Wie sich das musikalische Material von ‚Rocky – Fight from the Heart‘ ohne das dazugehörige Bühnenspektakel schlägt, beantwortet die Castaufnahme zur neuesten Eigenentwicklung der Stage Entertainment. Relativ schnell ist klar: Konzertant wird dieses Musical wohl niemals aufgeführt werden – zu belanglos sind sowohl Musik (Stephen Flaherty) als auch Songtexte (Lynn Ahrens). Viel interessanter ist jedoch die Frage, wie das scheinbar unmögliche Unterfangen handwerklich angegangen wurde, den Oscar-prämierten Boxerfilm aus dem Jahr 1976 für das Musiktheater zu adaptieren.
Die Lösungen sind so schlicht wie teilweise einnehmend: Rauer und dreckiger Gitarren-Rock für den verrohten Paulie, eine Chanson-Nummer im nostalgischen Varieté-Stil nebst bittersüßem Unterton für Rockys Trainer Mickey und treibende Rock-Rhythmen als Motivationsschub für Rocky. Und für die unerlässlichen Gute-Laune-Momente gibt’s geschmeidig-lässigen Philly-Sound, der im Übrigen inhaltlich weitaus besser zu diesem Stück passt, das ohnehin in Philadelphia spielt, als etwa zu ‚Sister Act‘, das von den Autoren erst dorthin verlegt werden musste. Ein zusammenhängendes Werk ist durch diese Vorgehensweise natürlich nicht entstanden – von musikalischer Komplexität ist dieses Stück so weit entfernt wie die Hauptfigur von einem akademischen Hochschulabschluss. Viel Stückwerk präsentiert sich hier, einige Songs gar als unfertige Fragmente, so als ob sie nicht rechtzeitig zur Uraufführung fertig geworden sind – die Gesamtlaufzeit von nur knapp 53 Minuten spricht da Bände.
Der zugrundeliegende Film, wenn auch wiederholt durch seine Fortsetzungen II – V aufs Übelste künstlerisch geschändet und erst wieder in “Rocky Balboa” zu würdevollen Ehren gekommen, ist jedoch in seinem Kern ein ernstzunehmendes Sozialdrama. Somit ist der Song “Wenn es weiter regnet” auch einer der Kernsongs des Stückes und zudem der nachhaltig beeindruckendste, wenngleich er sich auch ein wenig wie ein Zugeständnis an den deutschen Markt anhört: Das perlend-unaufgeregte Klavierspiel könnte ebenso gut aus dem melancholischen Drama-Reservoir von Sylvester Levay stammen und der lyrische Habitus von Textzeilen wie “Denn ich glaube nicht daran, dass ein Grashalm, der den Asphalt durchbricht, überleben kann” lässt einen in dem nur spärlich gehaltenen Booklet schier reflexartig nach dem Namen Michael Kunze Ausschau halten. Mit seinem dick aufgetragenen Pathos würde sich der Song zudem vortrefflich als Unterlegmusik für das Dschungelcamp eignen – die RTL-Autoren hätten Gott auf Knien dafür gedankt, wenn er bereits während der mit sintflutartigen Regenfällen gestraften sechsten Staffel mit Sylvester Stallones Ex-Frau Brigitte Nielsen zur Verfügung gestanden hätte (“Und wenn es weiter regnet, dann spült es mich mit sich fort, an irgendeinen anderen Ort”).
Unterm Strich viel Durchschnittskost, die den Darstellern gesanglich nicht sonderlich viel abverlangt, obwohl die Show mit Drew Sarich (Rocky) und Wietske van Tongeren (Adrian) in den Hauptrollen exzellent besetzt ist – beide interpretieren ihre Songs überaus präzise und eindringlich. Letztlich ist das Gesamtergebnis jedoch enttäuschend. Und trotzdem: Das Ganze beweist Chuzpe, denn eigentlich können es die Autoren besser – bewiesen haben sie es schon oft genug. Vielleicht ist die Vielzahl der Regelbrüche (viele Figuren sind etwa nur mit einem Song vertreten) und handwerklichen Unfertigkeiten auch der eingangs beschriebenen Unmöglichkeit des Unterfangens geschuldet. Fast scheint es so, als ob die Macher ganz bewusst auf Konventionen und ungeschriebene Regeln des guten Geschmacks ganz einfach gepfiffen haben, denn es braucht auch Größe, um jedwede handwerkliche Eleganz außen vor zu lassen. Dies gilt auch für die in ihrer Schlichtheit geradezu kühne Übersetzung von Wolfgang Adenberg – der Hauptfigur einer teuren Großproduktion, die mit viel Mediengetöse auf den Markt kommt, den Refrain “Die Nase hält noch” in den Mund zu legen, muss man sich auch erstmal trauen. Dies alles versprüht den Charme einer naiven und ungehobelten Off-Produktion, was wiederum nicht die schlechteste Adaptionsidee für etwas Unmögliches darstellt. Schließlich wissen sowieso alle, dass dieses Musical sicherlich nicht von seiner Musik lebt.