Kann man die gelungene “Matilda” Original-Einspielung noch steigern? Man kann – und es liegt nicht nur am neuen Material, welches die Original Broadway Cast Recording bereit hält.
Eigentlich schien es nahezu unmöglich, der ohnehin schon exzellenten Original-Aufnahme, die nach der erfolgreichen West-End-Premiere mit der ursprünglichen Stratford-upon-Avon-Besetzung eingespielt wurde, noch eine bessere folgen zu lassen. Doch glücklicherweise entschied sich die Royal Shakespeare Company dazu, auch von der Broadway-Aufführung ein Cast-Album zu produzieren – dort wurde das Stück ebenso enthusiastisch vom Publikum aufgenommen wie im West End. An neuem Material liefert diese zweite “Matilda”-Aufnahme eine neue kurze Ouvertüre, die Songs “The Chokey Chant” und “Chalk Writing” sowie die bislang unveröffentlichten Teile 1-3 der Story “The Escapologist and the Acrobat”, eine bittersüß-dramatische Geschichte, die Matilda der Bibliothekarin Mrs. Phelps erzählt und die eine bildhafte Allegorie auf Miss Honeys widriges Schicksal darstellt.
Doch es sind nicht nur diese zusätzlichen Extras, welche die Broadway-Aufnahme überaus interessant machen: Vieles wirkt hier noch energetischer, noch mitreißender, noch leidenschaftlicher, noch dramatischer. Jedem Track dieser Aufnahme ist anzuhören, mit welch großem Enthusiasmus er eingesungen worden ist. Zudem verleiht die hervorragende Abmischung den Arrangements zusätzlich eine ganz neue Dynamik. Begeisternd ist jedoch vor allem die unwiderstehliche Radikalität der Interpretationen der Songs, was im Übrigen sehr gut mit der konsequenten Erzählperspektive des Stückes aus Kindersicht korrespondiert. Wie ein Orkan fegt etwa Lesli Margherita durch diese Aufnahme und hinterlässt in der Rolle der Mrs. Wormwood einen unvergesslichen Eindruck als hysterische Drama-Queen – hier entwickelt sich gerade eine ganz Große. Für die Darstellung des grenzenlos dämlichen Mr. Wormwood erhielt Gabriel Ebert einen Tony Award – den Song “Telly” präsentiert er mit hinreißend komödiantischem Schwung. Lauren Ward ist bereits auf der Londoner Aufnahme zu hören – ihr lyrischer Sopran wird zwar nicht allzu sehr gefordert, wohl aber ihr Ausdruck, da sie als Miss Honey von den Erwachsenendarstellern den weitesten Entwicklungsbogen darzustellen hat, den sie hier noch eindringlicher betont.
Auch Bertie Carvel wiederholt hier seine Rolle des Antagonisten oder eben der Antagonistin – nach seiner preisgekrönten Londoner Darbietung der Miss Trunchbull war nur schwer vorstellbar, dass sich Qualität und Intensität seiner Interpretation noch steigern ließen. Doch die auf diesem Album festgehaltene Fassung von “The Smell of Rebellion” ist einfach fantastisch – ein näselndes Wort-Trommelfeuer mit ungeheurer Wucht und perfekt ausjustiertem Rhythmus. Der einzige Wermutstropfen dieser Aufnahme ist vielleicht die für europäische Ohren etwas gewöhnungsbedürftige Aussprache der vier Matildas – im Vergleich zu den drei Stratford-upon-Avon-Matildas ist diese doch ein wenig undeutlicher. Gleichwohl ist ihre Leistung ebenso großartig wie die vom gesamten Broadway-Ensemble.
Dieses hervorragende Cast-Album, das im Übrigen für einen Grammy nominiert ist, macht noch einmal deutlich, welch großer Geniestreich dem Multikünstler Tim Minchin mit seiner Musical-Adaption gelungen ist. Mit teils außergewöhnlich sperrigen, aber auch mit vielen poetischen und entwaffnend einfachen Melodien trifft er punktgenau den Ton der literarischen Vorlage von Roald Dahl. Die Lyrics sind zudem intelligent und verschmitzt und sprechen den erwachsenen Zuhörer auch auf der intellektuellen Ebene an. Das entscheidende Erfolgsgeheimnis der Show ist jedoch sicherlich das perfekt organische Zusammenspiel von Musik, Text, Bühne und dem geschickten In-Szene-Setzen der Kinderdarsteller: “Matilda” muss man einfach im Theater erleben. Wer hierzu bislang keine Gelegenheit hatte, dem sei diese CD wärmstens ans Herz gelegt, denn die Hymnen des Stückes – “Naughty”, “When I Grow Up” und natürlich “Revolting Children” – vermitteln auch akustisch viel von der Faszination dieses großartigen Musicals.