“Wir brauchen das Vierspartenhaus!” Diese Forderung von Regisseur Stefan Huber brachte das Dilemma auf den Punkt. Musical kommt nicht vor im Denken vieler Stadttheater-Intendanten. Unter anderem diskutierten unter der Leitung von Sören Fenner (www.theaterjobs.de): Prof. Klaus Zehelein (Präsident der Bayrischen Theaterakademie August Everding), Pavel Fieber (Regisseur und Intendant), Ralf Schaedler (Casting-Direktor der Stage-Entertainment), Prof. Peter Lund (Autor, Regisseur und Studiengangsleiter an der UdK Berlin), Gil Mehmert (Regisseur und Professor an der Folkwang Hochschule Essen), Stefan Huber (Regisseur) und Norbert Hunecke (Bundesagentur für Arbeit/ZAV).
Die Suche nach den Gründen und nach Lösungen für dieses Problem bestimmte größtenteils die Podiumsdiskussion im Rahmen der Absolventenpräsentation der staatlichen Musicalschulen in München. Eigentlich hatte die veranstaltende Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit zu einer Runde unter dem Titel “Beruf: Musicaldarsteller – Ausbildung und Markt, Anspruch und Realität” geladen. Doch schnell verschob sich der Fokus in Richtung der Befindlichkeiten und Sichtweisen auf Szene und Berufsbilder der Musical-Aktiven und Entscheider. Das namhaft besetzte Podium bot dafür genügend Reibungspunkte. Wenig Begeisterung erntete der Casting-Direktor der Stage Entertainment, Ralf Schaedler, schon mit seinem Eingangsstatement, in dem er seinen Anspruch an das Absolventen-Vorsingen vor allem im Abgleich von optischen Vorgaben und technischen Fähigkeiten formulierte: “Ich will sehen, wie hoch jemand singen kann und wie hoch er das Bein kriegt!”
Darauf wollte der Münchner Akademie-Präsident Klaus Zehelein die Absolventen nicht reduziert sehen. “Wir bilden Allrounder aus, längst nicht nur für den Musicalmarkt!”
Doch auf diesen sehr kleinen Musicalmarkt scheint der Wirkungskreis der Absolventen oftmals noch begrenzt zu sein, wie Peter Lund, Autor, Regisseur und Studiengangsleiter aus Berlin beklagte: “Der angelsächsische Raum kennt den Begriff ‘Musicaldarsteller’ gar nicht, da heißt es ‘Actor’ – egal ob Schauspiel oder Musical!” Doch gerade in der Vielseitigkeit, in dem Nebeneinander von schauspielerischem Können, den “sportlichen”, tänzerischen Leistungen und dem Gesang liege doch das Plus der Musical-Ausgebildeten. Trotzdem sei das Genre nicht anerkannt: “Das merk ich auch als Regisseur, wenn ich sage, ich mach Musical, dann gucken die alle, als hätte ich kein Abitur!”
Die Verantwortung für diesen schlechten Ruf des Musicals suchten vor allem die Stadttheater-Verantwortlichen wie Klaus Zehelein und Regisseur Gil Mehmert bei den Großproduktionen. Deren offensive und kulturferne Vermarktung und die mangelnde künstlerische Qualität und Originalität seien prägend für ein öffentliches Bild, von dem man sich absetzen müsse.
Doch auch an den Stadttheatern selbst sei noch Handlungsbedarf: Intendant und Regisseur Pavel Fieber brachte es auf den Punkt: “Musical wird schlecht behandelt.” Doch die Suche nach den Gründen blieb nebulös und bemühte die mangelnde Tradition ebenso wie die Unwissenheit der Intendanten. “Sie würden einen Tannhäuser doch auch nicht mit einem Musicaldarsteller besetzen!”, beschrieb Stefan Huber seine Argumentation für das Engagement von Musical-Gästen an einem Stadttheater. Die Oper als Kontrapunkt zum Musical bemühte auch Peter Lund: “Wenn wir uns Opernproduktionen anschauen, da sind wir Deutschen doch Weltmeister im Schaffen von Bedingungen.” Wenn nur ein bisschen von den finanziellen und logistischen Möglichkeiten auch für Musicalproduktionen aufgewendet würde, sei schon viel gewonnen.
An den konkreten, berufsorientierten Bedürfnissen der Absolventen, die einen Löwenanteil des Publikums bildeten, ging die Diskussion um das Selbstverständnis des Genres bis zu diesem Zeitpunkt allerdings größtenteils vorbei. So legte Diskussionsleiter Sören Fenner (theaterjobs.de) zum Abschluss den Fokus noch einmal mehr auf die Rahmenbedingungen für Musicaldarsteller und fragte nach Daten, Zahlen und Fakten.
Auf rund 1000 Anfragen im Jahr bezifferte ZAV-Sprecher Norbert Hunecke das Aufkommen an Anfragen für die ingesamt rund 1300 in der ZAV-Kartei gelisteten Darsteller. Die Zahl der beim Ensuite-Branchenprimus unter Vertrag stehenden Darsteller gab Ralf Schaedler mit 350-400 an.
Die Verdienstmöglichkeiten fallen vor allem bei den Stadttheatern und in freien Produktionen eher schmal aus. Es sei zwar inzwischen eine Mindestgage von 1500 Euro pro Monat festgelegt, doch Bezahlungen bis hinunter zu 50 Euro pro Abend seien keine Seltenheit. An der Oper werde generell weitaus besser bezahlt als im Schauspiel.
Präzisere Aussagen zur Gagensituation in den Ensuites mochte Ralf Schaedler aufgrund der unterschiedlichen Haustarifverträge nicht treffen, er ordnete die Verdienstmöglichkeit für Ensembledarsteller zwischen 2700 und 4000 Euro ein.
Drei mögliche Wege für junge Darsteller zeigten die Diskutanten auf: Ensuite mit finanzieller Absicherung, aber wenig Abwechslung, Stadttheater-Ensemble von der Pike auf mit unterschiedlichen Herausforderungen auch im Schauspielbereich, oder Gaststatus an verschiedenen Theatern mit einer Spezialisierung aufs Musicalgenre und viel Herumreiserei.
Ob man sich letztendlich auf die kostenfreie Vermittlung durch die ZAV verlasse, einen Agenten mit der üblichen Pauschale von 10% beauftrage, oder aber auf dem freien Markt mit seinen Onlineportalen wie theaterjobs.de oder stagepool.de sein Engagement suche, sei nicht entscheidend. Ein Ratschlag von Pavel Fieber aber klang deutlich heraus aus der gesamten Diskussion um die Rolle des Musicals innerhalb der Theaterszene oder als vierte Sparte: “Ihr müsst Euch bewerben als Schauspieler, die auch singen und tanzen können.”