Mona Graw (Mama Morton), Ensemble © Manja Herrmann
Mona Graw (Mama Morton), Ensemble © Manja Herrmann

Chicago (2020 - 2021)
Stadttheater, Bremerhaven

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Broadway-Feeling an der Wesermündung: Das Stadttheater Bremerhaven beweist mit dieser “Chicago”-Inszenierung von Felix Seiler, dass ein kleines, kommunal finanziertes Theater mit dem richtigen Kreativ-Team und einer wohl dosierten Mischung aus Musical-Profis und hauseigenen Darstellern durchaus ein Musical auf höchstem Niveau auf die Bühne zaubern kann.

Eine Kämpferin im Look von Lara Croft zielt mit einem modernen Maschinengewehr auf die Darsteller auf der Bühne und das Publikum im Saal. Dieses verwirrende Schlussbild wirkt zur Reprise von “All That Jazz” wie ein Fremdkörper in Felix Seilers Inszenierung, die davon abgesehen mit Showgirls, viel Glitter und Tanz ganz der Revue der 1920er Jahre verpflichtet ist. Warum der Regisseur damit im Finale bewusst bricht und ein drohendes Gemetzel andeutet, bleibt sein Geheimnis.

Verortet ist Seilers ansonsten werkgetreue, handwerklich sehr gut gemachte Inszenierung in einer Backsteinziegel-Industriehalle, in der drei hintereinander hängende, die gesamte Bühnenbreite einnehmende Stege auf- und abwärtsfahren. Hiermit schafft Bühnenbildner Hartmut Schörghofer vielfältige Auftritts- und Spielmöglichkeiten. Gezeichnete Hintergrundprospekte und nur wenige Versatzstücke versprühen authentischen 1920er-Chicago-Charme.

Seiler nutzt die sich anbietenden, verschiedenen Spielebenen perfekt aus und postiert zum Beispiel die sechs Mörderinnen im “Cell Block Tango” oben auf einem der Stege, während das Ballett unter ihnen auf der Bühne lasziv-akrobatisch tanzt. Das achtköpfige Ballett-Ensemble ist fast das gesamte Stück hindurch präsent und immerwährend aktiv. In Andrea Danae Kingstons anspruchsvollen Choreografien stellt es seine Leistungs- und Wandlungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis, vor allem solistisch auch als pantomimische Doubles wie im Song “Mr. Cellophane” oder in Velmas “I Can’t Do it Alone”. Richtig witzig sind die tanzenden Schwangeren und Krankenpfleger, die zu Roxies “Me and My Baby” Luftballon-Köpfe gebären.

Seiler gelingen in seiner Inszenierung immer wieder frappierend schöne, überraschende Bilder, wie zum Beispiel im Song “Roxie”: Während die Sängerin vor einer Spiegelwand agiert, tanzen dahinter ausgeleuchtete Showgirls und -boys mit der Wirkung, dass es aussieht als würde sie gemeinsam mit einer Chorus-Line aufreten. Julia Schnittger hat hierzu ein verschwenderisch anmutendes, in Gold und Silber funkelndes, körperbetontes Revue-Kostümbild entworfen. Und unter manchem schlicht-mausgrauen Gefängnis-Outfit schlummern glitzernde Pailletten-Schnüre auf raffiniert geschnittenen Charleston-Kleidern…

Einfach brillant ist auch der Cast: Frank Winkels ist ein charismatischer, die Strippen in der Hand haltender Winkeladvokat Billy Flynn, der Medien wie Mandantinnen mühelos um den Finger wickelt. Sein einschmeichelnder, samtiger Bariton unterstreicht das in Songs wie “All I Care About” und “Razzle Dazzle”. Ebenso zwielichtig kommt Mona Graw als geschäftstüchtige “Gefängnis-Glucke” Mama Morton daher, die mit dunkel timbrierter Stimme im Showstopper “When You’re good to Mama” Akzente setzt. Ein auf den Punkt besetztes Musical-Vollprofi-Mörderinnen-Gespann sind Jasmin Eberl und Valentina Inzko Fink als Velma Kelly und Roxie Heart. Zunächst spinnefeind, durchschauen sie die verlogene Welt der Medien und erkennen, dass sie nur als Paar im Show-Olymp ankommen können. Diesen erreichen Eberl und Inzko Fink mit grandiosem Gesang und Tanz im Song “Nowadays”.

Doch auch das hauseigene Musiktheater-Ensemble braucht sich nicht zu verstecken: Sängerinnen des Opernchores glänzen stimmlich auf der Bühne als Mörderinnen, während der gesamte Sing-Klangkörper locker-leicht aus dem Off zu hören ist. Lediglich die Herren klingen bei “When Velma Takes the Stand” zu sehr klassisch nach Oper. Mackenzie Gallinger gibt einen rollendeckend unscheinbarer Amos Hart, der mit “Mr. Cellophane” einen grandiosen Auftritt hinlegt. Klatschreporterin Mary Sunshine wird in dieser Inszenierung nicht wie gewohnt als Hosenrolle angelegt, mit dem Vorteil, dass Victoria Kunze mit perfekt ausgesungenen, glasklaren Koloraturen auftrumpfen kann.

Einen kleinen Wehrmutstropfen beschert dann doch die Corona-Pandemie der Inszenierung: Davide Perniceni und seine Musiker des Philharmonischen Orchesters sitzen nicht auf ihren angestammten Plätzen im Orchestergraben vor der Bühne, sondern sind aufgrund des Hygiene-Konzeptes auf eine angrenzende Probebühne verbannt. Von hier wird die musikalische Begleitung via Lautsprecher in den Theatersaal übertragen. Aus Vernunftsgründen eine nachvollziehbare Lösung, die Kanders Partitur jedoch eigenartig distanziert und zahnlos klingen lässt. Dass in den Musikern steckt, lässt sich erahnen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Notlösung sich irgendwann erübrigt und diese grandiose “Chicago”-Produktion die musikalische Umsetzung erhält, die ihr zweifelsohne zusteht.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungDavide Perniceni
InszenierungFelix Seiler
BühneHartmut Schörghofer
KostümeJulia Schnittger
ChoreografieAndrea Danae Kingston
 
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CAST (AKTUELL)
Roxie HartValentina Inzko Fink
Velma KellyJasmin Eberl
Mama MortonMona Graw
Billy FlynnFrank Winkels
Amos HartMackenzie Gallinger
Mary SunshineVictoria Kunze
Liz / Staatsanwältin HarrisonIris Wemme
AnnieSydney Gabbard
JuneLilian Giovanini
HunyakElena Zehnoff
MonaKatharina Diegritz
Sergeant FogertyPatrick Ruyters
RichterinBrigitte Rickmann
GeschworenensprecherinYvonne Blunk
Fred CaselyRenan Carvalho
Herren-QuartettVladimir Marinov
Dong-Sung Cho
Patrick Ruyters
Róbert Tóth
Opernchor
Ballett
Philharmonisches Orchester Bremerhaven
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 19.09.2020 19:30Großes Haus, BremerhavenPremiere
So, 27.09.2020 15:00Großes Haus, Bremerhavenausverkauft
Mi, 30.09.2020 19:30Großes Haus, Bremerhavenausverkauft
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