Kein Imitationswettbewerb

Anja Launhardt, Dozentin an der Stage School Hamburg und Leiterin der Sylter Musical-Meisterkurse gibt Tipps für den Weg von der Entscheidung für eine Musicalausbildung bis hin zum passenden Audition-Song.

Die Entscheidung

Leidenschaft und Talent:
Nicht jeder, der für Musicals schwärmt, hat auch das Talent, Musicaldarsteller zu werden. Neben der Liebe zum Musical gehören musikalisches und tänzerisches Vermögen genauso dazu.

Härte:
Das Musicalgeschäft ist kein leichtes Brot. Wer Musicaldarsteller werden will, muss sich darüber klar sein, dass er sich immer wieder neu bewerben muss und dass Auswahlkriterien und künstlerische Arbeit manchmal extrem hart und unfair sind.

Alter:
Musicaldarsteller, insbesondere mit Schwerpunkt im tänzerischen Bereich, ist ein Beruf mit „Verfallsdatum”. Wer früh beginnt, hat hier sicher Vorteile.

Kritik:
Wer sich für eine Musicalausbildung entscheidet, hat eine Berufswahl getroffen. Daher ist die Ausbildung ein Prozess, in dem Lernen und Kritik annehmen im Vordergrund stehen. Nicht jeder, der schon auf einer Amateurbühne gestanden hat, in einer Castingshow die erste Runde überstanden hat oder in der Tanzschule in der ersten Reihe stand, ist ein fertiger Star. Eine Bereitschaft, an sich zu arbeiten, Kritik aktiv umzusetzen und sich aus einer reinen Konsumhaltung gegenüber den Lehrern herauszubegeben, ist zwingend.

Sicherheit:
Musicaldarsteller ist kein sicherer Beruf. Die Ausbildung ist teuer und die anschließende Engagement-Situation ungewiss. Wer ein starkes Sicherheitsbedürfnis hat, ist nicht schlecht beraten, vor der Ausbildung einen „ordentlichen” Beruf zu lernen.

Die Vorbereitung

Erfahrung:
Egal, ob Schul-AG, Amateurensemble, Tanzschule oder privater Gesangsunterricht: Eine praktische Vorbildung hat Vorteile. Auch darüber hinaus, gibt es vielfältige Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln: Das Singen in einem Chor schult z.B. das Gehör und bringt die Fähigkeit, seine Stimme auch gegen andere zu halten, und auch ein Gottesdienst der örtlichen Kirche kann vielleicht die Möglichkeit geben, einmal vor Publikum zu singen.

Lehrer:
Private Gesangs- und Tanzstunden sind ein wichtiges Vorbereitungsinstrument auf eine Musicalausbildung. Die Wahl des richtigen Lehrers ist dabei äußerst wichtig: Nicht immer bürgt ein bekannter Name auch für Qualität. Deshalb lohnt es sich, bei mehreren Lehrern zu hospitieren, um deren Umgang mit Schülern kennenzulernen, bevor man sich entscheidet.

Planung:
Den Schritt in die Musicalausbildung sollte man rechtzeitig planen. Man sollte sich z.B. schon am Beginn der Abiturjahres über die Termine für Aufnahmeprüfungen an den Schulen informieren, ruhig schon einmal den Kontakt suchen und offene Fragen klären. Viele Schulen bieten darüber hinaus die Möglichkeit, das Programm und die Dozenten im Rahmen von Workshops kennenzulernen, die manchmal sogar die Aufnahmeprüfungen ersetzen können.

Theorie:
Zur Musicalausbildung gehört mehr als nur Tanz und Gesang. Grundkenntnisse der Musiktheorie sind nützlich. Wer ein Instrument beherrscht, hat Vorteile, wenn es darum geht, z.B. auf dem Klavier einen Ton zu finden. Auch Musicalgeschichte ist wichtig, denn das Genre Musical besteht nicht nur aus den wenigen Großproduktionen der Stage Holding. Auch ältere und unbekanntere Shows von „A little night music” bis „Scarlet Pimpernel” zu kennen, hilft oft bei der Stückauswahl und wer schon einmal etwas von Bob Fosse gehört hat, der hat auch im Gespräch bei der Aufnahmeprüfung einen Vorteil.

