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Zum 150-jährigen Jubiläum des hiesigen Stadttheaters hat sich der Musicalfrühling Gmunden etwas ganz Besonderes einfallen lassen: “Die Frau in Weiß”. Andrew Lloyd Webber höchstselbst soll sich das kleine österreichische Stadttheater am Traunsee für die deutschsprachige (und kontinentaleuropäische) Erstaufführung seines “The Woman in White” ausgewählt haben. Das Team um den Musicalfrühling Gmunden erweist sich dieser Ehre mehr als würdig.
Nach Jahren mit weniger erfolgreichen Musicals war Andrew Lloyd Webber im Jahr 2004 wieder zurück: “The Woman in White” begeisterte Publikum und Kritiker in London und schaffte es – wenn auch nur kurz – sogar als erste Show nach “Sunset Boulevard” wieder an den Broadway. Lloyd Webber selbst war allerdings nie komplett zufrieden mit dieser Show und brachte im Jahr 2017 eine überarbeitete Version ins intime Londoner Charing Cross Theater. Nun, beinahe 20 Jahre nach seiner Weltpremiere, schafft “Die Frau in Weiß” den Sprung auf den Kontinent und feierte deutschsprachige Erstaufführung im Stadttheater Gmunden.
Die Handlung spielt in England des späten 19. Jahrhunderts. Zeichenlehrer Walter Hartright ist auf dem Weg zu seinen beiden neuen Schülerinnen, den wohlhabenden Halbschwestern Laura Fairlie und Marina Halcombe. Auf seiner Reise begegnet er einer mysteriösen Frau, die – ganz in weiß gekleidet – von einem Geheimnis spricht und genauso plötzlich verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. An seiner neuen Wirkungsstätte angekommen, stellt Walter überrascht fest, dass die besagte Frau in Weiß und seine neue Schülerin Laura sich wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlichsehen. Laura und Walter verlieben sich ineinander und auch Marian schwärmt für ihren adretten Lehrer. Dunkle Wolken ziehen auf, als Marian Walter eröffnet, dass Laura bereits mit einem Aristokraten verlobt sei. Dieser scheint jedoch mehr Interesse an Lauras Vermögen, als an ihr zu haben. Und auch die Frau in Weiß, die immer wieder auftaucht, warnt Walter vor seinen fiesen Machenschaften.
Damit folgt das Musical frei der Romanvorlage von Wilkie Collins. Insgesamt gelingt es sehr gut, den Spannungsbogen aufzubauen und auch wieder zu schließen. In der Eingangs-Szene am Bahngleis berichtet der Bahnwärter Walter von einem Albtraum, den er just in dieser Nacht hatte: Ein Mann, der genauso wie Walter aussähe, habe ihn gewarnt, dass es genau in einem Jahr zu einem schlimmen Unglück auf den Gleisen kommen werde. Mit diesem besagten Unglück endet die Story und führt die Handlung wieder an den Beginn zurück. An anderen Stellen ist die Musicalfassung von Charlotte Jones nicht immer ganz logisch, so zum Beispiel bei der Befreiung aus der Heilanstalt. Die vorher noch als gefährlich und unberechenbare Patientin kann einfach so aus der Anstalt spazieren, ohne aufgehalten zu werden.
Markus Olzinger inszeniert “Die Frau in Weiß” als Kammerspiel und macht damit alles richtig. Das Bühnenbild ist schlicht; den Hintergrund bilden senkrecht aufgestellte Stelen, auf denen die Handlungsorte projiziert werden. Zwei Wände auf der linken und rechten Bühnenseiten können je nach Bedarf auf die Bühne gelassen werden. Damit wird der Blick auf die Personen und die Handlung gelenkt und es entstehen wunderbar intime Momente. Die wenigen Requisiten werden von den Darstellern entweder selbst mitgebracht oder erscheinen hinter den Wänden, wenn diese wieder nach oben gezogen werden.
Eine schwierige Aufgabe dürfte es wohl gewesen sein, dass annähernd komplett durchkomponierte Musical auf Deutsch zu übersetzen. Wolfgang Adenberg gelingt dies sehr gut. An keiner Stelle des Stückes scheinen die deutschen Texte bemüht oder holprig zu sein. Sie klingen viel eher so, als seien sie schon immer so geschrieben gewesen und lassen sich damit viel eher mit einer Nachdichtung als mit einer Übersetzung beschreiben. Zusammen mit dem Live-Orchester, dass mit viel Energie die mal aufwühlenden, mal sehr emotionalen Melodien spielt, ergibt sich so ein enorm dichter Dreiklang zwischen Bildern, Texten und Melodien.
