberhäupter in Duktus und Aussehen stark an die Thénardiers aus Les Misérables erinnern.
Der düstere Charakter der Inszenierung wird auch vom Kostümbild aufgegriffen. Karin Alberti beweist erneut ihr geschicktes Händchen und lässt das Ensemble viel im schlichten Schwarz auftreten. Die ebenfalls dabei zum Einsatz kommenden Totenschleier spiegeln das Requiem-Thema des Bühnenbilds, das wie eine dunkle Vorahnung drohend über Mozarts Leben hängt. Ganz deutlich die Botschaft: Mozarts Zerrissenheit, sein Gefangensein zwischen den Extremen Genie und Wahnsinn, Autonomie und Autorität – all das kann und wird kein gutes Ende nehmen.
Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht: Im krassen Kontrast zu den einfachen schwarzen Kostümen konnte sich Alberti bei den prächtigen, verspielten Rokoko-Kostümen der feinen Gesellschaft voll ausleben. Die Kleidung der Figuren Mozart und Colloredo ist jedoch auffallend modern gehalten. Mit seinem langen schwarzen Ledermantel erinnert der Fürsterzbischof eher an eine Mischung aus Lederrocker, Dominus und Vampirgraf als an einen kirchlichen Würdenträger. Mozart trägt oft – teils durchsichtige – Rüschenhemden unterschiedlichster Farben. Besonders hervorzuheben ist hier der stilvolle schwarz-rote Gehrock, der ihn beispielsweise bei den Trauerszenen auf dem Friedhof gelungen von der in schwarz gewandeten Trauergemeinde abhebt. So wird auch auf dieser Ebene noch einmal deutlich, wie fehl am Platz Mozart eigentlich ist. Nicht nur auf dem Friedhof, sondern auch in dieser Zeit. Er passt nicht. Das ist zentrales Leitmotiv dieser Inszenierung.
Ein wirkliches Ausrufezeichen setzt die Choreographie des Spaniers Francesc Abós. Ihr mit nur einem Wort gerecht zu werden ist unmöglich. Sie ist schwungvoll und energisch, anmutig und voller Elan, manchmal auch provokant (zum Beispiel als sich Mozart bei “Ich bin extraordinär” seiner Hose entledigt, um seinen Kontrahenten den Hintern ins Gesicht zu strecken). Wenn der schwergewichtige Theaterdirektor Emanuel Schikaneder (liebenswert gespielt von Benjamin Eberling) leichtfüßig wie eine Gazelle über den Bühnenboden wirbelt oder Constanze bei “Irgendwo wird immer getanzt” gemeinsam mit dem Ensemble Lebensfreude pur zelebriert – da macht das Zusehen einfach Spaß. Auch so hat man “Mozart!” noch nie gesehen.
Neben Bühnenbild, Kostümen und Choreographie ist es die Ausdruckskraft des hochkarätig besetzten Cast, die diese Neuinszenierung – nicht zuletzt auch dank Wiggers’ ausgezeichneter Personenregie – so sehenswert macht.
Jan-Philipp Rekeszus spielt den Titelhelden zutiefst menschlich und macht die Figur ‘Mozart’ mit all ihren inneren Konflikten für das Publikum greifbar. Sein Mozart ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, dem Vater zu gefallen und seinem Verlangen, sich von diesem zu emanzipieren und seine eigenen Wege zu gehen. Das Aufbegehren gegen Autorität, der Wunsch nach Anerkennung seines Genies, der Drang, geliebt zu werden – all das macht seinen Mozart aus. Er ist trotzig und hitzig, dabei aber auch liebenswert und charmant – ein echter dreidimensionaler Charakter, keine Kitsch-Karrikatur. Besonders berührend: Das kraftvoll gesungene und zugleich einfühlsam interpretierte “Was für ein grausames Leben”. In Wiggers’ Inszenierung übrigens nicht nur ein Song von vielen, sondern das Lebensgefühl, das den erwachsenen Mozart seit dem Tod der Mutter nicht mehr loslässt.
Thomas Borchert brilliert erneut in der von ihm geprägten Rolle des Leopold Mozart. Ebenso wie der Sohn ist auch der Vater Mozart zerrissen: Einerseits muss er seine Familie versorgen und dressiert seinen Sohn schon früh zum Wunderkind; andererseits sorgt er sich um das Wohlergehen seines Sohnes, der in seinen Augen immer das Kind bleiben wird, was er einst war. Sein leitmotivisches “Niemand liebt dich so wie ich” wird mit dem Fortschreiten der Handlung immer eindringlicher und schmerzlicher. Ein Höhepunkt ist Borcherts “Schließ dein Herz in Eisen ein”, in dem Leopold den Sohn beschwört, sich anzupassen und nicht zu naiv zu sein.
Auf Alexander di Capris Colloredo muss man sich – auch optisch – erst einmal einlassen. Dann aber packt er einen. Er gibt den Fürsterzbischof herrlich von oben herab, machtbesessen und narzisstisch. Di Capris kraftvolles und rockiges “Wie kann es möglich sein?” bleibt in Erinnerung. Sein Sidekick und Helferlein, Graf Arco, wird darstellerisch und gesanglich souverän von Christian Schöne gespielt.
