Sei ein bisschen mehr Gollum

Ab dem 16. Dezember 2007 trifft im Bonner Opernhaus Mythos auf Musical: Frank Nimsgerns neues Musical “Der Ring” feiert Premiere. Die muz war bei den Proben dabei.

Zum tosenden Orchesterplayback fährt Siegfried aus dem Bühnenboden. Blond, muskulös, mit Drachen-Tattoo auf dem Rücken. “Es ist ein Junge!” ruft Alberich und kniet sich verzückt neben seine Schöpfung. “Sag’ was, und Hände aus den Taschen, wenn dein Vater mit dir redet!” Während düstere E-Gitarren das wagnersche Siegfried-Motiv andeuten, gibt der strahlende Adonis einen Urschrei von sich, räkelt sich bedrohlich, packt Alberich und wirft ihn quer über die Bühne. Dann schreitet Siegfried zum Amboss, nimmt den Hammer zur Hand und singt im Takt schneller Beats: “Ich schmiede und schleif’ mein Schwert der Rache.”

Christian von Götz klatscht in die Hände. “Prima, prima, prima”, sagt der Regisseur. “Markus, die Energie ist nach wie vor klasse, da gibt’s gar nichts. Aber Darius: Du musst den Alberich unbedingt noch etwas kreatürlicher spielen, mehr von unten. Sei ein bisschen mehr Gollum, okay?” Darius Merstein-MacLeod nickt verständig, ein eifriger Regieassistent tauscht das Metallschwert aus, das Siegfried-Darsteller Markus Hezel im Eifer des Gefechts krumm gebogen hat. “Dann noch einmal von vorn”, ruft Christian von Götz. “Und bitte!”

Bei Richard Wagner wird Siegfried von Siegmund und Sieglinde gezeugt – im Musical “Der Ring”, das am 16. Dezember im Bonner Opernhaus Premiere feiert und dort zwei bis drei Jahre zu sehen sein soll, wird der blonde Hüne dagegen vom Zwerg Alberich erschaffen, ähnlich wie Frankensteins Monster. “Ich wollte unbedingt diesen Arier-Drecksgedanken raus haben”, sagt Frank Nimsgern, während er Kaugummi kauend das Geschehen auf der Probenbühne verfolgt.

Nimsgern, der als Sohn des Opernsängers Siegmund Nimsgern “quasi in Bayreuth groß geworden” ist, hat das Musical komponiert, auch die Idee zum Stück stammt von ihm. “Eigentlich sollte ich für Bonn ein ganz anderes Stück schreiben”, sagt er. “Aber dann habe ich denen gesagt: Ich weiß etwas viel Besseres für euch. Eine Sache, die sensationell in diese Location direkt am Rhein passt, in Sichtweise des berühmten Drachenfelsen.” Nimsgern sagt nicht Theater. Er sagt Location.

Dass der Nibelungenstoff ein “ganz heißes Eisen” ist, sei ihm bewusst. “Jahrelang bin ich mit der Idee schwanger gegangen, bevor ich mich an dieses deutsche Nationalheiligtum rangetraut habe”, sagt er. Vor Wagners Tetralogie habe er größten Respekt. “Die letzten 16 Takte der “Götterdämmerung” sind für mich unglaubliche, unfassbare Musik”, sagt Frank Nimsgern, der Mann, der “Poe” und “Arena” im Saarländischen Landestheater gemacht hat, und Shows wie “HeXen” und “Elements” im Berliner Friedrichstadtpalast. Nicht besser, sondern anders als Wagner wolle er die Ring-Saga verarbeiten. Als abendfüllendes, abgeschlossenes Werk, nicht als Sequel. Nimsgern sagt nicht Mehrteiler. Er sagt Sequel.

Wie aber in drei Stunden schaffen, wofür Wagner fünfzehn braucht? “Keep it simple”, heißt Nimgerns Devise. “Bei Wagner muss man ja erst eine Bedienungsanleitung lesen, um in Sachen Handlung durchzusteigen”, sagt er. “Deshalb haben wir alles vereinfacht und komprimiert.” Alberich ist im Musical eine Kombination aus den Figuren Alberich, Mime und Hagen, auch die Frauenrollen Brunhild, Erda und Fricka werden zusammengefasst. “Wir konzentrieren uns ganz auf das Schicksal der vier Hauptfiguren Brunhild, Wotan, Alberich und Siegfried”, sagt Nimsgern. “Dazu spiegeln sich in unserem Stück Elemente aus der Edda, Grimms Märchen oder Tolkiens ‘Herr der Ringe’ wider. Das macht die Sache unglaublich sexy.” Nimsgern sagt nicht reizvoll. Er sagt sexy.

