Live-Mitschnitt der australischen Produktion aus dem Regent Theatre Melbourne mit Ben Lewis, Anna O’Byrne und Simon Gleeson.
I think it’s beautiful”, singt Jack Lyall (Gustave) immer wieder – und in der Tat ist “Love Never Dies” ein wunderschön komponiertes und sehr bewegendes Stück, das ausschließlich im Buch Schwächen aufweist.
Das Stück spielt 10 Jahre nach “Das Phantom der Oper” in Amerika auf Coney Island und soll erzählen, wie es in der Dreiecksgeschichte vom Phantom, Christine und Raoul weitergeht. Unterstützt wird das von gewohnt bombastischer Musik von Andrew Lloyd Webber.
Die Ausstattung kommt aufwendig und mit viel Liebe zum Detail daher. Das zeigt schon allein das beeindruckende Bühnenbild von Gabriela Tylesova mit seiner Bühnentechnik: ob es nun Hebebühnen sind, die Bühne sich dreht oder fächerartige Vorhänge heruntergelassen werden. Auch visuelle Effekte wie Nebel sorgen dafür, dass auf der Bühne wirklich sehr viel los ist.
Die ebenfalls von Gabriela Tylesova entworfenen Kostüme sind zeitgemäß, wobei das Phantom seine Maske und seinen Frack fast wie im ersten Teil trägt. Ausschließlich bei den Shows, die das Phantom auf Coney Island aufführt, kommen bizarrere Kostüme zum Einsatz. So trägt Meg zum Beispiel am Anfang ein rosa Kleid mit einem Vogelschädel auf dem Kopf.
Die Choreografien von Greane Murphy und die Inszenierung sind sehr komplex. Man sieht verrückte Bewegungen von den “Freaks”, die in der Show des Phantoms arbeiten.
In diesen Shows kommt auch schrille Musik zum Einsatz. Das ist zunächst für eine Fortsetzung von “Das Phantom der Oper” gewöhnungsbedürftig, aber wenn man erstmal den Grund dafür versteht, kann man sich darauf auch gut einlassen. Denn diese unmelodische Musik ist der Beweis für die Verzweiflung des Phantoms, der die Lieder für die Shows komponiert. Er bekommt kein richtiges Lied mehr zustande, seitdem er von Christine und ihrer Stimme getrennt ist. Neben den neuen Melodien greift “Love Never Dies” auch manchmal bekannte musikalische Themen von “Das Phantom der Oper” wieder auf.
Die Hälfte des Cast ist Phantom-erprobt: Ben Lewis (Phantom), Anna O’Byrne (Christine) und Sharon Millerchip (Meg Giry) spielten bereits im Original ihre jeweiligen Rollen. Ausnahmen bilden hier Simon Gleeson (Raoul), Jack Lyall (Gustave) und Maria Mercedes (Madame Giry). Die Darsteller spielen unter der Regie von Simon Phillips ihre Rollen mit Leib und Seele. Man glaubt ihnen sofort jedes Wort!
Am Anfang überzeugt Ben Lewis gleich mit einem schön kräftigen Bariton und einem großen Stimmumfang. Er besitzt auch den nötigen Schmelz für die Rolle.
Anna O’Byrne hat einen schönen Sopran, allerdings ein etwas stärkeres Vibrato als die anderen Darsteller, welches besonders in dem schönen Solo “Love Never Dies” stark auffällt.
Gut ausgebildete Kinderstimmen sind in Musicals meistens eine Seltenheit und so ist die bezaubernde und sehr gut geschulte Knabensopranstimme von Jack Lyall (Gustave) eine positive Überraschung.
Simon Gleeson (Raoul) singt mit einer sehr angenehmen Baritonstimme. Sharon Millerchips eindringlichen Sopran wird nicht jeder mögen, doch mit ihrem Rotz in der Stimme hat sie etwas besonderes an sich, das sie authentisch wirken lässt. Auch Maria Mercedes singt die Rolle der alten und etwas verbitterten Madame Giry voller Überzeugung.
Das Libretto wurde von Glenn Slater und Charles Hart geschrieben und besitzt mit der Musik von Andrew Lloyd Webber immer einen gewissen Ohrwurmcharakter, wie es besonders bei den Liedern “‘Til I Hear You Sing”, “Beneath A Moonless Sky”, “Once Upon Another Time”, “The Beauty Underneath”, “Devil Take The Hindmost” und “Love Never Dies” der Fall ist.
Nur das Buch von Andrew Lloyd Webber und Ben Elton nach der Romanvorlage “Das Phantom von Manhattan” von Frederik Forsyth ist als Fortsetzung zu “Das Phantom der Oper” nicht ganz schlüssig. Zum Beispiel wird nicht geklärt, warum Christine zwischen der Original-Geschichte und der Fortsetzung getan hat, was sie getan hat. Etwa, warum sie nochmal extra nach dem Phantom suchte, nur um sich zu verabschieden und warum sie dann doch mit ihm geschlafen hat. Raoul ist plötzlich ein spielsüchtiger, hochverschuldeter Alkoholiker, doch den Grund dafür erfährt man ebenso wenig. Meg möchte dem Phantom gefallen und tut vergebens alles für ihn – wird zum Schluss sogar die Mörderin von Christine. Das hat nicht viel mit der lieben, unschuldigen Meg aus dem ersten Teil zu tun.
Abgesehen von all diesen Unklarheiten ist die Geschichte dennoch sehr berührend. Zwar stirbt Christine in den Armen des Phantoms, aber er findet endlich Liebe und Frieden durch seinen Sohn, Gustave, von dem er 10 Jahre lang nichts wusste. Gustave akzeptiert letztendlich seinen richtigen Vater so, wie er ist und fürchtet sich nicht mehr vor dem entstellten Gesicht.
Auch die Art der Aufnahme ist ungewöhnlich für einen Musical-Mitschnitt: Zweimal wird auf den dunklen Zuschauerraum mit den leuchtenden Scheinwerfern geblendet. Meistens sieht man, ähnlich dem Live-Erlebnis im Theater, die normalen Übergänge von einem Bühnenbild ins andere, doch manchmal wird auch einfach ein Schnitt gesetzt wie bei einem Spielfilm. Das lässt die gesamte Aufnahme dynamischer und flüssiger wirken.
Da es sich um einen Mitschnitt der australischen Produktion handelt, ist das Stück in englischer Sprache zu hören, doch man kann auf der DVD auch sehr gut übersetzte deutsche Untertitel auswählen.
Insgesamt ist die 2012 erschienene DVD von “Love Never Dies” trotz den auffälligen Diskrepanzen zum originalen “Das Phantom der Oper” eine durchaus sehenswerte, sehr berührende und mitreißende Musical-Aufnahme!