Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.
Ich beginne diese Rubrik saisonal passend mit “Weiße Weihnachten” (“White Christmas”) von 1954. Die Handlung ist um das titelgebende Lied gestrickt, das sowohl in der ersten Szene und also auch im Finale gesungen wird. Die Geschichte spielt zwar in der Weihnachtszeit, kümmert sich dann aber nicht mehr um die Feiertage, sondern handelt vor allem von der Produktion einer Benefiz-Show.
Phil Davis (Danny Kaye) hat im Zweiten Weltkrieg Bob Wallace (Bing Crosby) an Heiligabend im Einsatz das Leben gerettet. Die beiden tun sich als Gesangsduo zusammen und feiern nach dem Krieg große Erfolge. Per Brief bittet ein alter Kriegskamerad sie, sich den Auftritt seiner singenden und tanzenden Schwestern Betty (Rosemary Clooney) und Judy (Vera-Ellen) anzusehen, bevor Phil und Bob zu einer TV-Show nach New York aufbrechen müssen. Was die beiden nicht wissen: Der Brief stammt eigentlich von Judy, die sich durch den Kontakt einen Karriereschub erhofft. Als den Schwestern eine Verhaftung wegen angeblicher Sachbeschädigung droht, verhelfen die Herren ihnen zur Flucht. Statt nach New York fahren sie zu viert nach Vermont, wo Betty und Judy ein neues Engagement in einem Wintersporthotel antreten sollen. Doch leider ist der Schnee ebenso ausgeblieben wie die Hotelgäste. Dafür stellt sich heraus, dass das Hotel Tom Waverly (Dean Jagger) gehört, ehemaliger Generalmajor und früherer Vorgesetzter von Phil und Bob. Um das finanziell in Schieflage geratene Hotel zu retten, schaffen sie ihre gesamte Theatertruppe nach Vermont, um ihre Revue dort aufzuführen. Es folgen die erwartbaren Liebesverwirrungen und ein Happy End mit Unterstützung der Veteranen aus der alten Kompanie.
“Weiße Weihnachten” orientiert sich thematisch an “Musik, Musik” (“Holiday Inn”, 1942), ist aber kein richtiges Remake. Schon in dem früheren Film spielte Bing Crosby eine der Hauptrollen, sein Partner war damals Fred Astaire. Gemeinsam haben die Filme außerdem auch ihren Komponisten Irving Berlin. Berlin komponierte “White Christmas” für “Musik, Musik”, was ihm einen Oscar einbrachte. Eigentlich sollte Astaire auch diesmal mit von der Partie sein, aber er zog sich im Vorfeld für einige Zeit vom Filmgeschäft zurück. Dann kam Donald O’Connor ins Boot, den man als akrobatischen und komödiantischen Tänzer aus “Singin‘ in the Rain” kennt, doch er erkrankte und fiel somit ebenfalls aus. Schließlich ging die Rolle dann an Danny Kaye. Allerdings waren die Choreografien schon fertig und auch wenn Kaye ein mehr als passabler Tänzer war, wurde in mehreren Szenen statt seiner Figur Phil ein namenloser Tänzer eingesetzt.
Mit Besetzung hatte man ein gutes Händchen,: Rosemary Clooney, Vera-Ellen, Bing Crosby und Danny Kaye harmonieren sehr gut. Einige Szenen wurden improvisiert; das macht das Spiel sehr natürlich und lebendig. Rosemary Clooney erzählte später, dass Danny Kaye dauernd neue Gags einbaute und Szenen wegen Lachern neu angesetzt werden mussten.
Die Dialoge haben Wortwitz, die Szenen haben Tempo. Selbst Vera-Ellen, die in ihrer kurzen Karriere mehr als Tänzerin überzeugen konnte denn als Schauspielerin, wird vom Schwung mitgerissen und bringt eine gute darstellerische Leistung. Wenn sie durch ihre Tanzszenen wirbelt, hatte ich immer Angst, sie geht gleich kaputt, weil sie so zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe wirkt. Ich hatte vorher gelesen, dass sie in den 1950er Jahren massiv unter Essstörungen litt, vielleicht ist es mir deshalb so aufgefallen.
Mary Wickes (bekannt als Schwester Mary Lazarus aus “Sister Act”) gibt mit staubtrockenem Humor die Haushälterin Emma. Und Dean Jaggers Ex-General Waverly, der mit seinem schlecht laufenden Hotel hadert und lieber zurück zur Armee möchte, aber wegen seines Alters nicht wieder genommen wird, hat eine tolle Präsenz und mich beim Finale mit zurückgehaltenen Tränen echt beeindruckt.
