Die deutschsprachige Erstaufführung des Disney-Musicals im Wiener Ronacher als Live-Mitschnitt mit Annemieke Van Dam und David Boyd.
Lange hat es gedauert, eigentlich viel zu lange, bis die Cast-Aufnahme zur deutschsprachigen Erstaufführung von “Mary Poppins” im Wiener Ronacher endlich auf CD erschienen ist. Aber so ist das eben mit dieser mysteriösen Nanny, die um ihr Erscheinen, um ihre Abreise (wohin auch immer) und ihre Rückkehr (woher auch immer) stets ein wundersames Geheimnis zu arrangieren weiß. Umso erfreulicher, dass die nun vorliegende Doppel-CD in nahezu jeder Hinsicht überzeugen kann.
Dies betrifft vor allem die Klangqualität des äußerst sorgfältig von Martin Böhm und Ludwig Coss produzierten Live-Mitschnitts. Keinerlei Rauschen oder störende Nebengeräusche trüben den Hörgenuss – die Aufnahme ist klar und sauber und die Textverständlichkeit der Darsteller und des Ensembles ist ausgezeichnet. Auch die herausragende Leistung des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots entfaltet auf dieser Aufnahme ihre ganze Pracht – die Abmischung mit den Gesangsstimmen ist nahezu perfekt und die Instrumente sind ebenso wie die Dynamikabstufungen differenziert durchhörbar.Wie bereits in dem Bericht zur Bühnenshow ausgeführt, fügen sich die neuen Songs von George Stiles und Anthony Drewe wie etwa “Völlig ohne Fehler” oder “Alles, was wir wollen, kann passieren” nahtlos in die Originalmusik der Sherman-Brüder ein, zu denen Evergreens wie “Chim Chim Cher-i” oder “Supercalifragilisticexpialigetisch” gehören. Aber auch für die neuen Elemente dieser Mary-Poppins-Bühnenadaption sind tolle Songs geschrieben worden wie etwa die grandios-phantastische Nummer “Spielt euer Spiel”, die den Song “Temper, Temper” aus der Originalinszenierung ersetzt hat. Den rundherum positiven Eindruck dieser deutschsprachigen Einspielung runden die überaus gelungenen Songtexte von Wolfgang Adenberg ab, der eine sehr flüssige Übersetzung ins Wort gesetzt hat, die viele originelle Übertragungslösungen aufbietet und auch die poetischen Momente des Buches gekonnt zur Geltung bringt.
Auch die Besetzung überzeugt: Annemieke van Dam gibt eine selbstbewusste und charmante Mary Poppins mit klarer lyrischer Stimme. Der Darsteller des Bert muss zunächst einmal ein exzellenter Tänzer sein, womit er auf der CD-Einspielung natürlich nicht punkten kann, doch David Boyd weiß auch gesanglich durchweg zu gefallen und seine gewinnende Ausstrahlung scheint selbst auf diesem Tonträger noch durch. Reinwald Kranner und Milica Jovanovic sind als Mr. und Mrs. Banks zu hören, wobei vor allem Jovanovic’ Stimme über eine große Strahlkraft verfügt. Als Miss Andrew hat Maaike Schuurmans im zweiten Akt zwei furios-kuriose Auftritte, die sie mit beeindruckend kräftiger und virtuoser Stimme gibt.
In dem mit 32 Seiten und sämtlichen Songtexten sehr gut ausgestatteten Booklet wird angegeben, dass als Jane und Michael Banks einzig Fiona Bella Imnitzer und David Paul Mannhart zu hören sind. Ob dies tatsächlich so ist oder ob nicht etwa doch auch andere der allesamt hervorragenden Kinderdarsteller der Bühnenproduktion auf der Aufnahme zu hören sind, darüber ist in den sozialen Medien eine heiße Diskussion entbrannt. Auf eine entsprechende Anfrage teilte das produzierende Label HitSquad Records mit, dass diese Thematik noch einer Klärung bedürfe und kündigte hierzu die Veröffentlichung einer Stellungnahme an, die zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Rezension allerdings noch nicht vorlag.Ein kleiner Wermutstropfen, sofern man überhaupt davon reden kann, ist die recht geringe Laufzeit der Doppel-CD, die mit 87 Minuten kaum länger ist als etwa die nur auf einer CD veröffentlichte australische Live-Aufnahme. Für die ein oder andere Reprise wäre da durchaus noch Platz gewesen. Das vermag zwar nicht den Unterhaltungswert einer ansonsten makellos produzierten CD zu schmälern, verursacht jedoch beim ersten Hören eher verständnisloses Kopfschütteln. So etwa, wenn der zweite Akt völlig unvermittelt ohne Eingangsmusik beginnt – bei einer Live-Aufnahme besteht da eine andere Erwartungshaltung.
Schade also, dass für diese Veröffentlichung nicht sämtliches musikalisches Material auf CD gebannt worden ist, zumal sie eindrucksvoll unter Beweis stellt, welch grandiose Möglichkeiten die heutige Aufnahmetechnik bietet, wenn es darum geht, die einzigartige Atmosphäre einer Live-Performance einzufangen. In einem Tonstudio kann dieses spezielle Fluidum einer lebendigen Theatervorstellung nicht nachempfunden werden. Besonders deutlich wird dies in dem Moment, in dem sich Mary Poppins zu ihrem letzten Flug über die Köpfe der Zuschauer hinweg in die Luft erhebt: Der ausladend-üppige Orchesterklang in Verbindung mit der spontanen Reaktion des Publikums erzeugen auch beim Hören, ebenso wie im Theater, Gänsehaut pur…