Anke Sieloff (Dolly), Chor © Pedro Manilowski
Anke Sieloff (Dolly), Chor © Pedro Manilowski

Hello, Dolly! (2024)
Musiktheater im Revier (MiR), Gelsenkirchen

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

“Hello, Dolly!” Die musikalische Komödie von Jerry Hermann und Michael Stewart feierte vor ziemlich genau 60 Jahren Weltpremiere am Broadway. Eine jüdische Witwe namens Dolly Gallagher Levi, hier und heute glorreich gespielt von Anke Sieloff, sagt dem verstaubten amerikanischen Patriarchat den Kampf an. Als Heiratsvermittlerin hilft sie dem Glück der gehobenen Gesellschaft, nicht zuletzt auch ihrem eigenen, auf die Sprünge. Carsten Kirchmeier gelingt es, die Geschichte sowie dessen Message modern interpretiert dem Publikum der 2020er Jahre zugänglich zu machen. Der gesamte Cast spielt, singt und tanzt sich und seine Figuren in ein neues Leben und nimmt den Zuschauer einfach mit!

Wenn Dolly Gallagher Levi für etwas berüchtigt ist, dann ist es Werbung in eigener Sache. Als omnipotente Heiratsvermittlerin bringt sie nicht nur einsame Seelen zusammen, sondern erzieht sich gleichsam ihre Kundschaft, indem sie beispielsweise Tanzstunden gibt und sich am Ende sogar als deren Rechtsberatung und -vertretung einen Namen macht. Ganz im Sinne ihres verstorbenen Mannes, mit dem sie immer wieder in Zwiesprache geht, verfolgt sie das persönliche Ziel, das Aufblühen der jungen Generation zu fördern. Einen ihrer Kunden hat sie sich jedoch selbst auserkoren: den Halbmillionär Horace Vandergelder. Bis zum Happy End gilt es noch einige Turbulenzen zu überstehen, bevor sich der Auserwählte schließlich zu einem Heiratsantrag hinreißen lässt.

Die Inszenierung Carsten Kirchmeiers vermittelt so viel Leichtigkeit und ist doch so perfekt in der Komposition sämtlicher Arrangements. Der Vorhang begrüßt bereits mit den Worten “Hello, Dolly!”. Ist damit etwa der Zuschauer selbst gemeint oder ist es die Einladung, sich von der hinreißenden Heiratsvermittlerin in ihre Welt zaubern zulassen (“Call On Dolly”)? Ganz im Sinne des American Dreams, nachdem bekanntlich alles möglich zu sein scheint. Viel Raum für Identifikation mit den Figuren und dem Geschehen auf der Bühne ist geboten.

Die großartigen Bühnenbilder von Jürgen Kirner bestehen vor allem aus übergroßen Requisiten und werden – durch zahlreiche vorgenommene Kostümwechsel – mit immer mehr farbenfrohem Leben gefüllt. Vandergelders übergroße Kasse verkörpert den Kapitalismus und bietet mehrere Ebenen und Tiefen, ist aber rein durch die bräunliche Farbgestaltung deutlich langweiliger gehalten als die Bühnenelemente der übrigen Spielorte. Riesige Hutschachteln werden zur funktionalen Kulisse des Hutladens Irene Molloys und auf einem überdimensional großen Löffel schwebt Dolly im Divenoutfit ins Edelrestaurant “Harmonia Garden” ein. Eine übergroße Serviette auf dem Präsentierteller rückt die beiden Hauptdarsteller Sieloff und Weiler schließlich in den Mittelpunkt.

Die Drehbühne sowie mit Vorhängen bespannte Gerüste stellen sicher, dass die Umbauten stets im Verborgenen stattfinden. Alles ist von Thomas Ratzinger ins rechte Licht gerückt, der Fokus ist immer klar und deutlich auf die Protagonistin eingestellt.

Die angestaubte, in Grau- und Brauntöne gekleidete patriarchale Gesellschaft des provinziellen Yonkers, die vom Chor verkörpert wird, kommt zunächst sehr steif und unbeweglich daher (“It Takes A Woman”) während das jugendlich wirkende Tanzensemble vom ersten Auftritt an wie ein bunter Blumenstrauß in Regenbogenfarben beschwingt über die Bühne wirbelt. Dem passt sich die jüngere Generation auf Anraten von Dolly an (“Put On Your Sunday Clothes”).

Die Hauptfigur Dolly, die zunächst auch nur wenig Farbe im Herzen trägt und auf die Bühne bringt, tanzt die Choreographien des Balletts mit, woraufhin stets ein Kostümwechsel erfolgt, der andeutet, dass die Protagonistin sich selbst weiterentwickelt: von der eben noch traurigen Witwe in gesetzten Farben bis hin zur in Netzstrumpfhosen und mit Federn geschmückte Diva und schließlich zur Leichtigkeit versprühenden alleinstehenden Frau, um dessen Hand angehalten wird. Die Farbe rot, gleichsam die Farbe der Liebe, ist nahezu ausschließlich der Rolle der Dolly zugedacht.

Im weiteren Verlauf bekommen die Mitglieder des Chors, etwas mehr Farbe zugesprochen. Einzelne Accessoires wie Schals, Handtaschen und Schirme leuchten nun in gelb, lila und grün. Die New Yorker Gesellschaft, weitaus aufgeschlossener und fortschrittlicher als die Leute aus der Provinz, erstrahlen bei der Parade in ebenso bunten Farben wie das Tanzensemble und die jüngere Generation des Casts. Das vollkommen gelungene Farbenspiel der Kostüme von Beata Kornatowska belebt das Stück.