“Weiße Weihnachten” ist ein stockkonservativer Film, was natürlich für einen Hollywood-Film der 1950er Jahre nichts Ungewöhnliches ist. Zwei Tanznummern sind mir da bitter aufgestoßen: “Minstrel Show”, eine Klage, dass es keine “Minstrel Shows” mehr gibt – also Shows, in denen weiße Unterhaltungsmusiker ihre Gesichter schwarz färbten und das vermeintliche Leben der Afroamerikaner karikieren. Zwar gibt es hier kein Blackfacing, ein Beigeschmack bleibt trotzdem. Und “Choreography” ist eine Warnung, dass Modern Dance das Theater ruinieren würde, wo “Tanz” jetzt durch “Choreografie” ersetzt würde. Da wird schon sehr vehement “Früher war alles besser” propagiert.
Vom Inhalt abgesehen, sind die Shownummern perfekt choreografiert (denn auch “Tanz” braucht “Choreografie”), mitreißend getanzt und kreativ gefilmt. Paramount hatte gerade VistaVision entwickelt, ein Breitwand-Verfahren, das auch für schärfere Bilder sorgte. Dieses Verfahren hatte übrigens dann auch Vorteile beim Transferieren auf Video oder DVD. Auch meine gestreamte Version war gestochen scharf und hatte kräftige Farben. Das macht die Bilder umso surrealer, weil alles im Studio entstanden ist. Das erste Bild des Films ist eine gemalte Dorf-Idylle in Schneelandschaft, dann zieht die Kamera auf zu Bing Crosby vor dieser Kulisse bei seiner Weihnachtsshow, die er irgendwo in Europa für seine Kriegskameraden gibt – und die “echte” Welt sieht genauso künstlich aus wie das Bühnenprospekt. Sehr bizarr. Aber beim Finale durch ein offenes Scheunentor auf eine Schneelandschaft zu blicken, in der sogar eine Pferdekutsche fährt, davor die weite Bühne mit Darstellern in knallroten Kostümen … Da muss ich sagen, das ist schon ein tolles Bild.
Wahrscheinlich wollte Paramount mit diesem Film aber auch Maßstäbe setzen und zeigen, wie großartig VistaVision ist. Und die Projektentwickler schlugen sich vor Freude auf die Schultern, weil sie auf die Idee kamen, eine romantische Komödie für das weibliche Publikum mit einer Hymne auf die Soldatenkameradschaft für das männliche Publikum zu verbinden. Die Armee spielt in “Weiße Weihnachten” eine große Rolle. Man muss aber auch den zeitlichen Hintergrund bedenken. Der Zweite Weltkrieg war noch nicht lange vorbei und die USA waren 1954 im Koreakrieg aktiv. Die Bindung vieler Männer zu ihren Kameraden war sehr eng. Ein Gefühl, das weltweit viele Männer nachvollziehen konnten – das kenne ich auch von meinem Großvater. Es ist dann schon direkt zu Beginn ein sehr emotionaler Moment, wenn Bing Crosby seinen Kameraden an Heiligabend im Einsatz “White Christmas” singt und bei den Soldaten die Tränen in den Augen glänzen. Nichtsdestotrotz sträuben sich mir bei Liedern wie “The Old Man”, wo die Truppe ein Loblied auf den scheidenden General singt und bedingungslosen Gehorsam verspricht oder dem fröhlichen “Gee, I Wish I Was Back in the Army” die Haare.
Aber die Paramount-Projektentwickler lagen goldrichtig: “Weiße Weihnachten” war 1954 der erfolgreichste Film weltweit.
Für mich ist “Weiße Weihnachten” ein perfekt auf Erfolg getrimmter Streifen. Michael Curtiz, – ein Routinier, der vom Horrorfilm bis zum Musical in jedem Genre tätig war (aber immerhin geht auch “Casablanca” auf sein Konto), – hat akkurat inszeniert; da gibt es nichts zu meckern. Das gute Ensemble gibt dem Film zwar Herz und Witz, “Sisters” und “Snow” sind tolle Songs, aber dieser Film ist mir insgesamt zu durchgeplant und kalkuliert. Vielleicht gerade auch durch die beeindruckend makellose Optik.
Mit dem Lied “White Christmas” selbst fremdele ich immer ein bisschen, weil ich es je nach Laune abgedroschen, langweilig und zäh finde oder kuschelig wie mit einem Glühwein vor einem Kaminfeuer zu sitzen. Aber beim Happy End mit großem “White Christmas”-Finale, da war mir doch schon etwas weihnachtlich zumute – auch ohne Glühwein.
Frohe Weihnachten euch allen!
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