Felix Seiler - © Edison Vigil
Felix Seiler - © Edison Vigil

3 Fragen an... Felix Seiler

Felix Seiler studierte Musiktheater-Regie an der Theaterakademie Hamburg und arbeitete als Regie-Assistent und Spielleiter zunächst an der Staatsoper Hannover und anschließend mehrere Spielzeiten an der Komischen Oper Berlin. In den letzten Jahren waren Musical-Inszenierungen von ihm in Osnabrück (“The Addams Family”, “Comedian Harmonists – Jetzt oder nie”), Coburg (“Otello darf nicht platzen”) und Bremerhaven (“Der Graf von Monte Christo”) zu sehen. Hier befindet sich Felix gerade in den Endproben für Ebb/Kanders “Chicago”, das am Stadttheater am 19. September unter Corona-Bedingungen Premiere feiert.

Regisseur in Corona-Zeiten – Fluch oder Kreativitätsschub? Wie waren deine ersten Erfahrungen in Heidelberg, wo du im Juni zwei Wochen lang Vor-Proben für deine “Im Weißen Rössel”-Inszenierung hattest?

Ich würde sagen: beides! Mich hat es zum Glück erst mal nicht so hart getroffen und im Gegensatz zu vielen anderen Freischaffenden, wurde ich vom “finanziellen Fluch” verschont,denn ich habe im Januar und März in Coburg und dann kurz vor dem Lockdown in Osnabrück noch zwei Inszenierungen rausbringen können. Die Phase bis zum “Rössl”, das im Juni dann in Heidelberg Open-Air Premiere haben sollte, war sowieso für die Vorbereitung der nächsten Projekte (unter anderem eben auch “Chicago”) gedacht. Aber schon zu Beginn und im Verlauf der Pandemie dann noch mehr, gingen mir die ganzen Leute furchtbar auf den Keks, die sich in Schwarzseherei regelrecht überbieten wollten, wann wir wieder Theater machen könnten, dass dann keine Zuschauer mehr kämen und dieser nicht sehr hilfreiche Satz, dass dann nicht mehr so sein werde, wie wir es kennen…

Ich dachte sofort, natürlich wird es anders und manches wird man nicht spielen können, aber das ist doch wirklich auch eine Herausforderung, dass wir trotzdem spannendes und anspruchsvolles Musiktheater machen können, wo die Leute eben nicht den ganzen Abend in Plexiglaskäfigen sitzen oder mit Masken herumrennen müssen. Insofern war ich auch sehr gespannt, als wir aus dispositionellen Gründen, das nun auf Sommer 2021 verschobene “Rössl” in Heidelberg im Juni ein Jahr vor der Premiere vorproben sollten. Meine Befürchtung war dabei eher, dass die Darsteller vielleicht weniger motiviert sind, weil die Premiere noch so weit weg ist. Aber das Gegenteil war der Fall, man hat richtig gemerkt, wie alle gebrannt haben, endlich wieder spielen zu dürfen. Mit 1.5m-Schachbrettmuster auf dem Boden markiert, einer Probebühne, bei der man glücklicherweise die ganze Zeit ein Tor zum Hof für ausreichend Frischluft offenhalten konnte, war das ganz schnell wieder eine vertraute Probensituation ohne den lähmenden Gedanken, dass man sich permanent anstecken könnte. Bei manchen Szenen habe ich dann eben gesagt, “Dabei sitzt ihr dann in einem Jahr hoffentlich wieder nebeneinander”, aber proben ließ sich das auch mit Abstand gut. Gesungen werden konnte auf Grund der Größe der Probebühne zwar nur markiert, also angedeutet – aber auch wenn es letztendlich nur Proben waren, dachte ich da schon: selbst wenn wir im schlimmsten Fall in einem Jahr immer noch so eine Situation haben, dann werden wir auch unter diesen Umständen, was Gutes zu Stande bekommen. Spielfreude funktioniert auch über Abstand und ist stärker als Corona!

Welches ist die größte Herausforderung für deine Arbeit unter Corona-Bedingungen und welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf deine ersten Konzeptionen für “Chicago”?

Abstand! In jedem Bereich. Von der Bauprobe, bei der Hartmut Schörghofer, der Bühnenbildner aus Österreich, wegen der gesperrten Grenzen nicht anreisen konnte und per Zoom zugeschaltet und vom armen Regieassistenten per Kamera im Telefon herumgetragen werden musste, bis zu so Sachen, dass schnelle Umzüge dieses Mal ohne helfende Hände stattfinden müssen und natürlich die größte Herausforderung: mit den verschiedenen Distanzen beim Sprechen, Tanzen und Singen auf der Bühne umzugehen.

