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Die Mannheimer Lokallegende Joy Fleming (†2017) ist vielen als Ausnahmekünstlerin mit großer Stimme und Charisma bekannt. Mit dem namensgebenden Song “Ein Lied kann eine Brücke sein” trat sie 1975 beim Grand Prix Eurovision De La Chanson (Eurovision Song Contest) für Westdeutschland an und belegte einen der hinteren Plätze. Damals hieß es oft, das Lied wäre mit seinem souligen, fast Gospel-ähnlichen Ton seiner Zeit voraus gewesen. Heutzutage ist er trotz allem ein beliebter und bekannter Hit, der in diesem Musical die Brücke von Vergangenheit zur Gegenwart zu schlagen versucht. Doch diese Brücke ist leider etwas baufällig.
Zwei nur lose aufeinander bezogene Handlungen werden in den jeweiligen Akten erzählt. Der erste Teil spielt im vom Krieg zerstörten und von den Amerikanern befreiten Mannheim. Der Zuschauer begleitet die burschikose Erna Raad auf ihrem Weg von einer Fabrikarbeiterin zur gefeierten Soulsängerin und zeichnet nach, wie sie, mithilfe einiger Weggefährten, zu ihrem Künstlernamen “Joy Fleming” kam, während die Stadt um sie herum sukzessive aus einer Trümmerhalde heraus zu neuem Leben erwacht. Die langsam beginnende Karriere verläuft zunächst zum Missfallen von Ernas Mutter und ihren Freunden, doch als die Kasse klingelt, gestehen sie Erna den Erfolg zu. Von der lokalen Kiezgröße Katzen-Theo wird Erna schließlich dem Einfluss ihres Umfeldes entlockt und zu Höherem auserkoren. Er verschafft ihr prestigeträchtige Auftritte, unter anderem bei der Eröffnung der Spinelli-Kasernen in Mannheim (dem Austragungsort der Bundesgartenschau 2023 und dem Aufführungsort des Musicals), wo sie “Ein Lied kann eine Brücke sein” triumphal performt. Zum Schluss bricht Theo mit der nun als “Joy Fleming” bekannten Erna nach Paris auf, der Freiheit entgegen.
Der zweite Akt öffnet mit der Klimaaktivistin Angela im April 2023, die zu Sozialstunden in einem Altenheim verurteilt wird, nachdem sie sich bei einer Protestaktion der “Letzten Generation” auf die Straße geklebt hat. Da die Seniorenresidenz verkauft werden soll, sind die Rentner allesamt wütend und verzweifelt. Angela hat am Anfang große Berührungsängste mit den Alten im Haus, vor allem mit der präsentesten Person der Truppe, Theo (wie sich herausstellen soll, derselbe Theo, der im 1. Akt mit Joy Fleming nach Paris aufbrach) und gerät ständig mit ihnen aneinander, doch letztendlich überwinden sie ihre Diskrepanzen, retten das Seniorenheim und verabreden sich für die nächste Klimademonstration.
Obwohl sich die Geschichte vielleicht spannend liest, wirkt sie auf der Bühne wegen hölzerner und repetitiver Dialoge und einigen wenig Mehrwert bringenden Figuren eher holprig. Dies liegt weder an der Musik noch der Darstellerriege, vielmehr gibt das Buch diese recht flach ausgearbeiteten Handlungsabläufe vor. Vor allem der Anfang, in dem man Stück für Stück Ernas Nachkriegsmannheim kennenlernt, zieht sich. Bis sie endlich bei den Soldaten zu singen beginnt, muss sie sich zunächst mehrere Szenen lang mit in ihren Motiven unklar umherwabernden Freunden befassen und sich von einer gänzlich willkürlich erscheinenden, gezwungen mysteriös wirkenden “Gräfin” mental coachen lassen. Fahrt nimmt der erste Akt dann auf, als die Songdichte mit Ernas Club-Jobs größer wird und die tollen Lieder von zum Teil bemerkenswert virtuosen Stimmen zum Besten gegeben werden. Trotzdem bleibt man am Ende des ersten Aktes mit vielen Fragezeichen zurück, vor allem was die ins Leere verlaufenden Handlungskonstellationen der Nebenakteure betrifft. Immerhin: Ernas Weg zu ihrer Bühnenperson Joy Fleming wurde dynamisch mit rotem Faden und viel Fantasie erfolgreich auf die Musicalbühne gebracht.