Die Aufnahmeprüfung

Songauswahl:
Eine Aufnahmeprüfung an einer Musicalschule ist wie ein Bewerbungsgespräch. Man sollte daher einen Song wählen, der die eigenen Stärken wirkungsvoll präsentiert und herausstellt. Ein schwieriger Song ist nicht automatisch ein guter Audition-Song. Technische Fehler treten dabei häufig deutlicher zu Tage. Gerade Belt-Songs sind kritisch, da die noch untrainierte Stimme den auftretenden Belastungen oft noch nicht gewachsen ist.
Es lohnt sich, sich Lieder auch abseits der Musical-Standards aus dem Stage-Holding-Programm zu suchen, denn jede Jury schaltet nach dem fünften „Tot zu sein ist komisch” irgendwann ab.
Auch wer später einmal die „Elisabeth” singen will, muss dies nicht zwingend schon in der Aufnahmeprüfung tun, wenn er den hohen Schlußton nicht sicher beherrscht oder eigentlich optisch und stimmlich einem ganz anderen Rollentypus entspricht. Ein Prüfungssong sollte auch keine Kopie sein, denn eine Aufnahmeprüfung ist kein Britney-Spears- oder Pia-Douwes-Imitationswettbewerb. Die Jury interessiert sich für das individuelle Potential der Bewerber. Die Songs sollten nicht zu lang und ermüdend sein, im Zweifelsfalle lieber von vorn herein eine Strophe streichen.

Training:
Das beste Mittel gegen Lampenfieber ist gute Vorbereitung. Man sollte keine Gelegenheit auslassen, die Audition-Songs schon lange vorher vor Publikum und damit in einer Prüfungssituation zu erproben und zu festigen. Angst führt zu Reflexen, die den zum Singen notwendigen Atem blockieren. Diese Angst lässt sich am besten durch ein Training unter „Ernstfallbedingungen” in den Griff bekommen.

Schwerpunkte:
In der Vorbereitung sollte der Schwerpunkt auf den eigenen Stärken liegen. Eine gelungene Vorstellung in einem der Teilbereiche Gesang, Tanz oder Schauspiel kann Defizite in einem anderen besser ausgleichen, als dass eine durchschnittliche Gesamtleistung im Gedächtnis der Jury bleibt. An Schwächen zu arbeiten ist dann Aufgabe der Ausbildung.

Outfit:
Eine Aufnahmeprüfung ist eine Bewerbungssituation. Eine gepflegte, optisch vorteilhafte Erscheinung bringt Pluspunkte. Auch hier gilt: Die eigenen Qualitäten in Szene setzen.
Piercings in Lippe und Zunge sind im Gesangsbereich ungern gesehen und sollten daher vorher entfernt werden. Für die Tanzprüfung empfiehlt sich bequeme, aber nicht zu weite Kleidung, die Körperkonturen und Bewegungsabläufe erkennen lässt. Sportschuhe mit extrem dicken Sohlen sind ebenso hinderlich, wie ein fehlender BH bei weiblichen Bewerbern.

Vorbereitung:
Wenn der Ort der Aufnahmeprüfung weiter entfernt ist, empfiehlt es sich, ohne Stress einen Tag früher anzureisen. Fehlender Schlaf macht sich genauso in der Leistung bemerkbar wie zu viel Alkohol am Abend zuvor. Auch Raucher sollten zumindest am Tag vorher auf ihre Leidenschaft verzichten, die nervenberuhigende Zigarette kurz vor dem Vorsingen hört man leider nur zu deutlich.

Notenmaterial:
Das Notenmaterial für die Aufnahmeprüfung sollte gut lesbar und vernünftig kopiert sein. Muss ein Song transponiert werden, sollte man die Ausgaben nicht scheuen, dieses professionell aufs Notenpapier bringen zu lassen. Die Noten sollten zusammengeklebt sein, ein wirres Zettel-Durcheinander ist ebenso wenig hilfreich, wie nicht deutlich gekennzeichnete Kürzungen, Codas oder Fermaten. Über solche Besonderheiten sollte der Begleitpianist genauso bei der Übergabe der Noten kurz informiert werden wie über das gewünschte Tempo.

Die Prüfung:
Jetzt geht es darum, Pluspunkte zu sammeln. Das beginnt schon bei einer freundlichen Begrüßung für die Jury UND den Pianisten. Eine erste Entschuldigung schon vor dem Vortrag – sei es wegen Erkältung, Anreisestress oder sonstiger Unwägbarkeiten- schafft einen negativen Einstieg, schärft die kritischen Ohren der Jury und sollte deshalb möglichst unterbleiben.
Ein Vorsingtermin früh am Tag garantiert eine noch frische Jury, pünktliches Erscheinen sorgt für einen weiteren positiven Eindruck.
Auf jeden Fall gilt: Niemals in schlechter Form präsentieren. Wer krank und nicht voll einsatzfähig ist, sollte seine Teilnahme besser absagen und sich um einen Ausweichtermin kümmern.

Wer aber gut vorbereitet und trainiert ist, passende Songs gewählt hat und schließlich noch über das entscheidende Fünkchen Talent und Begeisterung verfügt, für den sollte die Aufnahmeprüfung der erste erfolgreiche Schritt in den Traumberuf Musicaldarsteller werden.

Overlay