Das Liebespaar Laura und Walter wird von Elisabeth Sikora und Sasha Di Capri verkörpert. Die beiden spielen mit großer Freude und großem gesanglichen Talent. Bedauerlich ist nur, dass die Rolle der Laura so wenig hergibt. Zu Beginn des zweiten Aktes beweist sich Elisabeth Sikora nicht nur als enorm gute Sängerin, sondern auch als hervorragende Schauspielerin, wenn Lauras Verzweiflung über ihr Schicksal bei “Könnt’ ich im Traum nur dieser Welt entfliehn” geradezu aus ihr herausbricht. Gleiches gilt für Sasha Di Capri. Als Walter muss er immer wieder beeindruckende Tonhöhen erklimmen – kein leichtes Unterfangen, das er jedoch großartig meistert.
Schade auch, dass es der Song “The Woman in White”, der ursprünglich für die Rolle der titeltragenden Frau in Weiß Anne Catherick geschrieben wurde, schon nicht in die Londoner Original-Inszenierung geschafft hatte und auch hier fehlt. Anaïs Lueken spielt die Rolle mit einer Mischung aus Angst und Bedrohlichkeit und hätte dem Song sicherlich ein mystisch-unheimliches Denkmal gesetzt. Dennis Kozeluh, den man ja als gnädigen Herzog Max in Bayern aus “Elisabeth” kennt, gibt hier einen herrlich schrulligen und dauer-grantelnden Frederick Fairlie und Gerd Achilles kommt als super-schmieriger Percival Glyde daher.
Die Rolle der unglücklich verliebten Marian wird von Carin Filipčić gespielt, die ganz und gar in der Rolle aufgeht. Es wird in jeder ihrer Szenen deutlich, wie tief sie sich mit dem Charakter auseinandergesetzt haben muss. Anders lassen sich ihre intensive Darstellung und ihre Fähigkeit, das Publikum in die Gefühlswelt der Marian Halcombe so überzeugend mitzunehmen, nicht erklären. Schon bei ihrem ersten Auftritt, als sie Walter ihre eigenen Unzulänglichkeiten im krassen Gegenspiel zu den Talenten ihrer Halbschwester gegenüber mit ihrer ausdrucksstarken Mimik und ihren ironischen Selbstbetrachtungen eingesteht, gewinnt sie die Herzen des Publikums. Mit ihrer wunderbar warmen Stimme vermittelt sie ihre ganze Liebe zu ihrer Halbschwester, für die sie sogar auf ihr eigenes Glück verzichtet. Ihr “Nur für Laura” ist zweifellos der Höhepunkt der Show und einer der Momente, für den sich jeder Musicalbesuch lohnt.
Die größte Überraschung der Gmundener Inszenierung hingegen ist sicherlich Yngve Gasoy-Romdal als Graf Fosco: Im Fettkostüm, immer mit einer sahnigen Kalorienbombe oder mindestens seiner Bonbondose in der Hand tänzelt er über die Bühne und lockert mit seinem Portrait des italienischen Lebemanns die dunkle Geschichte auf. Ihn in dieser skurril-komischen Rolle – besonders in der Szene als Marian ihn verführen will, um hinter das Geheimnis des Aufenthaltsortes von Anne zu kommen – macht dermaßen viel Spaß, dass man ihn gerne viel häufiger nicht nur in den ernsten und dramatischen Rollen erleben möchte, auf die er sonst eher abonniert ist.
Obwohl “Die Frau in Weiß” sicherlich nicht zu den bekanntesten und vielleicht auch nicht zu den besten Stücken von Andrew Lloyd Webber gehört, ist es gelungen, dem Stadttheater zu seinem 150-jährigem Jubiläum ein wundervolles Geburtstagsgeschenk zu bereiten. An dieser Inszenierung werden sich zukünftige Produktionen messen lassen müssen – und das kleine Team rund um den Musicalfrühling Gmunden kann darauf mit Recht stolz sein.
Musik von Andrew Lloyd Webber
Gesangstexte von David Zippel
Buch von Charlotte Jones
Deutsche Fassung von Wolfgang Adenberg
Koproduktion mit dem Stadttheater Fürth
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KREATIVTEAM |
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Inszenierung, Bühne | Markus Olzinger |
Musikalische Leitung | Jürgen Goriup Filip Paluchowski |
Kostüm, Maske | Sebastian Weber |
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CAST (AKTUELL) |
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Laura Fairlie | Elisabeth Sikora (Kun Jing) |
Sir Percival Glyde | Gerd Achilles Rob Pelzer (Lukas Müller) |
Marian Halcombe | Carin Filipcic |
Walter Hartright | Sasha Di Capri |
Count Fosco | Yngve Gasoy-Romdal |
Anne Catherick | Anaïs Lueken (Heidelinde Schuster) |
Mr. Fairlie | Dennis Kozeluh |
Bahnwärter u. a. | Previn Moore |
Ensemble | Heidelinde Schuster Kun Jing Lukas Müller |
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