Der zweite Akt scheint da deutlich problematischer. Nicht nur, weil er die Geschichte um Joy Fleming nicht weiter spinnt, sondern weil er sehr plakativ, sogar unangenehm provokativ stereotype Verhaltensweisen von “den Alten” und “den Jungen” so gegenüberstellt, dass er Unverständnis heraufbeschwört und die Versöhnung am Ende nicht sehr glaubwürdig wirkt. Die Figuren wirken selbst im Vergleich zu den flachen Charakterisierungen des ersten Aktes noch karikaturistischer. Trotzdem gelingt es gerade im Zusammenspiel der Seniorengruppe, zumeist mit derben Scherzen oder schwarzem Humor das Publikum bei Laune zu halten. Die Songdichte im zweiten Akt ist gefühlt deutlich geringer als im ersten Teil und besteht aus einem großen Teil von Reprisen, die mitunter die einzige Verbindung zum ersten Akt darstellen. Lose verbunden sind die Teile zudem dadurch, dass einige der Altersheiminsassen Weggefährten von Joy Fleming gewesen seien und immer wieder mit kurzen Einschüben “ihrer Erna” gedenken. Vor allem Theo, der eine romantische Vergangenheit mit Joy hat und sie, wie man erfährt, in Paris hat sitzen lassen, ringt mit seinen Fehlern der Vergangenheit und will mit diesen “alten Geistern” aufräumen, indem er sich nicht mehr versteckt und für sich sowie für die Zukunft einsteht. Es wirkt alles ziemlich weit hergeholt. Man hat hier versucht, ein Musical über eine Ausnahmekünstlerin mit Lokalkolorit zu füllen und gleichzeitig Bezug zum Aufführungsort, dem Aufführungskontext und den zukunfts- und nachhaltigkeitsorientierten Grundwerten einer modernen Gesellschaft zu verknüpfen – das sind einfach zu viele Aufgaben für ein einzelnes Musical, derer sich hier angenommen wird, worunter das Buch und die Handlung leider stark zu leiden haben.
Das Bühnenbild, bestehend aus einzelnen Hauselementen wie einer frei stehenden kaputten Tür, einer schäbigen Treppe, einem Klavier und mehreren Holzpodesten, ist vor allem im ersten Akt eindrucksvoll und wird optimal bespielt, um unterschiedliche Schauplätze und Szenen innerhalb Mannheims zu zeigen. Mehrere Spielebenen tun sich auf und erwecken den Eindruck einer vom Krieg gebeutelten Stadt. Über den Akt hinweg werden von Statistinnen Trümmerteile aufgeräumt, sodass man im Hintergrund der Handlung stets vor Augen hat, in welcher Zeit Erna Raad sich – jedenfalla gemäß der historisch nicht wirklich korrekt zusammengesetzten Bühnengeschichte – zu behaupten hat. Die wahre Erna ist erst in den 60ern aktiv geworden und war noch ein Kind, als die Trümmerfrauen aktiv waren. Im zweiten Akt wird die Kulisse gänzlich durch weiße Vorhänge verhüllt, um die sterile und kalte Atmosphäre des Seniorenheims zu zeigen, was erstaunlich gut funktioniert. Volle Punktzahl für das Bühnenbild!
