Mehr als 15 Jahre nach der Wiener Original Cast Aufnahme erscheint eine generalüberholte CD-Fassung des Kunze/Levay-Musicals mit Oedo Kuipers in der Titelrolle. Thomas Borchert ist abermals als Leopold Mozart vertreten, Mark Seibert übernimmt den Colloredo. Das Damen-Ensemble wird angeführt von Franziska Schuster, Ana Milva Gomes, Barbara Obermeier sowie Brigitte Oelke.
Während von Michael Kunzes und Sylvester Levays Musical “Elisabeth” in fast schon routinemäßigem Veröffentlichungs-Akkord eine CD-Aufnahme nach der anderen auf den Markt geworfen wird, hat es das Nachfolgewerk “Mozart!” bislang nur auf eine einzige deutschsprachige Einspielung gebracht. Damit ist es nun vorbei, denn die Gesamtaufnahme der Neuproduktion, die live im Wiener Raimund Theater aufgezeichnet wurde, weist die stattliche Anzahl von sage und schreibe 50 Tracks aus. Vergleicht man das mit der Highlights-Aufnahme der Originalproduktion, hat man es nun mit einem gefühlt neuem Werk zu tun.
Was durchaus nicht verwunderlich ist, denn wenn es jemanden im Musical-Business gibt, der seine Werke nicht von vornherein für vollendet erachtet, dann ist das sicherlich Michael Kunze, der für Neuinszenierungen seiner Stücke gerne die ein oder andere Neuerung parat hat. Insofern bildet diese Aufnahme den nunmehr aktuellen Stand der Entwicklung ab, die das Stück seit seiner Uraufführung im Jahr 1999 genommen hat. Auf diesem langen Weg hat Kunze anscheinend auch Details hinterfragt. Beispielsweise sind bei “Schließ dein Herz in Eisen ein” aus den unehrlichen Wölfen von einst nunmehr schlaue Ratten geworden. Komisch nur, dass sich die geplagte Hauptfigur an späterer Stelle in dem Song “Mozarts Verwirrung” als weiterhin durch die Wölfe traumatisiert erweist. Entweder verfügt die Bühnenfigur über ein aufführungsübergreifendes Kollektivgedächtnis oder aber es handelt sich hierbei schlicht um einen Anschlussfehler – sei’s drum. Bemerkenswert und konsistenter hingegen ist Kunzes Bestreben, der Geschichte um Colloredo mehr Substanz zu geben und sie mit dem Song “Der einfache Weg”, der nun auch in die deutschsprachige Fassung übernommen wurde, einem schlüssigen Ende zuzuführen. Manchmal übertreibt Kunze es aber auch mit seinen Überarbeitungen, vor allem, wenn er den Erklärbär aufs Libretto ansetzt. Und diesen hat er diesmal ganz ausgiebig die Feder führen lassen, was wiederum dann doch verwundert. Viele Hintergrundinformationen, die er nun liefert, sah er bei der Uraufführung des Stückes noch als entbehrlich für das Gesamtverständnis des Wiener Publikums an. Die Einbindung von Salieri etwa gestaltet sich bemüht und die Erweiterung der Paris-Sequenz um den Tod der Mutter erscheint einfach unnötig. Auch weitere zusätzliche Szenen, die Motivation und historischen Hintergrund erläutern sollen, überzeugen nicht wirklich und sorgen im Ergebnis dafür, dass sich diese “Mozart!”-Fassung musikalisch als unnötig zerklüftet erweist. Das liegt auch an der Vielzahl von musikalischen Einsprengseln in der Partitur wie etwa “Weil du so bist, wie du bist”, womit nun dem neuen Song “Wir zwei zusammen” der Premierenteppich ausgerollt wird. Dieser indes ist wirklich sehr hübsch, eine echte Perle, und gefällt vor allem dadurch, dass er nicht große Musicalballade sein will. Ein zarter und emotionaler Moment, der auf CD noch viel besser funktionieren würde, hätte man die Bühnengeräusche des rasselnden Kettenkarussells weggemischt.
Ohnehin hat man in Sachen Klangqualität von HitSquad schon weitaus Besseres gehört: Vereinzelt dringen die Texte des Ensembles nicht durch und dass im Orchestergraben 27 Musiker ihrer Arbeit nachgehen, hört man eigentlich auch nicht wirklich – da wurden von kleineren Klangkörpern schon opulentere Ergebnisse auf Tonträger gebannt. Auch die Titelfigur des Stückes hat eine enorme Wandlung erfahren: Von dem selbstzerstörerischen Borderliner mit Hang zur Revolution und rotziger Attitüde ist nichts mehr übrig geblieben. Eigentlich kann man es sogar als nahezu albern bezeichnen, eine solch sperrige Persönlichkeit so glattpoliert anzulegen, wie es hier geschehen ist. Die Rolle des neuen Mozart zeichnet sich vor allem durch kalkulierte Harmlosigkeit aus – das gleiche Rezept, mit dem etwa Helene Fischer derzeit so erfolgreich ist. Dass er sich nach dicken roten Lippen verzehrt, will man diesem nur allzu gediegenen Generation-Y-Künstler beim besten Willen nicht abnehmen. Insofern handelt es sich bei dem Mozart dieser Aufführung um ein echtes Trendopfer – früher war eben doch mehr Rasta. Für all das kann Oedo Kuipers nichts. Der junge Niederländer überzeugt mit veritabler Stimme und weiß die Konflikte seiner Figur ausdrucksvoll herauszustellen. Dass sein Rollenporträt trotzdem keinen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen will, ist der Neuausrichtung der Hauptpartie geschuldet – zu was Kuipers fähig ist und zu was nicht, wird sich in den sicherlich kommenden Anschlussengagements noch weisen.
Die echte Entdeckung dieser Show ist Franziska Schuster, die ohne jegliche Musical-Manierismen mit natürlichem Ausdruck und großartiger Stimme eine tatsächlich erfrischend neue Constanze gibt – so machen Neuproduktionen Spaß. Gleiches gilt für Thomas Borchert, der erneut in die Rolle des Leopold Mozart geschlüpft ist. Es ist zutiefst beeindruckend, wie er sein Rollenporträt nochmals aufzufächern vermag und der Figur viele neue und differenzierte Nuancen, vor allem weichere, verleiht. Dass diese Produktion in allen Partien überdurchschnittlich gut besetzt ist, beweisen zudem Ana Milva Gomes als Baronin von Waldstätten mit kräftig-warmer Stimme und Mark Seibert, dem das Spiel des Despoten hörbar große Freude bereitet und der auch gesanglich einen prächtigen Colloredo abgibt. Brigitte Oelke als Cäcilia Weber und Barbara Obermeier als Nannerl hingegen bleiben ein wenig blass.Man darf also froh sein, dass mit dieser Live-Einspielung eines der besseren deutschsprachigen Original-Musicals in seiner Gesamtheit verewigt worden ist. Der Drahtseilakt, das Stück für eine zeitgerechte Aufführung zu adaptieren, ohne es dabei in seinem Kern anzugreifen, ist zweifelsohne gelungen – auch wenn durch deutlich abgerundete Ecken und Kanten einiges von der früheren Attraktivität verloren gegangen ist. Wer diese Aufnahme in seine Sammlung aufnimmt, macht also gewiss keinen Fehler, die Finger wird man sich jedoch nicht danach lecken. Dafür ist der neue Mozart einfach zu wenig Sauschwanz von Drecken …