Chris Murray ist einer der gefragtesten Musicaldarsteller und gastiert seit seinem Debüt 1997bei „Das Phantom der Oper” in Hamburg regelmäßig an vielen Theatern im deutschsprachigen Raum. Dabei spielte er sich fast einmal quer durch das Repertoire und kreierte viele Rollen in zahlreichen deutschsprachigen Erst- und Uraufführungen. 2019 inszenierte Chris erstmals am Theater Vorpommern und stand gleichzeitig in der Titelrolle in “Jesus Christ Superstar” auf der Bühne.
Seit dem coronabedingten “Dauer-Lockdown” für Kulturschaffende leben einige deiner Kollegen ihre Kreativität aus, indem sie zum Beispiel Kuchen backen oder T-Shirts designen. Womit motivierst du dich in diesen schwierigen Zeiten und womit beschäftigst du dich?
Naja, das ist ein doppelseitiges Schwert. Auf der einen Seite hat man Zeit und auf der anderen Seite die weltlichen Nöte und Realitäten. Die gehen leider nicht Hand in Hand. Es gab sehr viel zu tun, um die wirtschaftliche Existenz zu sichern und dass die Kinder nicht unter dem Homeschooling leiden. Wir haben viel gekocht, mit anderen kommuniziert und uns so gut wie möglich an die Regeln gehalten, damit das alles schneller vorbeigeht.
Der Support durch die Arbeitgeber (Theater & Veranstalter) war durchwachsen und verlangte einem viel Geduld ab. Das Perfide an der ganzen Sache war ja, dass nach dem ersten Lockdown die strenge “berufsverbietende” Situation den größten Teil der Bevölkerung nicht betraf und zum Beispiel VW, alle Büros und Fabriken und so weiter wieder voll gearbeitet haben. Nur die gesamte Veranstaltungs- und Eventbranche, Theater, Kino, Festivals etc. hatten ein komplettes Arbeitsverbot, wie sonst nur noch die Gastronomie und teilweise der Einzelhandel. Ich fand es schon bitter, wenn ein Nachbar mir erzählte, dass es doch “schön wäre, mal Pause zu machen. Es gäbe doch Arte und Netflix und TV als Ersatz…”. Es war besonders bitter, wenn Kollegen, wie zum Beispiel die aus der Fernsehbranche, die im ersten Lockdown furchtbar über vier Wochen Arbeitspause gejammert haben, medienwirksam über die furchtbaren Folgen des Lockdowns geklagt haben, der sie gar nicht betraf.
Die Motivation war da schon schwer zu finden, obwohl ich mit meinem Kollaborateur Phillip Polzin zwei sehr erfolgreiche Streamingkonzerte auf die Beine gestellt habe, die aber finanziell nur ein Tropfen auf den heißen Stein waren. Ich vermag mir gar nicht vorzustellen, wie es den Kollegen ergangen ist, die keinen Anspruch auf reguläres Arbeitslosengeld hatten. Ich habe von vielen gehört, die Hartz 4 beantragen mussten und dann noch Probleme hatten, weil die Leute bei der Arbeitsagentur die gelockerten Regeln nicht anwenden wollten.
Jetzt geht es an den subventionierten Häusern wieder los, was sehr schön ist. Sonst kann es sich ja keiner leisten, vor absurd niedrigen Zuschauerzahlen zu spielen. Es bleibt spannend, wie schnell sich die Impfdisziplin durchsetzt. Das ist die einzige Lösung. Polio, Cholora, Masern, Keuchhusten und so weiter wurden auch nur durch Impfdisziplin und nichts anderes besiegt!
Konrad von Marburg in “Elisabeth – Die Legende einer Heiligen” (2007), die Titelrolle in “Shylock!” (2012) im gleichnamigen Musical, Jakob Fugger in “Herz aus Gold” (2018): Das sind einige der Rollen, die du erfolgreich in Uraufführungen gestaltet hast. Wie beurteilst du aktuell die Kreativität der Musicalschaffenden in Deutschland? Wird wieder mehr Neues gewagt oder stehen wir vor einer “My Fair Lady”-Welle?
Ich finde die deutsche Musicallandschaft ist eine der lebendigsten der Welt. Es wird unglaublich viel Neues gemacht, aber das Problem liegt eher im Nachspielen. Die
Theaterintendanten sind immer sehr an einer Uraufführung interessiert, da sie dort viel Presse und Aufmerksamkeit bekommen, nicht jedoch beim Nachspielen von neuen, teilweise auch sehr erfolgreichen Stücken. Eine traurige Realität.
Ich war sehr betroffen, dass die Kölner Kammeroper coronabedingt ihre Spielstätte im Walzwerk Pulheim verloren hat – das sind umtriebige innovative Macher dort! Da könnte ich noch weitere traurige Beispiele nennen. Ich bin mir nicht sicher, ob die subventionierten Häuser jetzt auf Nummer sicher gehen werden mit den üblichen Verkaufsrennern, da sie alle sehr viele fertige Stücke haben, die jetzt endlich gespielt werden können, und die waren ja weit vor Corona in der Pipeline.
Ich glaube, dass die privaten Veranstalter jetzt sehr vorsichtig und klever agieren und planen müssen, damit sie nicht Schiffbruch erleiden und verschwinden. Ich spüre immernoch eine Zurückhaltung des Publikums, Karten unter erschwerten Bedingungen zu kaufen und die ersten Angebote jetzt auch wahrzunehmen. Karten müssen verkauft werden, sonst ist Schicht im Schacht. Ich hoffe, dass dieses neu angekündigte Hilfsprogramm der Bundesregierung für ausgefallene Kartenverkäufe wegen den coronabedingten Regeln greift und vielen zugute kommt, ohne dass der Amtschimmel alles kaputtbürokratisiert.
In Pforzheim sollte 2020 mit “Titanic” deine zweite Regie-Arbeit vom Stapel laufen. Pandemiebedingt ist es leider nie dazu gekommen. Wie war deine persönliche Gefühlswelt und die der gesamten Crew? Gibt es eine Perspektive, dass ihr doch noch auf das Schiff dürft?
Das war eine schwere und irreale Situation. Wir waren kurz vor der ersten Bühnenorchesterprobe, und da kam die Coronakeule und alles hörte auf! Wir waren für alle Vorstellungen komplett ausverkauft und waren sehr gut im Plan. Dann nichts. Alle waren deprimiert und geschockt. Ich habe dann über 2 Wochen in Quarantätne in meinem 10 qm Hotelzimmer sitzen dürfen, weil einer der Ton-Aushilfen vielleicht positiv getestet wurde und wir alle im gleichen Gebäude waren. Das waren natürlich noch die Zeiten, wo alles neu war.
Wir haben zu Ende geleuchtet und die Bühne fertiggemacht und dann alles eingepackt und sind nach Hause gegangen. Das Theater hat, so gut es konnte, geholfen, aber ihm waren auch die Hände gebunden. Es wusste ja kaum einer, wie man auf so eine Situation reagieren konnte. Täglich neue Regeln, täglich neue Pläne, aber im Endeffekt alles auf Pause…..
Jetzt sind wir am Planen und Machen und versuchen, die Titanic im Herbst vom Stapel zu lassen mit teilweise neuer Besetzung und Situation. Es bleibt sehr spannend, aber alle geben ihr Bestes, damit es klappt.
Und dann ist für mich persönlich noch eine Regie am Theater Brandenburg (Havel)aufgetaucht für “Jesus Christ Superstar” im Herbst – also ich bin dann mal vorsichtig optimistisch für die nächste Saison!
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