Bei “Chicago” hatten wir das Glück aber trotzdem wieder mehrfach auf unserer Seite. Es ist ein Stück, bei dem sich die Leute jetzt nicht ständig in den Armen liegen müssen und auch der Stil des Stücks verlangt ja jetzt keinen Fotorealismus, sondern man kann mit Raum und Situationen sehr viel freier umgehen. Corona-unabhängig hatte Hartmut auch schon einen wunderbar variablen und trotzdem atmosphärischen Bühnenbildentwurf geschaffen, in dem es verschiedene Ebenen und bei Bedarf sehr viel Platz gab. Auch hatten wir uns schon vor Corona dafür entschieden, dass der Großteil des Chores aus dem Off singen soll, denn Bremerhaven hat eine fantastische Ballettsparte, die wirklich einzigartig ist und sich immer wieder mit Herzblut aufs Neue ans Musical heranmacht. Anpassen mussten wir, dass das Orchester nicht im Graben spielen darf, sondern live von der größten Probebühne im Haus auf die Bühne übertragen wird – aber das ist im Musicalbereich ja auch keine Neuigkeit. Und wir spielen wie gerade überall ohne Pause, was dem Stück aber erstaunlicherweise sehr gut tut und es dadurch sehr viel straffer und direkter wirkt.

Welche besonderen Sicherheits- und Hygieneregeln müsst ihr in Bremerhaven jetzt hinter der Bühne beachten, wie wirkt sich das auf Darsteller und Musiker aus?

Eine kleine, aber sehr ungewohnte Maßnahme ist, dass auf der Probebühne jeweils nur 45 Minuten am Stück geprobt werden darf, dann muss für 15 Minuten pausiert und gelüftet werden. Das hat zum einen den Nachteil, dass man in einer 4-Stunden-Probe nur das schafft, was man sonst in fast 3 Stunden schaffen würde, aber es ist auch ein ganz seltsamer Rhythmus, denn man hat gerade etwas neu angefangen und schon ist Pause. Die Zahl der darstellenden Personen auf der Probebühne ist auch begrenzt, was bedeutet, dass man manche große Szene dann nur auf der Bühne proben kann. Bei den Requisiten passen wir auf, dass jeder Darsteller seine möglichst nur alleine benutzt und wenn mal etwas die Hände wechseln muss, dass es von verschiedenen Seiten angefasst wird. Die größte Herausforderung aber sind natürlich die Distanzen – insbesondere, die, die beim Singen eingehalten werden müssen. Das sind im Bundesland Bremen, zu dem Bremerhaven ja gehört, im Moment noch 6 Meter in Singrichtung und 3 Meter zur Seite. Aber auch da kam uns “Chicago” dann doch entgegen, da zum großen Teil nur eine Person diesen Extrem-Abstand halten muss und der Chor, wie bereits erwähnt, aus dem Off kommt.

Für die Darsteller ist das eine Riesenherausforderung, denn jeder Blick und jede Kopfbewegung, die man instinktiv beim Sprechen und Singen machen würde, steht plötzlich auf dem Prüfstand und muss dann, nachdem die Szenen geprobt worden sind, noch einmal künstlich auseinandergenommen und wieder so gesetzt werden, dass die Abstände auch wirklich nachweislich eingehalten werden – und bei allem soll ja trotzdem noch eine gute Szene herauskommen. Man wird dann mit der Zeit auch leicht paranoid: um die “Unsichtbarkeit” der Figur von Amos zu unterstreichen, sitzt bei uns in dem eingeschobenen Dialog in der Mitte von “Mister Cellophane” Amos auf der linken Seite auf einem Stuhl und auf der rechten Seite im Büro von Billy Flynn steht derselbe Stuhl noch einmal und der Anwalt spielt mit dem “unsichtbaren” Amos. Und da ist es mir in den Proben mit unserem Billy Flynn, Frank Winkels, wirklich einmal passiert, dass ich gesagt habe, “Achtung, Frank, du bist jetzt viel zu nah an Amos” – obwohl er mit einem leeren Stuhl spielt…

Aber zurück zur ersten Frage, ob Corona Fluch oder Kreativitätsschub bedeutet: natürlich könnten wir alle blendend ohne diese Pandemie auskommen und machen wir uns nichts vor: ein einziger positiver Fall im Theater wirft den ganzen Betrieb durcheinander. Aber wenn ich dann sehe, was für eine großartige Arbeit die Choreografin Andrea Kingston mit den Solisten und dem Ballett, das eine Unzahl verschiedener Rollen spielt, leistet, wo man wirklich keine Sekunde darüber nachdenkt, wer da jetzt wie Abstand halten muss, sondern einfach wunderbare Bilder und Momente entstehen, dann denke ich, dass dieses “Chicago” vielleicht nur unter diesen Bedingungen so werden wird, wie ich mir eine ideale, mitreißende, unterhaltsame und packende “Chicago”-Produktion tatsächlich vorstelle.

 
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