Die Band, die aus sechs Musikern besteht, spielt die sehr breit gefächerten, allesamt mit Ohrwurmcharakter ausgestatteten Songs souverän und mit Wumms, was zu gefallen weiß. Auch wenn die Lieder, die von Studierenden der Mannheimer Popakademie komponiert wurden, nichts Außergewöhnliches oder Originelles im allgemeinen Musicalkontext zu bieten haben, überzeugen sie in diesem Stück auf ganzer Linie und fügen sich optimal in das Gesamtkunstwerk ein. Von Jazz, Blues und Swing bis hin zu balladenhaften Melodien, Schlagertönen und Mundartmusik ist alles dabei – sogar ein bisschen Rap ist zu finden. Die Texte sind zum Teil in Mannemerisch gesungen, andere auf Hochdeutsch, Englisch oder einem Mischmasch (wie die eingängigen Songs “German Fräulein” und “Mister Soldier”) und in vielen von ihnen steckt einiges an Tiefsinn, was die trivialen, aber allesamt gut ins Ohr gehenden Melodien nur zum Teil gut transportieren können. Das könnte aber auch an der Tontechnik liegen, die an diesem Abend leider suboptimal funktioniert. Es ist ein immer wiederkehrendes Thema: Mikrofone werden zu spät eingeschaltet, erzeugen eine piepsende Rückkopplung oder sind schlichtweg viel zu leise eingestellt. Hier sollte nach Möglichkeit wirklich gründlicher austariert werden.
Das Ensemble, das durch den sing- und spielfreudigen Mannheimer Bürgerchor tatkräftig unterstützt wird, mag vollends schauspielerisch zu überzeugen, wobei den teilweise stimmlich nicht ganz einfachen Liedern nicht alle Darsteller*innen gewachsen scheinen. Mit besonderer Bühnenpräsenz brilliert Andrea Matthias Pagani als Theo, von dem man seine Augen kaum lassen kann. Seinen breiten Mannheimer Dialekt exerziert er bis zur Perfektion und hat somit die Sympathie des lokalen Publikums und einen Großteil des komödiantischen Potenzials des Stücks auf seiner Seite. Jeannette Friedrich gelingt es, ihre Version von Erna aka Joy Fleming sympathisch zum Leben zu erwecken und mit entsprechendem Stimmvolumen zu spicken – besonders eindrucksvoll natürlich im “Neckarbrückenblues” und dem Titelsong des Stücks. Der heimliche gesangliche Höhepunkt des Abends war allerdings Anja Beck-Harth, die als Mutter ihre Tochter Erna in dem stimmgewaltigen Song “Mannemer Dreck” zurechtweist und wahrlich eine sehr überzeugende Joy Fleming hätte spielen können. Im zweiten Akt weiß vor allem das Duett von Pagani und Selina Brosio “Langer, erzähl mir doch nix” zu punkten, in dem der alte Mann mit den Wertvorstellungen der Klimaaktivistin Angela auf Konfrontationskurs geht.
Da das Musical im Rahmen der Bundesgartenschau in Mannheim kostenfrei anzusehen ist, empfiehlt sich trotz einiger Kritikpunkte, es sich anzusehen. Auch wenn die Brücke, die versucht wird zu bauen, ein bisschen wackelig ist, ist ein unterhaltsamer Abend mit tollen Darstellern geboten.
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KREATIVTEAM |
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Buch, Inszenierung | Georg Veit |
Musikalische Leitung | Mark "Moody" Hernadi |
Choreografie | Doris Marlis |
Kostüme | Marette Oppenberg |
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CAST (AKTUELL) |
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Erna Raad | Jeannette Friedrich |
Angela | Selina Ibrahim |
Theo | Andreas Matthias Pagani |
Lise | Birgit Widmann |
Gräfin / Frl. Höhlenrausch | Susanne Back |
Karl / Jens | Jan-Niklas Shadan Mavigök |
Butler / Soldat | Thomas Simon |
Mutter | Anja Beck-Harth |
Soldat Myers | Fausto Israel |
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GALERIE |
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TERMINE |
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Sa, 14.09.2024 20:00 | Seebühne Luisenpark, Mannheim | |
So, 15.09.2024 20:00 | Seebühne Luisenpark, Mannheim | zum letzten Mal 2024 |
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TERMINE (HISTORY) |
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