Auch Katia Bischoff als Constanze Weber macht gesanglich wie darstellerisch eine hervorragende Figur. “Irgendwo wird immer getanzt”, das Wiggers als eindrucksvolle Ensemblenummer inszeniert, ist das unbestrittene Highlight ihrer Darstellung.
Überhaupt sind die Frauen stark besetzt. Wietske van Tongeren sorgt als Sympathieträgerin Baronin Waldstätten mit “Gold von den Sternen” berechtigterweise für Begeisterungsstürme mit partiellen Standing Ovations.
Leider gibt die Rolle der Nannerl Valerie Luksch nicht viele Momente zu glänzen – aber die wenigen Augenblicke nutzt Luksch vollstens aus, wie etwa bei der quirlig umgesetzten Szene auf dem Wochenmarkt (“Ah, das Fräulein Mozart!”) oder ihrer wehmütige Ballade auf die verlorene Kindheit und zerstörten Träume (“Der Prinz ist fort”).
Kraftvoll, präsent und schlagfertig: Das ist Brigitte Oelke als mit allen Wassern gewaschene Cäcilia Weber. Sie ist dafür zuständig, dass der Humor bei all der Dramatik nicht zu kurz kommt – und ein wenig Comic Relief, das braucht ein Stück wie “Mozart!” unbedingt.
Der große Chor und das Ensemble der FreilichtSpiele machen die Massenszenen, für die Tecklenburg bekannt ist, immer noch zu einem atmosphärischen Erlebnis, das seinesgleichen sucht. Ob Totenmesse oder Wochenmarkt, die Szenen am Prater oder in der Wiener Innenstadt: Die breite Tecklenburger Bühne ist immer voll bespielt.
Das Orchester unter der Leitung von Klaus Wilhelm spielt dynamisch auf und unterstreicht so die Macht der auf der Bühne entstehenden Bilder durch die Kraft der Musik.
Die Tecklenburger Neuinszenierung von “Mozart!” ist aber viel mehr als ein Bilderbogen des Lebens eines Genies. Ihre Stärke liegt darin, nicht nur die inneren Konflikte Mozarts sicht- und greifbar zu machen, sondern auch den Bogen in die heutige Zeit zu schlagen. Inszenatorisches Highlight der Vorstellung ist, wenn sich Mozart nach seinem Tod in die Reihe der viel zu früh verstorbenen Stars wie Michael Jackson, Freddie Mercury, Elvis, Marilyn Monroe und Amy Whinehouse einreiht. Ein Gänsehautmoment, der die Zuschauer noch einmal gebannt innehalten lässt.
Urich Wiggers’ Inszenierung stellt Mozart als einen Künstler dar, der in die falsche Zeit hineingeboren wurde, viel zu früh für seine progressiven Gedanken und wilden Freiheitsdrang. Wäre Mozarts Schicksal anders verlaufen, wäre er 200 Jahre später geboren worden? Oder hätte er ohnehin seinem Schicksal nicht entfliehen können? Das alles sind Fragen, die nach der Vorstellung noch lange nachwirken und die der Zuschauer mit nach Hause nimmt.
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KREATIVTEAM |
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Regie | Ulrich Wiggers |
Musikalische Leitung | Klaus Wilhelm |
Choreographie | Francesc Abós |
Kostüm | Karin Alberti Fabienne Ank |
Bühnenbild | Jens Janke |
Maske | Philip Hage |
Regieassistenz | Janina Niehus |
Dance Captain | Jan Altenbockum |
Technisches Team | Dieter Basner Keven Arelmann Claudio Aschendorf |
Sounddesign | Sven Trees |
Lichtdesign | Tim Löpmeier |
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CAST (AKTUELL) |
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Wolfgang Mozart | Jan-Philipp Rekeszus |
Leopold Mozart | Thomas Borchert |
Nannerl Mozart | Valerie Luksch |
Hieronymus Colloredo | Alexander di Capri |
Karl Joseph Graf Arco | Christian Schöne |
Cäcilia Weber | Brigitte Oelke |
Constanze Weber | Katia Bischoff |
Baronin von Waldstätten | Wietske van Tongeren |
Emanuel Schikaneder | Benjamin Eberling |
Aloysia Weber | Tamara Peters |
Josepha Weber | Esther-Larissa Lach |
Sophie Weber | Lara Schitto |
Fridolin Weber | Denys Magda |
Johann Thorwart | Mathias Meffert |
Ensemble | Laura Araiza Inasaridse Hannah Miele Romina Markmann Lara Schitto Giulia Fabris Jenny Kohl Lisa Kolada Janina Niehus Tamara Peters Esther-Larissa Lach Andrew Chadwick Mathias Meffert Christian Rosprim Tim Grimme Denys Magda Oriol Tula Jan Altenbockum |
Amadé | Jonas Basner Lennart Foitzik Konstantin Müller-Bromley |
Junge Nannerl | Rija Holthaus Pauline Korbanka |
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GALERIE |
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