Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.
Für viele gehört “Der Zauberer von Oz” zum festen Weihnachtsprogramm. Ich habe mich diesmal allerdings nicht für den Judy-Garland-Klassiker entschieden, sondern für “The Wiz”, dem … nun ja … ein gewisser Ruf vorauseilt.
Die Broadway-Produktion von 1974 lief sehr erfolgreich und gewann sieben Tony Awards, darunter auch für das beste Musical und die beste Musik. Autor William F. Brown und Komponist Charlie Smalls verlegten die Geschichte in ein afroamerikanisches Umfeld, blieben der Vorlage ansonsten treu. Musikalisch gingen sie einen eingängigen und sehr hörenswerten Weg aus Jazz, Soul und Funk im typischen 70’s Sound.
Das Plattenlabel Motown, das maßgeblich an der Entwicklung afroamerikanischer Musik beteiligt war, brachte eine Verfilmung auf den Weg. Mit Diana Ross zeigte einer der zugkräftigsten Motown-Stars großes Interesse an der Rolle der Dorothy, war aber nach Meinung der Produzenten viel zu alt für den Part. Sie fädelte einen Deal mit den Universal Studios als Mitproduzenten ein, allerdings mit der Voraussetzung, dass sie die Hauptrolle bekam. Daraufhin stieg der geplante Regisseur John Badham aus und Sidney Lumet übernahm. Michael Jackson wurde nach anfänglichen Zweifeln als Vogelscheuche besetzt. Für ihn sollte diese Arbeit zum Wendepunkt seiner Karriere werden: Er lernte bei den Dreharbeiten Quincy Jones kennen, der die Musik für den Film bearbeitete und ein paar neue Songs besteuerte. Jones prägte Jacksons weitere musikalische Entwicklung und produzierte später Jacksons Alben “Off the Wall”, “Thriller” und “Bad”.
Das “Black Cinema” lief Anfang der 1970er Jahre recht erfolgreich im B-Movie-Bereich. “Blaxploitation-Filme” waren billig produzierte Actionreißer mit vorwiegend schwarzer Besetzung. “The Wiz” sollte der erste große Mainstream-Film mit rein schwarzem Cast werden. Am Ende kostete der Film satte 24 Millionen Dollar – und spielte in den USA bloß knapp die Hälfte ein. In Deutschland kam der Streifen erst gar nicht in die Kinos; er erschien hier erst 2004 auf DVD. Die Kritiken waren nach der Premiere 1978 so vernichtend und der Flop so schmerzhaft, dass sich eigentlich bis “Black Panther” kein Hollywood-Studio mehr an eine “Black Cinema”-Produktion mit großem Budget wagte.
Um die Besetzung der damals 33-jährigen Diana Ross einigermaßen glaubhaft zu machen, wurde aus Dorothy eine 24-jährige Kindergärtnerin. Aber auch die Mittzwanzigerin nimmt man Ross nicht ab. Sie sieht müde und blass aus, das sympathisch-naive fehlt ihr völlig. Sie singt auch viel zu laut und forciert. Ihre Darstellung ist für mich der Hauptgrund, warum der Film nicht funktioniert – direkt gefolgt vom seltsamen Drehbuch.
Bei Drehbuchautor Joel Schumacher ist das Bühnenstück nur eine sehr grobe Vorlage. Er verlegt die Geschichte von Kansas nach Harlem und nimmt einige wirklich schräge Veränderungen vor. Dorothy wird an Thanksgiving nach einer Familienfeier zusammen mit ihrem Hund Toto – aber ohne Haus – von dem Tornado erfasst und nach Oz transportiert. Dort landet sie in einem großen Oz-Logo, das die böse Hexe des Ostens erschlägt. Das Munchkinland ist eine postapokalyptische Einöde. Die Schuhe der Hexe sind nicht mehr rot, sondern silbern und statt der guten Hexe Glinda schickt eine gewisse “Miss One” Dorothy zum “Wiz”. Dann läuft die Handlung wie gehabt mit Vogelscheuche, Blechmann und Löwe ab. Zwischendrin gibt es noch eine wahrscheinlich dem damaligen Zeitgeist geschuldete Drogenrausch-Nummer auf einem Mohnfeld, die auch schon im Broadway-Stück vorkommt. Die böse Hexe des Westens (im Original: Evillene, in der deutschen Synchronfassung: Bösnelda, in den DVD-Untertiteln Garstika – die DVD ist recht schlampig gemacht) betreibt eine Textilfabrik und beutet ihre Arbeiter aus. Ihre geflügelten Affen sind eine Motorradgang.
Schumacher und Ross waren beide Anhänger des damals populären “Erhard Seminar Training (est)”. Dieses Training bestand aus körperlich und emotional fordernden Workshops, um “die Fähigkeit, das Leben zu erleben, so zu verändern, dass die Situationen, die man zu ändern versucht oder die man ertragen hat, sich einfach im Prozess des Lebens selbst auflösen.”
“Erkenne dich selbst” und “Glaub an dich” sind Mottos, die durchaus zu der Geschichte passen, aber sie werden – besonders in Glindas Schlussmonolog – mit dem Holzhammer serviert. Produzent Rob Cohen hasste das Drehbuch und bezeichnete es als “est-Märchen voller Schlagwörter über Sich-selbst-Erkennen und Teilhabe und all das”. Veränderungen lehnte Ross aber kategorisch ab und bekam ihren Willen.
Wer hier einen Familienfilm im Stil von “Der Zauberer von Oz” erwartet, wird bitter enttäuscht. “The Wiz” ist düster, laut, zappelig und plump. Schon die Verfilmung von 1939 war extrem künstlich, aber da passte alles zusammen. Hier harmonieren die artifiziellen Studio-Welten so gar nicht mit den Originalaufnahmen aus New York, das auch gleichzeitig als Smaragdstadt fungiert. Regisseur Sidney Lumet war seinerzeit in Hollywood sehr angesehen (und bekannt für seine kostengünstige Arbeitsweise), aber seine Filme wie “Die zwölf Geschworenen”, “Hundstage” oder “Network” sind Dramen mit starken Schauspielerleistungen – für mit leichtem Tonfall inszenierte Unterhaltung ist er eher nicht bekannt. Er scheint hier einfach einen Job gemacht zu haben, ohne viel Herzblut zu investieren. Die Ausstattung hat sich in einigen Szenen ausgetobt und auch diverse Kostüme sind sehr prächtig, aber die Optik, vor allem das bizarre Makeup, hat mich verwirrt zurückgelassen.
Die Verfilmung von “The Wiz” war für mich eine “Was war das denn?”-Erfahrung der seltsamsten Art. Die Cast-Aufnahme der Broadway-Bühnenproduktion ist aber unbedingt hörenswert.
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