Allen voran bestreitet Anke Sieloff als Dolly nahezu den gesamten Abend mit einer enormen Präsenz. Sowohl gesanglich als auch in Spiel und Tanz beeindruckt sie als Leaderin mit einem beachtlichen Textanteil. Nicht eine Sekunde fällt sie aus der Rolle und mit gekonnt inszeniertem Charme, Selbstvertrauen, Humor und gespielter List verkörpert sie Dolly in Perfektion!

Nicht weniger herausragend spielt Dirk Weiler seine Rolle als Horace Vandergelder gekonnt mit viel Humor. Beim Zuschauer erregt er Mitleid, als der alte Patriarch im Verlauf des Stücks zum Spielball des Schicksals zu werden scheint. So stellt er in der Entwicklung seiner Rolle vom Stoffel hin zum einfühlsamen Mann, der sich schließlich doch in Dolly verliebt und ganz sanfte, nahezu untergebene Worte von sich gibt, eine hohe Wandlungsfähigkeit unter Beweis.

Sebastian Schiller als Cornelius Hackl besticht durch Charme im Spiel und klare, vor allem zarte Töne (“It Only Takes A Moment”). Gemeinsam mit Nicolai Schwab als Barnaby Tucker stellt er eine humorige Kombo dar.

Julia Heiser spielt die Rolle der Irene Molloy so authentisch und natürlich, als sei sie ihr auf den Leib geschrieben. Mit einem klaren Bewusstsein um ihren Wert tritt sie mit starker Bühnenpräsenz nicht nur in Spiel und Gesang, sondern auch im Tanz auf. Sonja Hebestadt als ihre mädchenhafte Angestellte Minnie Fay bezaubert durch ihre gespielte Unbekümmertheit und ihre zarte Stimme gleichsam wie mit ihrem Schalk im Nacken.

Als stärkstes Chormitglied punktet Charles E.J. Moulton als Chefkellner Rudolph im zweiten Akt. Trotz kleiner Rolle zeigt er eine enorme Präsenz und Stärke in Schauspiel und Gesang, dass es eine Freude ist, ihm zu folgen. Stets in seiner Rolle nimmt er die Reaktionen des Publikums scheinbar gelassen hin, was ihm und seiner Figur noch mehr Sympathie einspielt.

Die Musik von Jerry Herman wird von der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Peter Kattermann mit einer enormen Kraft aus dem Orchestergraben transportiert, sodass sich der Zuschauer schnell in der Metropole New York wiedererkennt. Ein besonderer Clou sind die Übertitel, die auf Deutsch über der Bühne eingeblendet werden, während die Songs im englischen Original zum Besten gegeben werden. So wirkt das gesamte Spiel deutlich flüssiger als in manch einer deutschen Übersetzung der Songs.

Die Choreographien Paul Kribbes vermitteln hervorragend die Kontraste innerhalb der Story: Während sich Dolly zunächst in Kicklines mit dem Ballett wiederfindet, die jüngere Generation Gesellschaftstänze wie den Walzer lehrt und der Gewinn bei einem Polka-Wettbewerb finanzielle Sicherheit verspricht, treiben die Contemporary-Passagen die Entwicklung der Figuren voran. Herrlich beschwingt wirkt das Tanzensemble, wenn es sich freispringt und die Herren ihre Partnerinnen heben und schleudern. Alle immer wieder präsente Steifheit tanzen sich die Tänzerinnen und Tänzer von der Seele – und dem Publikum irgendwie auch.

Nach über zweieinhalb Stunden bester Unterhaltung verlässt der Besucher, ob jung, ob alt, gelöst den Theatersaal. Gesellschaftlicher Wandel kommt eben nie aus der Mode; ebenso wenig die Suche nach dem ganz persönlichen Glück, das niemals allein im Materiellen zu finden ist, wenn denn die Liebe fehlt.

Eine besondere Empfehlung: schnellstmöglich Karten besorgen und sich mitreißen lassen!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musikalische LeitungPeter Kattermann
Mateo Peñaloza Cecconi
InszenierungCarsten Kirchmeier
ChoreografiePaul Kribbe
Choreografische AssistenzFaye Anderson
BühneJürgen Kirner
KostümeBeata Kornatowska
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
DollyAnke Sieloff
Horace VandergelderDirk Weiler
Cornelius HacklSebastian Schiller
Barneby TuckerNicolai Schwab
Irene MolloyJulia Heiser
Minnie FaySonja Hebestadt
ErmengardeAlina J. Simon
Ambrose KemperJonathan Guth
Ernestina MoneyAlfia Kamalova
Rudolph, ChefkellnerCharles E. J. Moulton
RichterOliver Aigner
EnsembleFaye Anderson
Mika Einmal
Eileen Michelle Landsmann
Julie Martin
Liam Tiesteel
Mykhaylo Tovt
ChorMiR Opernchor
OrchesterNeue Philharmonie Westfalen
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Sa, 13.01.2024 19:00MiR (Großes Haus), GelsenkirchenPremiere
Sa, 20.01.2024 19:00MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
So, 21.01.2024 16:00MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
▼ 12 weitere Termine einblenden (bis 07.07.2024) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay