Alexander Klaws, Ensemble © Regina Brocke
Alexander Klaws, Ensemble © Regina Brocke

Saturday Night Fever (2022 - 2023)
Staatstheater, Darmstadt

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

“Saturday Night Fever” hat viele Schwächen. Machohaftes Verhalten wird gefeiert und das Frauenbild war schon bei der Premiere des Films 1977 fragwürdig. Am Staatstheater Darmstadt mistet man die Vorlage gründlich aus, verändert Passagen, stärkt die Frauenfiguren, gibt auch vielen Kleinstrollen einen emotionalen Hintergrund und zeigt die Hauptfigur Tony Manero als vielschichtigen Charakter. Ein Regie-Ansatz, der meistens funktioniert, aber von einigen Überzeichnungen torpediert wird.

Regisseur Till Kleine-Möller und sein Produktionsteam bedienen vordergründig die Publikumserwartungen: Glitzer, Discokugel, weißer Schlaghosenanzug, die typischen Tanzgesten. Doch “Saturday Night Fever” ist kein “Wir-haben-uns-alle-lieb-und-tanzen-fröhlich-miteinander”-Musical. Die Besucher der Disco “2001 Odyssey” kommen aus prekären Verhältnissen. Arbeitslosigkeit, Drogen, Kriminalität und Gewalt sind an der Tagesordnung. Der Club ist ihr Zufluchtsort in eine eigene Parallelwelt.

Passen die übersteigerten Kostüme in den Club, so sind sie in den Alltagsszenen etwas überhöht. Bei den Perücken hat sich José Luna hemmungslos ausgetobt. Die Szenen bei Familie Manero gleichen dadurch einer albernen Sitcom. Die Agierenden haben alle Hände voll zu tun, nicht als Karikaturen zu enden. Marije Maliepaardals als Tonys Ex und Immer-wieder-mal-Tanzpartnerin Annette schafft es, trotz einer sich der Schwerkraft widersetzenden Föhnwelle glaubhaft zu machen, was ihre Figur bewegt.

Einzelne Clubbesucher bekommen eigene kleine szenische Momente oder starke Tanzsoli, die sie für einen Augenblick greifbar machen und aus der Ensemble-Masse herausholen. Tonys prollige Freunde bleiben weiterhin schablonenhafte Charaktere. Nur Bobby C., dem Claudio Gottschalk-Schmitt jungenhafte Unbeholfenheit und berührende Hilflosigkeit gibt, bekommt auch schon in der Vorlage mehr Hintergrund. Seine Freundin ist schwanger, sie will nicht abtreiben, er will nicht heiraten und wendet sich hilfesuchend an seine Freunde, aber alle – auch Tony – speisen ihn lapidar ab. In diesen Dialogen gibt es ein paar unpassende Pointen und wenn sich die Situation für Bobby C. zuspitzt, wird die Szene mit dem in diesem Moment überdramatischen, fast parodistisch wirkenden “A Fifth of Beethoven” untermalt.

Tonys Bruder Frank jr. – katholischer Priester und Liebling der Eltern, besonders der Mutter – gibt seinen Beruf auf. Die Vorlage bleibt über den Grund vage; richtig erfährt man es nie, denken kann man es sich schon. Till Kleine-Möller stellt den Grund in diesem Abschnitt in den Mittelpunkt: Er ist schwul. Das gesteht Frank jr. angenehm offenherzig und selbstbewusst ohne verklemmtes Gedruckse. Pedro Reichert bekommt in dieser Rolle ein zusätzliches Solo, das die Geschichte an sich nicht weiterbringt, aber einen Blick in die Gay-Disco-Szene wirft.

