Filmadaption des Schönberg / Boublil-Klassikers mit Hugh Jackman, Russell Crowe, Anne Hathaway, Amanda Seyfried, Eddie Redmayne, Samantha Barks, Helena Bonham Carter, Sacha Baron Cohen, Aaron Tveit, Colm Wilkinson und Daniel Huttlestone.
Wenn ein bekanntes Musical für die Leinwand adaptiert wird, stellt sich die Frage, wer das Zielpublikum des Films sein soll. Der durchschnittliche Kinobesucher wird eine solche Verfilmung immer anders beurteilen als jemand, der das Bühnenmusical kennt und liebt. Tom Hoopers “Les Misérables”-Adaption versucht ambitioniert, es beiden recht zu machen und setzt auf große Hollywoodstars in den Hauptrollen, Bühnendarsteller mit “Les Mis”-Erfahrung im Ensemble und opulente Bilder. Völlig überzeugen kann das Ergebnis dennoch nicht.Da sind zunächst einmal Hugh Jackman (Jean Valjean) und Russell Crowe (Inspektor Javert), die beide enttäuschen. Von einem Schauspieler wie Crowe, dessen musikalische Erfahrung sich auf das Mitwirken in diversen Rockbands beschränkt, erwartet niemand, dass er an die gesangliche Leistung eines Philip Quast heranreicht. Doch egal, wie schauspielerisch überzeugend er den vom Gerechtigkeitssinn besessenen Inspektor spielt, es mag nicht über die stimmlich dünne und komplett interpretationsfreie Version von “Stars” hinwegtäuschen. Crowe ist dann am besten, wenn er mehr spricht als singt.
Jackman dagegen kämpft gegen die Erwartungen an, dass er als musicalerfahrener Darsteller eigentlich stimmlich aus der Riege der Filmschauspieler herausstechen sollte. Doch Stücke wie “Carousel” und “Oklahoma!” sind letztendlich nicht vergleichbar mit “Les Misérables”, und wie schwer sich Jackman mit der enormen Rollenanforderung eines Jean Valjean tut, wird gleich im Prolog mit “What Have I Done?” deutlich.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich Regisseur Hooper dazu entschieden hat, anders als sonst üblich, die Gesangsstimmen im Film nicht im Studio aufzunehmen und in der Postproduktion einzuspielen, sondern die Darsteller direkt am Set während des Drehs singen zu lassen. Dass man damit mehr Emotionen transportieren kann, steht außer Frage. Doch ob diese Technik im Angesicht der stimmlichen Defizite der Hauptdarsteller sinnvoll war, bleibt dahingestellt.Erfreulicherweise überzeugt die restliche Cast fast durchgängig. Besonders Anne Hathaway gelingt es als Fantine, ergreifende Emotionalität mit gutem Gesang zu verbinden, was ihr zu Recht etliche Preise, unter anderem auch einen Oscar, einbrachte. Samantha Barks, die bereits auf dem 25th Anniversary Concert als Eponine zu sehen war, kann auf der Leinwand genauso überzeugen wie auf der Bühne. Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter treffen als Gaunerpaar Thénadier den richtigen Ton zwischen Humor und Boshaftigkeit. Nichts auszusetzen gibt es an der Besetzung der aufbegehrenden Studenten um den charismatischen Revolutionär Enjolras (Aaron Tveit, dem man seine Broadway-Erfahrung anmerkt) und den naiv-verträumten Marius (Eddie Redmayne, vielleicht die musikalische Entdeckung des Films), auch wenn Marius’ Romanze mit Cosette (Amanda Seyfried, sympathisch aber mit nervigem Vibrato und Problemen in den hohen Tonlagen) ebenso blutleer bleibt wie im Bühnenmusical. Einen außerordentlich positiven Eindruck hinterlassen auch die Kinderdarsteller Daniel Huttlestone und Isabelle Allen.
In vielen kleineren Rollen dürften “Les Mis”-Veteranen (so z.B. Colm Wilkinson als Bischof von Digne, Stephen Tate als Fauchelevent, Frances Ruffelle als Hure) und aktuelle West-End-Stars (u.a. Hadley Fraser, Kerry Ellis, Dianne Pilkington und Gina Beck) Kurzauftritte absolvieren. Optisch kommt der Leinwand-Auftritt von “Les Misérables” – anders als das eher spartanisch ausgestattete Bühnenstück – bildgewaltig daher und reißt den Zuschauer mit ins dreckige, armselige Frankreich des 19. Jahrhunderts, in dem die besagten “Elenden” ums Überleben kämpfen. Nur – vom großen Bühnenbild bekommt man leider wenig zu sehen, da ein Großteil der Kameraeinstellungen aus Großaufnahmen besteht. Vom Leid gezeichnete Gesichter, verzweifelte Augen, Tränen, bis auch die Zuschauer in der letzten Reihe verstehen, wie sehr diese Menschen leiden. Was Emotionalität erzeugen soll, bewirkt spätestens nach einer Stunde ständiger Close-Up-Einstellungen das Gegenteil: Der Zuschauer stumpft ab und wünscht sich, die Kamera würde ab und an zurück in die Totale gehen und mehr Handlung statt bloßem Gefühl vermitteln.
Apropos Handlung – diese folgt im Film größtenteils der Bühnenfassung, mit einigen wenigen Änderungen der Songabfolge (“Do You Hear the People Sing” wird hinter “One Day More” verlegt und damit zum Eröffnungssong des zweiten Akts, was sich als Glücksgriff erweist) und Streichungen (“Beggars at the Feast” und “Dog Eats Dog” sind der Schere zum Opfer gefallen, ohne dass man sie wirklich vermisst). Zwischendurch gibt es einige neue Strophen und Texte, die sich durchaus positiv bemerkbar machen, während das neue Valjean-Solo “Suddenly” sich nicht gut in die Kompositionen des Stückes einfügt und ein wenig nach Disney klingt.Insgesamt funktioniert der Film mit den genannten Einschränkungen und sicherlich eher für den durchschnittlichen Kinogänger als für Fans des Musicals. Diese werden sich der Frage nicht entziehen können, wie viel besser diese Adaption doch hätte sein können, wenn man auf erfahrenere Bühnendarsteller und etwas weniger Experimentierfreude gesetzt hätte.