Die Stimme des Raoul

Zu sehen war er als Lucheni in Essen, als Mr. Andrews in Hamburg und als Raoul in Stuttgart. Zu hören ist Carsten Axel Lepper ab 16. Dezember im Kino: Als deutsche Stimme des „Vicomte de Chagny”, an der Seite von Uwe Kröger (Phantom) und Jana Werner (Christine). Ein Interview über Stimmen und Stimmungen in der Filmfassung des Lloyd-Webber-Klassikers.

Herr Lepper, Sie werden in der deutschen Fassung des Phantom-Films als „Stimme des Raoul” zu hören sein. Was ist das für ein Gefühl, seine Stimme zu „verleihen”?

Zunächst muss ich sagen, dass es ein enorm großes Privileg für mich war, diese Synchronisation zu machen. Wann wurde ein durchkomponiertes Werk überhaupt einmal komplett synchronisiert? Ich kann mich an keinen Film erinnern! Selbst der letzte große Musicalfilm, „Chicago”, wurde nur teilweise – nämlich in den Sprechdialogen – übersetzt. Es ist daher für mich eine große Ehre, in den deutschsprachigen Kinos als Raoul zu hören zu sein.

Orientieren Sie sich an der Stimme des Originaldarstellers, Patrick Wilson, oder kreieren sie ihre eigene Interpretation?

Beim Synchronisieren des Raouls habe ich großen Wert darauf gelegt, dass meine Stimme das Spiel des Kollegen Patrick Wilson harmonisch unterstützt. Ich will im ganzen Film nie vor ihm stehen – irgendetwas besser oder anders interpretieren. Somit hat man als deutsche Stimme die Schwierigkeit, sich nicht nur in die Figur des Raouls, sondern auch in den Menschen Wilson zu versetzen. Stellen Sie sich vor, ich mache „mein eigenes Ding”, ignoriere die Darstellung des Kollegen auf der Leinwand, interpretiere alles so wie ich es für richtig halte – dann funktionieren sein Spiel und meine Stimme nicht mehr miteinander! Und der Zuschauer würde es vielleicht nicht an irgendetwas fest machen können – aber er wäre sicher sehr irritiert. Eine Stimme darf dem Zuschauer in der Synchronisation niemals auffallen – sie muss selbstverständlich wirken.

Inwieweit dürfen Sie sich bei der Vertonung künstlerische Freiheiten nehmen?

Die einzige künstlerische Freiheit, die man bekommt, ist der Klang seiner eigenen Stimme – denn die eigene Stimme ist natürlich anders als die des Schauspielers auf der Leinwand. Manchmal wird man gezwungen, den Text anders zu phrasieren, weil dieser sonst nicht Lippensynchron ist. In einzelnen Fällen haben wir auch noch im Studio Texte verändert. Aber das ist das Maximum an künstlerischer Freiheit.

Wie kam man auf Sie als „Stimme des Raoul”?

Ich denke, es liegt nahe, einen Sänger einzuladen, der die Rolle gerade gespielt hat, und zu probieren, ob seine Stimme mit dem Gesicht des Darstellers funktioniert. Das ist auch so geschehen. Aber dass man die Rolle gespielt hat, ist kein Garant dafür, dass man auch für die Synchronisation besetzt wird! Ich musste – wie alle anderen Kollegen auch – ein Casting durchlaufen. Dort wurden kurze Sequenzen aufgenommen und dann nach England und New York geschickt. Das Kreativteam des Films hat uns dann jeweils ausgewählt und besetzt.

Wie lief die Arbeit im Tonstudio ab?

Wir haben in zwei verschiedenen Studios aufgenommen: Berlin und München. Der Raoul ist im Film die Figur mit den meisten Sprachtakes – somit habe ich einige Zeit gebraucht, um diese in München unter der Obhut eines Dialogregisseurs einzusprechen.
Der Gesang wurde in Berlin aufgenommen, und auch dort war das Team toll: Andreas Hommelsheim, der Synchronregisseur, hat unglaublich genau und perfekt gearbeitet – das fand ich fabelhaft und entsprach meinem Naturell.
Ich musste immer nur einen Satz pro „Take” oder einen kurzen Absatz singen oder sprechen. Manchmal – wenn es plötzlich gut lief – haben wir auch eine ganze Strophe aufgenommen. Vor mir stand ein großer Monitor: Am unteren Rand hat man als Unterstützung eine Millisekundenanzeige, die vor allen Dingen dann nützlich ist, wenn der Raoul nicht zu sehen, aber zu hören ist – sich also „off camera” befindet. Dann muss man sich nach den laufenden Sekunden richten. Manchmal kommt es vor, dass man ein einzelnes Wort bis zu 30 Mal aufnimmt, um dann endlich den richtigen Tonfall zu erwischen. Das zehrt dann schon an den Nerven! Aber nach getaner Arbeit weiß man dann, wofür man sich „gequält” hat – nämlich dann, wenn Bild und Stimme harmonisch zusammenpassen.

Wie lief die Zusammenarbeit mir Ihren „Synchronkollegen” Uwe Kröger und Jana Werner?

Mit Herrn Kröger habe ich ja bereits Hand in Hand die österreichische Kaiserin auf dem Gewissen – somit gab es keine Berührungsängste oder Probleme.
Viel wichtiger war für mich allerdings, dass meine Stimme mit der von Frau Werner harmonisch zusammenpasst. Vor allem im großen Duett sind wir ja gemeinsam zu hören. Da ich im Studio alles alleine aufgenommen habe – anders z.B. wie bei einer CD-Aufnahme – hatten wir allerdings leider nie das Vergnügen, persönlich miteinander zu arbeiten. Das empfinde ich im Nachhinein als sehr schade – aber meiner Meinung nach ist die „Alleinarbeit” im Studio konzentrierter.

Was ist Ihnen im Rückblick leichter gefallen: Raoul zu synchronisieren oder ihn in der Stuttgarter Produktion des Musicals darzustellen?

Das kann man nicht miteinander vergleichen: Die Theaterbühne verlangt ganzen Körpereinsatz: Präsenz in Stimme, Körper, Ausdruck – alles muss stimmen und bis in den zweiten Rang gesendet werden. Beim Film ist alles intimer: alles ist ruhiger, die Stimme wird nicht durchgestützt – denn Lautstärke ist hier fehl am Platze! Hier geht es mehr um Energien. Die Stimme muss zu 100% ehrlich klingen, sonst gibt es einen Bruch zwischen Bild und Ton. Emotionen müssen unglaublich klar in die Stimme gelegt werden.
Theaterarbeit ist gleich Körpereinsatz und geistige Arbeit, Filmarbeit ist gleich Kopf- und Stimmarbeit!

Manche Zuschauer würden im Kino gerne die Originalstimmen der Darsteller hören und glauben, Übersetzung und Neuvertonung schade der Qualität des Film. Was denken Sie darüber?

Ich denke, dass gerade dieses Musical unübersetzt zu komplex ist. Bei einem Film wie „Evita” mit Madonna wollen die Zuschauer die Stimme dieser Weltklassesängerin hören – somit wäre eine Übersetzung fatal! Beim „Phantom” ist sie aber durchaus angebracht, weil die Darsteller keine bekannten Popikonen sind.
Weiterhin ist das deutsche Kinopublikum an Synchronisationen gewöhnt. Ich denke, dass der größte Teil der Kinogänger eingeschüchtert wäre, wenn sie wüssten, dass man den ganzen Film „mitlesen” muss, sofern man der englischen Sprache nicht genügend mächtig ist.
Für das Publikum, das die Originalstimmen unbedingt hören will, wird eine DVD erscheinen, auf der man dann auf diese und andere Special Features zugreifen kann. Vielleicht sogar ein „Making Of” des Synchrons – wer weiß…

Für wie gelungen halten Sie die Filmfassung des Musicals gegenüber der Bühnenfassung?

Das sogenannte Staging ist endlich mal neu! Die Bühnenfassung ist für heutige Verhältnisse einfach „old fashioned” und gehört dringendst überarbeitet. Etwas neue Musik gibt es im Film, und manche Szenen – wie z. B. Primadonna – werden nicht so wahnsinnig ernst genommen. Somit bekommt der Film eine gute Mischung aus Humor und Drama. Was mit dem Kronleuchter passiert, verrate ich allerdings nicht…

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