[Die Beste ihrer Art] In dieser Serie beschreiben muz-Autoren jeweils für ein Musical, welche CD-Aufnahme die ihrer Meinung nach relevanteste und beste ist. In dieser Folge: muz-Redakteur Markus Frädrich erklärt, warum er vom Musical “Elisabeth” am liebsten die Wiener Gesamtaufnahme von 1996 hört – obwohl oder gerade weil auf ihr vieles nicht perfekt ist. Sie können mitdiskutieren.
Zu keinem anderen deutschsprachigen Musical sind so viele Cast-CDs auf den Markt gekommen wie zu “Elisabeth”. Am Anfang war die Studioaufnahme zur Welturaufführung 1992, es folgten CDs zu weiteren Aufführungsserien des Musicals in Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Japan und Ungarn. Weil auf ihnen unterschiedlichste Fassungen und Besetzungen des Levay/Kunze-Stücks dokumentiert sind, hat jede Scheibe ihre Berechtigung – abgesehen vielleicht von einer ominösen No-Name-Studio-Cast aus dem Jahr 1997, die sich auf keine bestimmte Aufführung bezieht. Selbst der Musicalversand Sound of Music bezeichnet sie auf seiner Webseite grundehrlich als “16-Track-Studiocast-Aufnahme in deutscher Sprache mit teilweise unfassbar schlechten Interpretationen”.
Sammler wird selbst dieses Urteil nicht abschrecken. Aber welche Scheibe aus der Riege der Aufnahmen empfehlt man jemandem, für den das Biographical um die österreichische Kaiserin komplettes Neuland ist? Die Wiener Gesamtaufnahme aus dem Jahr 2006 mit Maya Hakvoort und Máté Kamarás bietet einen aktuellen, vollständigen Überblick über das Werk. Schade nur, dass es sich bei ihr lediglich um die Audiospur der gleichzeitig erschienenen DVD-Veröffentlichung aus dem Theater an der Wien handelt. Wer die DVD hat, für den ist die CD uninteressant. Wer eine “eigenständige” Gesamtaufnahme des Musicals haben (oder den Kauf der “Elisabeth”-DVD um eine andere Fassung des Stücks auf CD ergänzen) möchte, dem sei die Kompletteinspielung aus dem Jahr 1996 angeraten.
Warum diese CD? Zunächst einmal, weil sie Live-Theater atmet. Die Einspielung ist wunderbar “unperfekt”: Bühnengeräusche (etwa in der Schachspiel-Szene “Wir oder sie!”) sind ebenso wenig retouchiert wie gelegentliche stimmliche Unsicherheiten der Darsteller. Gerade die Tatsache, dass hier nicht alles gestutzt, geputzt und mit Hall unterlegt daherkommt, macht die Aufnahme zu einem perfekten Kino-im-Kopf-Erlebnis.
Argument Nummer zwei für die Doppel-CD: Sie dokumentiert die ursprüngliche, forderndere Wiener Fassung des Stücks. Im Prolog singen die Protagonisten noch munter durcheinander, im gesamten Verlauf fehlen erklärende Szenen wie “Die Kaiserin möchte mit ihrem Sohn spazieren gehn”, in dem Rudolfs Erziehung thematisiert wird. Beim Hören wird deutlich: Das Stück hat offenkundig auch ohne “Wenn ich tanzen will”, Sophies “Bellaria” und andere spätere Ergänzungen funktioniert, war vielleicht sogar anspruchsvoller, schlanker, pointierter. Das dokumentiert auch manche Textstelle. Luchenis “Sie kämpfte um die Monarchie und richtete sich in der Schweiz ein Nummernkonto ein” ist so viel bissiger als das spätere “Jetzt ist sie Ungarns Königin, sie trägt den Kopf so hoch wie nie und strahlt im Glorienschein”. 1996 darf das Volk Elisabeth noch mit “Éljen, Éljen Ezsébet” huldigen und die Kaiserin noch “wie der Teufel” zu Pferd jagen, “Schwarzer Prinz” und “Schwarze Möwe” müssen draußen bleiben.
Weiterhin auf der Haben-Seite der Einspielung: Das opulent und druckvoll aufspielende Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter Caspar Richter und eine herausragende Isabell Weicken als Erzherzogin Sopie. Leon van Leeuwenbergs gesetzter Bariton passt wunderbar zu der Rolle des Franz-Joseph, Bruno Grassini agiert rollendeckend als Lucheni, kann aber leider seinen S-Fehler nicht verbergen (“Kitsss”).
Maya Hakvoort macht sich die Elisabeth mit ihrem einzigartigen, warmen Timbre packend zu eigen, wobei die Liveaufnahme gnadenlos zu Tage fördert, welche Schwierigkeiten ihr zuweilen der Wechsel in die Kopfstimme bereitet – das schafft Pia Douwes bruchloser. Mit Addo Kruizinga steht ihr ein Tod zur Seite, der jenseits von Uwe Krögers Manierismen einen eigenen, kühl-bedrohlichen Charme ausstrahlt. Thomas Harke als Rudolf tendiert leider eher zum Schöngesang als zur Interpretation seiner (wenigen) Songs. Die Pauschal-Euphorie des Wiener Publikums nach jeder noch so kleinen Nummer mag man je nach Stimmungslage als mitreißend oder enervierend empfinden.
Eine Einspielung mit Ecken und Kanten also, die durch ihr Live-Feeling und ihre inhaltliche Dichte aber einzunehmen vermag und die düstere Originalinszenierung von Harry Kupfer treffend transportiert. Schade, dass die CD inzwischen nahezu vergriffen ist und im Internet nur zu horrenden Preisen vertrieben wird. Aber es gibt ja Portale, die auch auf gebrauchte Produkte zu niedrigeren Preisen hinweisen. (mfr)
Welche “Elisabeth”-CD bevorzugen Sie? Hier können Sie Ihre Bewertung abgegeben. Über die muz-Serie “Die Beste ihrer Art” können Sie auch im Forum mitdiskutieren. Nächste Woche lesen Sie: Gastautorin Michaela Flint über das Musical Les Misérables.