Das Treffen mit seinem Bruder zeigt Tony, dass man sein Leben radikal ändern kann. Er ist in seinem gewohnten Alltag aus Arbeit in einem Farbenladen und angespannter Situation zu Hause gefangen, der nur auf den Discobesuch am Wochenende ausgerichtet ist. Seine Welt gerät ins Wanken, als er im “2001 Odyssey” Stephanie tanzen sieht, er sie unbedingt als Tanzpartnerin für einen Wettbewerb haben möchte und sie ihn abblitzen lässt. Er muss sich – womöglich erstmals – um eine Frau bemühen. Janina Moser ist als Stephanie eine auf den ersten Blick starke und selbstständige Frau. Doch auch hier zeigen sich Risse, wenn klar wird, dass sie als Angestellte einer Agentur den Kaffee nicht mit den Promis trinkt, sondern ihn für sie zubereitet. Moser harmoniert sehr gut mit Alexander Klaws‘ Tony. Ihre Tanzszenen sind wie aus einem Guss: eine geschmeidige Mischung aus Gesellschaftstanz, Disco und Stephanies Ballett-Hintergrund. Timo Radünz benutzt als Grundlage für seine Choreografien Tänze der 1970er, die das Ensemble mit Pep und Energie umsetzt.

Auch wenn andere Rollen inszenatorisch aufgewertet wurden, liegt das Stück auf den Schultern von Alexander Klaws. Selbst das verschachtelte Bühnenbild von María Reyes Pérez dreht sich wortwörtlich um und mit ihm. Klaws ist gesanglich solide, darstellerisch überzeugend und tänzerisch hervorragend. Tony Manero kann einem in der Vorlage herzlich unsympathisch sein. Hier in Darmstadt hat man ihn zwar etwas sympathischer gezeichnet – er ist toleranter und darf sogar ein bisschen Sonnyboy sein – aber man hat genug Ecken und Kanten drangelassen, dass seine Entwicklung noch Sinn ergibt. Er ist im Club weiterhin der egozentrische Poser, der meint, alle und alles haben zu können, bis er auf Stephanie trifft. Dass Tony eigentlich ein 19-Jähriger ist, der irgendwo zwischen “noch jugendlich” und “schon erwachsen” seinen Weg im Leben finden muss, hat man hier ignoriert. Das wäre auch wenig glaubhaft gewesen. Tony ist als Bezugsperson schon fast eine “väterliche Figur” für die anderen Discobesucher.

Um Tony herum hat die Regie mehrere Vater-und-Mutter-Figuren installiert. Da ist der richtige Vater, ein gewalttätiger Alkoholiker; Tonys Chef Mr. Fusco, der ihm Glauben an eine berufliche Zukunft vermitteln will, und letztendlich Monty aus dem “2001 Odyssey”, wobei diese Figur am wenigsten funktioniert, weil Tony und er fast keine gemeinsamen Momente haben. Alle drei Rollen werden von Livio Cecini mit Hang zur Übertreibung – aber im Fall Monty sehr stimmgewaltig – gespielt.

Beatrice Reece verkörpert die Mutter-Figuren. Als unterdrückte Mrs. Manero, die es schließlich schafft, ihre Familie zu verlassen, setzt sie ein darstellerisches Highlight. Die Puffbesitzerin und die Clubsängerin tauchen immer wieder auf, verbinden Szenen, sind Beobachterinnen. Die Clubsängerin hat die Aura eines übersinnlichen Wesens. Beatrice Reece verfügt über eine starke Bühnenpräsenz. Die Wucht ihrer Stimme lässt ab einem bestimmten Lautstärkepegel die Tontechnik in die Knie gehen. Ihre souligen Melodieschleifen enden als dröhnendes Klanggewitter. Auch sonst ist die Akustik ein Schwachpunkt der Aufführung. Der Text der extra übersetzten, handlungsmotivierten Lieder (die Disco-Songs bleiben in Englisch) ist nahezu unverständlich. Szenen mit Gesang, Dialog und Band gleichzeitig enden in einem akustischen Brei.

Das zwölfköpfige “2001 Odyssey”-Orchestra unter der Leitung von Michael Nündel lässt die Bee-Gees-Songs durch viel Bläser- und Percussion-Einsatz im besten Sinne “handgemacht” klingen, breitet einen satten, orchestralen Klangteppich unter Szenen aus und treibt die Tänze an.

“Saturday Night Fever” ist in Darmstadt – besonders im zweiten Akt – eine emotionale Achterbahnfahrt. Sie besticht durch die Nutzung der reichlich vorhandenen Bühnentechnik und eine hervorragende Ausleuchtung. Das Ensemble agiert geschlossen auf hohem Niveau, wobei die Leistungen im Tanz hervorstechen. Trotz drei Stunden Spielzeit eine kurzweilige Show, die auch bei hohem Tempo noch Zwischentöne zulässt und die menschlichen Schicksale greifbar macht.

Ein wenig optimistisches Sozialdrama – aber bunt und mit viel Glitzer.

 
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KREATIVTEAM
Musical von Robert Stigwood und Bill Oakes / Fassung von Ryan McBryde
Musikalische LeitungMichael Nündel
InszenierungTill Kleine-Möller
BühneMaría Reyes Pérez
KostümJose Luna
ChoreografieTimo Radünz
VideoGrigory Shklyar
 
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CAST (AKTUELL)
== 2022/2023 ==
Tony ManeroSascha Luder
Flo Manero / Clubsängerin / PuffbesitzerinBeatrice Reece
Stefanie Köhm
Stephanie ManganoJanina Moser
Maja Sikora
AnnetteMarije Maliepaard
JoeyJan Großfeld
Marius Bingel
Double J. / MönchRichard Patrocinio
Bobby C.Claudio Gottschalk Schmitt
Michael Heller
Jan Rogler
Frank Manero Sr / Monty / Mr. FuscoChris Murray
N. N.
Frank Manero Jr. / BarracudaPedro Reichert
Linda Manero / Shirley C. / Jugendliche / BarracudaMaja Sikora
Anna Heldmaier
Cesar / Kunde / BarracudaMariano Manzella
Maria / Verkäuferin / Mönch / Müllsammlerin / Tanzschülerin / BarracudaLucia Haas Munoz
Chester / Dritter Kunde / Jay / Mönch / BarracudaRichard Patrocino
Lorenzo Eccher
Doreen / MönchStefanie Köhm
Anna Heldmaier
Connie / Jugendliche / Tanzschülerin / BarracudaNicole Eckenigk
Anna Heldmaier
Tanzlehrer / Liebhaber / Mönch / BarracudaLorenzo Eccher
 
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CAST (HISTORY)
== 21/22 ==
Tony ManeroAlexander Klaws
(Sascha Luder)
Flo Manero / Clubsängerin / PuffbesitzerinBeatrice Reece
Stephanie ManganoJanina Moser
AnnetteMarije Maliepaard
JoeyJan Großfeld
Double J. / MönchSascha Luder
(Richard Patrocinio)
Bobby C.Claudio Gottschalk Schmitt
Frank Manero Sr / Monty / Mr. FuscoLivio Cecini
(Thomas Mehnert
Michael Pegher
Lukas Witzel)

Frank Manero Jr. / BarracudaPedro Reichert
Linda Manero / Shirley C. / Jugendliche / BarracudaMaja Sikora
Cesar / Kunde / BarracudaMariano Manzella
Maria / Verkäuferin / Mönch / Müllsammlerin / Tanzschülerin / BarracudaLucia Haas Munoz
(Anna Heldmaier)
Chester / Dritter Kunde / Jay / Mönch / BarracudaRichard Patrocino
(Lorenzo Eccher)
Doreen / MönchStefanie Köhm
(Anna Heldmaier)
Connie / Jugendliche / Tanzschülerin / BarracudaNicole Eckenigk
Tanzlehrer / Liebhaber / Mönch / BarracudaLorenzo Eccher
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 05.03.2022 19:30Staatstheater, DarmstadtPremiere
Do, 10.03.2022 19:30Staatstheater, Darmstadt
Sa, 12.03.2022 19:30Staatstheater, Darmstadt
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