Auf der Probenbühne beltet sich derweil Aino Laos die Seele aus dem Leib. “Du tappst in die eignen Fallen / du müdes, altes Tier” besingt sie als Brunhild Göttervater Wotan (Karim Khawatmi), der sich im Hintergrund selbstgefällig auf seinem Thron lümmelt. Nimsgern hat seinen “Ring” in ein seicht-eingängiges Pop-Gewand gekleidet, angereichert mit schmachtenden Musical-Balladen (“Lass es Liebe sein”), schlagerseligen Heile-Welt-Hymnen (“Sei wie du bist”) und treibenden Rocknummern (“Brenn mir den Tag”), verdickt mit archaisch-ethnischen Elementen in den dramatischen Szenen.

Richard Wagner soll das “Rheingold”-Vorspiel im Schlaf eingefallen sein – hatte Frank Nimsgern ähnliche Inspirationserlebnisse? “Ich bin tatsächlich heute Morgen aufgewacht und habe zwei Seiten für einen Song umgeschrieben”, antwortet Nimsgern grinsend. “Aber ich würde mich niemals mit einem Genie vergleichen. Ich sehe mich eher so ein bisschen als Quentin Tarantino des Musicals – ich jongliere gerne mit musikalischen Stilen, spiele gern mit Zitaten.” Auch wagnersche Themen klingen immer mal wieder an. “Als Hommage, weil Wagner schließlich das Leitmotiv invented hat.” Nimsgern sagt nicht erfunden. Er sagt invented.

Insgesamt sieht Frank Nimsgern seine Partitur als Versuch, dem Ringstoff mit popmedialen Mitteln nahe zu kommen – mit versteckten Anspielungen für Wagner-Kenner.

“Was aber nicht bedeutet, dass man unseren ‘Ring’ nur als Opernexperte verstehen kann”, sagt Regisseur Christian von Götz. “Wer die Zitate erkennt, hat seinen Spaß an der Travestie der Themen – wer sie nicht erkennt, hat einfach nur Spaß an einem elementaren Theaterabend.” Spaß – wie auch immer geartet – ist von Götz wichtig. Den Kampf zwischen den Riesen Falsot und Fafner hat er etwa als Puppenspiel inszeniert. “Gutes Theater muss immer lustvoll sein”, findet er. “Vor allem ein Musical hat natürlich bestimmte Unterhaltungserwartungen zu erfüllen. Was nicht heißen soll, dass das Gehirn eines Musicalpublikums nichts zu beißen bekommen darf.”

Auch Frank Nimsgern verteidigt das Genre. “Das Musical hat durch seine Kommerzialisierung einen unglaublich klebrigen Beigeschmack gewonnen”, meint er. “Dabei ist es oft nur deshalb oberflächlich, weil es oberflächlich verstanden und realisiert wird.” Sagt ein Komponist, in dessen Musical die Rheintöchter mit “Befrei’ mich / entweih’ mich” zum Ring locken und der Zwerg Alberich Songtexte wie “War ich mal die letzte Nulpe / Blüh’ ich heute wie ’ne Tulpe” singen darf.

Für Regisseur Christian von Götz ist die Schlichtheit solcher Verse (Text: Daniel Call) eher “wunderbare Provokation” als handwerklicher Makel. “Wir gehen mit schwarzem Humor, mit Ironie und ziemlich harten, realistischen Brechungen an die Sage heran”, verteidigt er das, was im aufwendig gestalteten Bühnenbild von Heinz Hauser zu sehen sein wird. “Eine gewisse Ernsthaftigkeit ist uns wichtig – deshalb müssen wir noch lange nicht alles ernst nehmen”, ergänzt Frank Nimsgern. “Es wird jedenfalls ein gigantisches Spektakel, frech, aber nicht respektlos, Ende aus, Micky Maus.” Nimsgern sagt nicht Basta. Er sagt “Ende aus, Micky Maus”.

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