[Die Beste ihrer Art] In dieser Serie beschreiben muz-Autoren jeweils für ein Musical, welche CD-Aufnahme die ihrer Meinung nach relevanteste und beste ist. Heute zum Finale: muz-Redakteur Andreas Haider erklärt, welche “Starlight”-Einspielung den besten Eindruck des unverwüstlichen Rollschuh-Spektakels vermittelt.
Unter den CD-Einspielungen von Andrew Lloyd Webbers “Starlight Express” die beste ihrer Art auszumachen, ist eine schwierige Aufgabe. Zum einen liegt der Wow-Faktor des Rollschuh-Spektakels seit jeher im gesamten Live-Erlebnis und nicht isoliert in der seichten Musik, zum anderen gibt es keine Aufnahme, die das Musical in seiner aktuellen Form angemessen wiedergibt. Eine in jeder Hinsicht empfehlenswerte CD muss erst noch produziert werden, denn selbst die beste ist bei Weitem nicht perfekt.
Nirgendwo auf der Welt ist “Starlight Express” erfolgreicher als in Bochum. Seit 1988 läuft die Show im Ruhrpott und hat sich dabei Jahr für Jahr ein wenig dem jeweiligen Zeitgeist angeglichen: Neue Songs kamen hinzu, bestehende wurden in ihrer Reihenfolge verändert, umgetextet oder mit moderneren Arrangements versehen. Umso erstaunlicher, dass die im Theater-Shop angebotene
Gesamtaufnahme aus dem Jahr 1989 stammt. Das Doppel-CD-Album ist nicht nur veraltet, es krankt auch an den üblichen Schwächen eines vor mehr als zwanzig Jahren aufgenommenen Live-Mitschnitts – von gelegentlichem Hall bis zu erschöpfungsbedingten Intonationsschwächen des skatenden Ensembles. Und dennoch fängt es im Vergleich zu anderen Einspielungen die Atmosphäre im Theater am authentischsten ein. Der volle Orchesterklang überzeugt hier ebenso wie die hörbare Spielfreude der Darsteller. Auch wenn deren starker anglofoner Akzent aus heutiger Perspektive oft als störend empfunden wird, gehörte er zur Blütezeit des Musical-Booms in Deutschland wie selbstverständlich dazu und verlieh den großen Ensuite-Produktionen sogar ein wenig internationales Flair. Insofern weckt dieses Album sicher bei so manchem Hörer nostalgische Erinnerungen.
Dass in Bochum auch in den Folgejahren keine phonetische Revolution stattgefunden hat, belegt eine aalglatt geratene Highlights-CD mit anderen Sängern aus dem Jahr 1991. Als Studio-Aufnahme ist sie klangtechnisch sauber produziert und enthält alle wichtigen Nummern, doch ohne den Live-Faktor springt der Funke einfach nicht über. Ein “Update” erfolgte erst im Jahr 2003 mit einer 5-Track-Maxi-CD, die unter anderem mit den beiden neuen Songs “Crazy” und “Allein im Licht der Sterne” aufwartet. Hier erfordern die überladenen Synthie-Arrangements ein hohes Maß an Kitsch-Toleranz. Ein nettes Gimmick für Fans ist jedoch eine Boy-Band-Version des Titelsongs, gesungen von allen Rusty-Darstellern der damaligen Besetzung.
Als Kuriosum darf der erste der insgesamt vier Tonträger zur Bochumer Produktion gelten: 1988 erschien ein Highlights-Album mit der Original Cast, dessen Ziel es offenbar war, die Schlager-Hitparaden zu stürmen. Dafür spricht zum Beispiel die Wahl von Ute Lemper und Johnny Logan als Gast-Interpreten von “Du Allein”. Keine der 14 Nummern erklingt hier so wie sie tatsächlich im Theater zu hören war. Stattdessen sorgen dazwischen plärrende Background-Vocals, überflüssige Instrumentalpassagen und aufgeblasene Pop-Beats für unnötige Verfremdungen.
Wesentlich eindrucksvoller ist dagegen die erste “Starlight Express”-Einspielung überhaupt: das
Original London Cast Album von 1984. In bester Tonqualität dokumentiert die digital überarbeitete Auflage das Musical in seiner Ursprungsfassung nahezu vollständig und bietet so auch viele Songs, die es nicht in spätere Versionen geschafft haben, wie etwa “Belle the Sleeping Car”, “No Comeback” und eine (charttauglich aufgepeppte) Variante von “He’ll Whistle at Me”. Als Kenner der deutschen Produktion hat man hier allerdings stellenweise den Eindruck, einem gänzlich anderen Musical zu lauschen. Zudem fehlte es Nummern wie “Rolling Stock” anfangs noch an Tempo.
Weniger gelungen ist “The New Starlight Express” der Londoner Cast von 1992. Die Studio-Einspielung ist nicht nur arg unvollständig, sie macht auch deutlich, dass nicht alle Überarbeitungen ein Gewinn für die Show waren. So kann zum Beispiel das Liebesduett “Next Time You Fall in Love” – zumindest in der hier veröffentlichten schnulzig arrangierten Version – seinem Vorgänger “Only You” nicht das Wasser reichen. Positiv zu erwähnen sind die Sänger, wie etwa Reva Rice, die den 1. Klasse-Wagen Pearl zuvor schon am Broadway interpretiert hatte und in Whitney-Housten-Manier Gas gibt.
Das Fehlen einer Einspielung der relativ kurzlebigen Broadway-Produktion Ende der 1980er-Jahre kann eine englischsprachige Highlights-CD zur Japan/Australien-Tournee von 1987 nicht zufriedenstellend kompensieren. Einerseits ist die Scheibe aufwändig produziert und hat dort mehr Drive, wo man es auf dem Original London Cast Album vermisst. Andererseits fehlen wichtige Nummern und die Stimmen klingen teilweise deutlich dünner als die der Londoner Kollegen.
So bleibt für den deutschen Markt die Bochumer Live-Aufnahme von 1989 die beste ihrer Art. Aber vielleicht gönnen die Verantwortlichen ihrer Produktion zum 25. Geburtstag im kommenden Jahr endlich einen neuen Gesamtmitschnitt. Ganze Generationen von Fans, die dem Bochumer “Starlight Express” immer noch Besucher- und Laufzeitrekorde bescheren, hätten es jedenfalls verdient.
Welche CD von “Starlight Express” bevorzugen Sie? Forum mitdiskutieren. Die zweite Staffel unserer CD-Serie endet mit dieser Folge.