Wenn Benny Andersson und Björn Ulvaeus gemeinsam an einem Musical arbeiten, denkt man sofort an “Mamma Mia!”, “Chess” und “Kristina från Duvemåla” – doch damit ist das neue Werk der Ex-ABBA-Frontmänner nicht zu vergleichen.
“Hjälp sökes” (“Hilfe gesucht”) – mit dieser Anzeige in der örtlichen Zeitung suchen Axel und Engelbrekt Unterstützung für die Bewirtschaftung ihres heruntergekommenen Bauernhofes. Und die haben die beiden Brüder auch wirklich bitter nötig, denn ihr Leben ist ihnen eine einzige Qual: Um den von ihren Eltern geerbten Hof kümmern sie sich nur aus Pflichtgefühl, täglich leben sie im Dauerstreit darüber, wer welche Arbeiten zu verrichten hat und die Frage nach dem Sinn des Ganzen sorgt nur für noch mehr Bitterkeit. Ihrer trostlosen Existenz im nördlichen Uppland in Schweden sind sie schon längst überdrüssig geworden – Selbstmord durch Erhängen wäre vielleicht eine gute Lösung, dann müssten allerdings auch die Tiere erhängt werden, was bei den beiden eine weitere gedankliche Sackgasse entstehen lässt. Zur Hilfe eilen ihnen schließlich zwei Frauen: Eine Mutter, die zwar allem Anschein nach taub ist, auf die Tiere des Hofes jedoch einen ganz erstaunlichen Einfluss hat, und ihre Tochter Hillevi, in ihrem Wesen einer guten Fee gleich. Begleitet werden die beiden lebensrettenden Engel von Kalleman, einer Ziege. Nach Ankunft dieses ungleichen Trios auf dem Hof ist für die beiden engstirnigen Brüder nichts mehr so, wie es vorher war, schon gar nicht ihre Sicht auf das Leben.
Die Musik zu diesem Musical hat Benny Andersson komponiert und die Songtexte wurden von Björn Ulvaeus beigesteuert. Gleichwohl wäre es jedoch nur die halbe Wahrheit, von einem neuen Andersson/Ulvaeus-Musical zu sprechen, denn mit “Chess” oder “Kristina från Duvemåla” ist dieses Stück, bei der es sich um eine Jubiläumsproduktion zum 30-jährigen Bestehen des Stockholmer Oriontheaters handelt, nicht zu vergleichen. Vielmehr geht diese Uraufführung auf eine Idee von “Kristina”-Regisseur Lars Rudolfsson zurück, der das Werk zusammen mit der in Schweden überaus erfolgreichen Dramatikerin Kristina Lugn entwickelt hat. Benny Andersson wurde erst danach angesprochen, ob er die Musik hierzu komponieren möchte und Björn Ulvaeus kam schließlich zuletzt hinzu. Die Besonderheit bei diesem tatsächlich einzigartigen Projekt liegt jedoch darin, dass die Darstellerliste auch zwei Kühe, zwei Schweine, eine Ziege, ein Pferd, drei Hunde und vier Gänse aufführt – bei der Bühnenfassung handelt es sich um eine Mischung aus Schauspiel, Musiktheater, Kabarett und Zirkus.Die Geschichte ist zu gleichen Teilen existenzialistisches Drama und Tragikomödie, getragen von viel nordischer Schwermut. Benny Andersson liefert hierzu kongenial die stimmige Musik, die vor allem die Metamorphose des in Hassliebe zueinander verbundenen Bruderpaares herausstellt. Stilistisch ist “Hjälp sökes” kein musikalisches Werk aus einem Guss, eher ein wilder Mix aus verschiedenen Gattungen von Volks- und Popmusik – vergleichbar mit den Studioalben, die Andersson mit seiner Gruppe BAO veröffentlicht. Viele Songs sind nahezu kammermusikalisch instrumentiert, was den Grundcharakter der Show unterstreicht. Die Melodien indes sind wieder einmal großartig geraten – kompakte Pop- und Rocksongs wie “Ro hit en dyckert” und “Stackars Axels sång” würde man gerne auch größer produziert hören. Gleiches gilt für das energisch-dynamische Duett “Själv är bäste dräng”, interpretiert von Johan Ulveson und Magnus Roosmann – zwei singende Schauspieler, die die gesanglichen Parts von Axel und Engelbrekt sehr ordentlich meistern. Angesichts des Sujets des Stückes ist es zudem wenig verwunderlich, dass einige Songs – wie etwa die dramatische Nummer “Vågar jag älska dig” – mehr als deutlich die musikalische DNA von “Kristina” in sich tragen.Sofia Pekkari in der Rolle der Hillevi reiht sich nahtlos in die Riege von hervorragenden Sängerinnen wie Karin Glenmark, Josefin Nilsson oder der zumindest auf nahe Sicht unerreichbaren Helen Sjöholm ein, mit denen Andersson bislang an schwedischsprachigen Projekten arbeitete. Ihre Stimme ist kristallklar, klangschön und strahlt eine wunderbare Wärme voller Zartheit aus. Ihr gehören die schönsten Songs des Stückes – der melancholisch-poetische Song “Bortom sol och måne” ist ein Juwel und würde schon alleine den Kauf dieser CD rechtfertigen. Mit “Den jag ville vara” interpretiert sie auch die große Musicalballade des Stückes, für die Andersson schon ein wenig tiefer in den Topf mit Zucker und Glitzer gegriffen hat. Überhaupt scheint ihm zum Ende hin das kammermusikalische Gewand doch ein wenig zu eng zu werden – für das über 12-minütige Finale, das immerhin ein gutes Fünftel der Gesamtspielzeit ausmacht, holt er noch mal kräftig aus und entwirft unter Verwendung der musikalischen Motive des Stückes ein episches Klanggemälde im Cinemascopeformat. Die Lust auf mehr ist also seinerseits unverkennbar vorhanden – wie schön wäre es doch, wieder einmal ein neues großes Andersson/Ulvaeus-Musical, eben ein “richtiges”, besprechen zu können…