“Rebecca” im Jahr 2022 erinnert weitestgehend an die bekannte, um zusätzliche Songs ergänzte Version aus Stuttgart bzw. die Originalfassung, die 2006 in Wien zur Uraufführung gebracht wurde. Auch in der aktuellen Version gibt es viele Wow-Momente, die gutes Theater ausmachen, aber leider auch einige Längen. Die Darstellerinnen und Darsteller sind allesamt – wie bei den VBW gewohnt – hervorragend.
Schaut man sich die Hitchcock’sche Verfilmung von Daphne du Mauriers Roman aus dem Jahr 1940 an, erlebt man einen düsteren, dichten und sehr atmosphärischen Psychothriller, der vor Crime-Elementen nur so strotzt. Dieser Gothic-Charakter steht in der Musical-Version von Levay/Kunze (leider) eher im Hintergrund. Auch in der 2022er VBW-Produktion ist es das große Melodrama zwischen Maxim und ‘Ich’, das den Handlungsbogen bestimmt. Der düstere Part der Story – größtenteils verkörpert in der Gestalt der Mrs. Danvers – spielt hier eine eher marginale Rolle und wird leider etwas stiefmütterlich behandelt. Bedauerlicherweise wird auch die eigentliche Auflösung der Story – nämlich der Tod der titelgebenden Figur – sehr abrupt und schnell abgehandelt, um dann gleich wieder in den ‘Liebes-Modus’ zu wechseln.
Schade, denn die Story bietet viel mehr düstere Ansätze und hätte mehr davon verdient. Gerade die Figur der Mrs. Danvers würde davon profitieren, noch mehr ins Rampenlicht gerückt zu werden. So kann Willemijn Verkaik zwar zwischendurch ihren verletzten und in Verehrung für Rebecca schwelgenden Charakter durchblitzen lassen, scheint aber dank der eher balladenhaften Songs, die sie singen darf, zumindest gesanglich unterfordert. Ihr Talent zeigt sich dennoch in jedem ihrer Auftritte. Sie schafft es mühelos, zwischen zuckersüß und böse zu wechseln, und interpretiert insbesondere den Titelsong und auch “Sie ergibt sich nicht” schnörkelfrei und ohne große Phrasierungen, was den Nummern gut zu Gesicht steht. Ungemein bissig und berechnend gelingt ihr die kurze Szene auf dem Balkon (“Nur ein Schritt”), in der sie ‘Ich’ in den Selbstmord treiben will. Für einen Moment fühlt man sich an ihr boshaftes Lachen aus “Wicked” erinnert.
Ähnlich geht es Mark Seibert, der zwar wunderbar in die Rolle des Maxim de Winter passt, der aber – aufgrund der Inszenierung und des Buches – selten die Chance hat, darstellerisch facettenreich in Erscheinung zu treten. Erst im 2. Akt wird sein Charakter spannend, wenn die Geschichte um den Tod seiner Ex-Frau aufgedröselt wird. Sein gesangliches Highlight ist der Song “Kein Lächeln war je so kalt”, den er mit viel Einsatz und Pathos abliefert. Vanessa Heinz als Cover von ‘Ich’ kann ebenfalls erst im 2. Akt zeigen, was sie kann. Ihre Wandlung von der schüchternen Gesellschafterin zur Hausherrin von Manderley gelingt ihr nachdrücklich.
Interessanterweise blieben am Ende des Abends jedoch die Darsteller zweier Nebenrollen besonders im Gedächtnis: Aris Sas spielt die Rolle des geistig zurückgebliebenen Ben mit viel Emotion und macht mit wenig Text, dafür aber enorm viel Schauspieltalent deutlich, wie sehr er Rebecca verabscheut. Und James Park überzeugt in der Rolle des loyalen Frank Crawley, der ‘Ich’ unter die Arme greift und ihr Mut macht. Die Wichtigkeit von Supporting Characters und auch die exzellente Casting-Auswahl der VBW, selbst bei den Nebenrollen, sei hier ausdrücklich erwähnt.
Die Geschichte von “Rebecca” bietet viele große Bilder, die sich hervorragend für die Theaterbühne eignen. So gelingt es der Inszenierung auch, mithilfe des Bühnenbilds von Peter J. Davison sowie Mark McCulloughs Lichtdesign eine beachtliche Anzahl an bildgewaltigen Momenten zu erschaffen: Die Eingangshalle von Manderley, die zirkulierende Treppe, die am Ende in Flammen aufgeht und auch das kleine Bootshaus stellen sehr atmosphärische Bühnenelemente dar. Schicksal einer solch bombastischen Ausstattung ist jedoch, dass diese Elemente auch immer wieder in Position gebracht werden müssen, was hier meist geschieht, während ein Vorhang zum Umbau abgesenkt wird, in dem beispielsweise Szenen in der Küche spielen. Leider transportieren diese Szenen häufig keinen Inhalt, und man erhält so den Eindruck, dass sie eher zum Zweck des Umbaus als zum Erzählen der Geschichte eingebaut wurden. Ähnlich ergeht es leider auch einigen Charakteren der Show. Ihr Schicksal bzw. ihr Sinn erschließt sich dem Zuschauer nicht – sie scheinen eher Beiwerk zu sein, um ein zusätzliches Lied zu liefern. Exemplarisch sei hier Maxims Schwester Beatrice (hervorragend dargestellt von Annemieke van Dam) erwähnt. Ihr Song “Die Stärke einer Frau” wird zwar wunderschön von der Darstellerin interpretiert, dennoch fällt auch dieser eher in die Kategorie ‘Umbaupause’.
Die Soundabmischung ist – zumindest am besuchten Abend – nicht ganz gelungen. Viele Songs enden wahnsinnig laut, was dazu führt, dass sich die hohen Finaltöne fast immer wie ein ‘Schreien’ anhören. Schade, denn ansonsten kann die musikalische Umsetzung voll überzeugen: Das Orchester der VBW (an diesem Abend dirigiert von Carsten Paap) spielt eingängig, und die Größe und die Kraft des Orchesters stellen die dramatischen Kompositionen eindrücklich in den Vordergrund. Ein Genuss!
Die Choreografie von Simon Eichenberger erinnert ein wenig an “Elisabeth” und ist ingesamt recht einfach. Die auf Zehenspitzen wippenden Bediensteten auf Manderley ähneln sehr den Zofen der Kaiserin von Österreich. Allerdings passen sie gut zur Szenerie und sind bei einer solchen Art von Drama-Musical auch eher hintergründlich.
Die Rückkehr von “Rebecca” nach Wien ist durchaus sehenswert. Die Show punktet mit hervorragenden Darstellerinnen und Darstellern, einem bombastischen Bühnenbild und einem großen Orchester. Leider kann auch die 2022er Fassung nicht über die aus vorherigen Inszenierungen bekannten Längen hinweghelfen und der düstere Krimi-Teil der Handlung fällt der Love-Story ein wenig zum Opfer. Wer das einzuschätzen weiß, wird Freude an der Geschichte um die mysteriöse “Rebecca” und ihre namenlose Nachfolgerin haben.
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